Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Dienstag, wonach EU-Recht sogar über der nationalen Verfassung steht. Demnach können rumänische Gerichte in bestimmten Fällen Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes ignorieren. Wenn die systemische Gefahr bestehe, dass Korruption oder Betrug zum Nachteil der EU ungestraft bleiben, könne die Rechtsprechung eines Verfassungsgerichtshofs nicht angewandt werden, hieß es.
Das sei etwa der Fall, wenn im Kampf gegen Korruption andernfalls die Gefahr drohe, dass Verurteilte straflos blieben, hieß es aus Luxemburg. Hier hakte nun das rumänische Verfassungsgericht ein – über eine Stellungnahme von Donnerstagabend wurde verlautbart, dass diese Rechtsprechung in Rumänien nicht angewendet werden könne, solange die Verfassung nicht entsprechend geändert worden sei.
Prominente Ex-Politiker verurteilt
Hintergrund des EuGH-Urteils vom Dienstag sind Fälle vor dem Obersten rumänischen Kassations- und Gerichtshof – zwei Gerichte hatten den EuGH um Auslegung des EU-Rechts gebeten. Bei den Fällen geht es um prominente ehemalige Parlamentarier und Minister, die von den beiden Gerichten etwa wegen Korruption und Einflussnahme in Zusammenhang mit EU-Mitteln verurteilt worden waren.

Danach erklärte der Verfassungsgerichtshof die Entscheidungen aus formellen Gründen für nichtig. Dadurch könnten sich die Fälle jedoch in die Länge ziehen und verjähren. Dem EuGH zufolge könnte das eine „wirksame und abschreckende Sanktionierung von Personen verhindern, die die höchsten Ämter des rumänischen Staates bekleiden“ und wegen Betrugs oder Korruption im Amt verurteilt worden seien.
EuGH-Mahnung bereits im Mai
Der EuGH hatte Rumänien bereits im Mai ermahnt, Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung nicht zu untergraben. Bei jüngsten Justizreformen könne zumindest der Eindruck entstehen, dass sie zu politischem Druck auf rumänische Richterschaft führten. Rumänien hatte vor seinem EU-Beitritt 2007 verschiedene Gesetze erlassen, um seine Justiz an EU-Anforderungen anzupassen. Zwischen 2017 und 2019 wurden diese Justizgesetze teils geändert.
Land unter besonderer Beobachtung der Kommission
Bereits seit dem EU-Beitritt steht das Land unter besonderer Beobachtung der EU-Kommission, weil es damals nicht alle Vorgaben gegen Korruption und organisiertes Verbrechen sowie zur Stärkung der Justiz erfüllte. Nach anfänglichen Fortschritten durch eine verstärkte Aktivität der Antikorruptionseinheit der Staatsanwaltschaft herrscht Kritikerinnen und Kritikern zufolge nahezu ein Stillstand.
Als einer der Gründe dafür gilt eine 2018 von der damaligen sozialdemokratischen Regierung geschaffene Sondereinheit der Staatsanwaltschaft (SIIJ), die allein das Recht hat, gegen Richter und Staatsanwältinnen zu ermitteln. Das entzieht der Antikorruptionseinheit Kompetenzen. Die EU-Kommission verlangt seit Langem, dass die Sondereinheit SIIJ abgeschafft wird.