„Sixties-Ikone“ Marianne Faithfull ist 75

„Fast gestorben“ wäre sie in diesem Jahr, hat Marianne Faithfull unlängst der „Los Angeles Times“ erzählt. Während der Arbeiten zu ihrem neuen Album „She Walks in Beauty“ hatte sie sich mit dem Coronavirus infiziert und verbrachte drei Wochen auf der Intensivstation. In ihrem bewegten Leben steckte die Sängerin schon viele Rückschläge weg. Heute wird Faithfull 75 Jahre alt.

Mick Jagger und Marianne Faithfull in 1969
AP

Die Single „As Tears Go By“ machte sie 1964 im Alter von 17 Jahren berühmt. Der damalige Rolling-Stones-Manager Andrew Loog Oldham entdeckte die Londonerin auf einer Party und ließ sie die von Mick Jagger und Keith Richards geschriebene Ballade aufnehmen. Damit begann die Karriere der Sängerin, die anfangs oft im Schatten von Jagger stand.

„Nacktes Mädchen auf Stones-Party“

1965 heiratete Faithfull John Dunbar, kurz darauf kam Sohn Nicholas zur Welt. Die Sängerin verließ Dunbar nur wenige Monate nach der Hochzeit für Jagger. Nicht ihre Musik, sondern die Beziehung zum Rolling-Stones-Sänger bestimmte fortan die Berichterstattung über sie. Vor allem die berüchtigte Razzia im Haus von Richards im Februar 1967, bei der sie dem Vernehmen nach nackt in einem Pelz vor den Polizeibeamten stand, hängt ihr bis heute nach. „Nacktes Mädchen auf Stones-Party“, lautete die Schlagzeile des „Evening Standard“.

Marianne Faithfull und ihr neugeborenes Kind, Nicholas
AP

Laut Faithfull geriet ihr Leben nach der Razzia aus den Fugen. „Es hat mich kaputt gemacht“, schreibt sie in ihrer Autobiografie. Sie wurde zuerst abhängig von Kokain, dann von Heroin. Sie verlor das Sorgerecht für ihren Sohn und lebte fast zwei Jahre auf der Straße.

PJ Harvey bis Bertolt Brecht

1979 meldete sich die Sängerin mit dem Album „Broken English“ und einer raueren Stimme zurück, die zu ihrem Markenzeichen wurde. Mitte der 80er gelang es Faithfull endlich auch, von den Drogen loszukommen. Als Musikerin erfand sich Faithfull mehrfach neu.

Sie sang Rock, Disco, Folk, Blues, Jazz und Cabaret. Sie arbeitete mit jüngeren Musikerinnen und Musikern wie Beck, PJ Harvey, Jarvis Cocker und Damon Albarn zusammen – und mit dem Filmkomponisten Angelo Badalamenti („Twin Peaks“). Sie nahm „Die sieben Todsünden“ von Kurt Weill und Bertolt Brecht auf („The Seven Deadly Sins“, 1998) und trat als Schauspielerin in deren „Dreigroschenoper“ auf.

„Nie zur Nostalgiefigur verkommen“

Geboren wurde Faithfull am 29. Dezember 1946 in London. Ihr Vater spionierte während des Zweiten Weltkriegs für die Briten und schloss sich später einer Kommune an. Faithfull wuchs bei ihrer Mutter auf, die aus der österreichisch-ungarischen Adelslinie der Sacher-Masochs stammte und als Busschaffnerin in Reading in der Nähe von London arbeitete.

Mittlerweile lebt Faithfull in Paris und Irland. Am 25. November sang sie in der wiedereröffneten Pariser Konzerthalle Bataclan zum Jahrestag der Terroranschläge. Bevor sie „As Tears Go By“ anstimmte, steckte sie sich eine Zigarette an. „I know, I know“, sagte sie schulterzuckend zum Gelächter des Publikums.

Marianne Faithfull in 2015
AP/CTK/Okla Michal

Heute gilt die Sängerin als „Diva des düsteren Pop“. „Sie ist immer relevant geblieben und nie zu einer Nostalgiefigur verkommen“, sagte Nick Cave unlängst über sie. Neben weiteren Musikgrößen wie Warren Ellis und Brian Eno nahm Cave mit Faithfull das im April erschienene Album „She Walks in Beauty“ auf, auf dem sie Texte von Thomas Hood, Lord Tennyson und John Keats liest.