Barenboim und Wiener Philharmoniker

Neujahrskonzert mit der Kraft des Phönix

Dass das Neujahrskonzert ein besonderes Ereignis selbst vor einem leeren Saal ist, hat im Vorjahr Riccardo Muti gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern deutlich gemacht. Heuer steht wieder Daniel Barenboim am Pult, den mit den Philharmonikern eine 70-jährige Zusammenarbeit verbindet. Wegen der Pandemie war die Frage, ob und wenn wie viele Besucher live dabei sein können – ein Poker bis zur letzten Minute. Weltweit kann man das Konzert von zu Hause erleben: Es bringt sechs Premieren – und startet mit der Kraft des Phönix gegen die Zumutungen der Zeit.

Im Vorjahr war der Saal leer, heuer sind immerhin 1.000 Zuhörerinnen und Zuhörer unter 2-G-Plus-Auflagen im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins beim traditionellen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker dabei. Dass die Pandemie die Bedeutung dieses Konzerts erhöht, war schon im Vorjahr spürbar, als Riccardo Muti in seiner Botschaft daran erinnerte, dass Musik und Kultur „nicht einfach nur Unterhaltung“ seien, sondern Musik „als Mission“ begreifbar sein soll, um „die Welt besser“ zu machen. „Kultur“, so Muti vor einem Jahr, sei „das Hauptelement, um eine Gesellschaft besser zu machen“.

Hinweis:

Das Neujahrskonzert wird am 1. Jänner ab 11.15 Uhr live aus dem Wiener Musikverein in ORF2 und Ö1 übertragen. Zusätzlich in tvthek.ORF.at, auf der Klassikplattform myfidelio.at und hier auf ORF.at. Ab 10.30 Uhr stimmt die „matinee“ in ORF2 auf das heurige Neujahrskonzert ein. Mehr dazu in tv.ORF.at.

Diesem Diktum wird sich der in Buenos Aires geborene Barenboim, der sein künstlerisches Handeln immer auch als ein verbindendes politisches betrachtete, anschließen können. Sein West-Eastern Divan Orchestra ist ja nur eine seiner Unternehmungen, die Musik unter das Schillersche Credo von der Verbesserung der Welt durch die Kunst zu stellen.

So betonte Maestro Barenboim dieses Jahr schon im Vorfeld den Wert von Kultur gerade während der Pandemie. „Konzerte und Opernabende sind in dieser Zeit besonders wichtig“, so der Dirigent, der im vergangenen Jahr etwa der Salzburger Mozartwoche trotz ausgebliebenem Publikum einen triumphalen Abschluss bescherte hatte. „Wir sollten nicht leben ohne Musik. Die Musik ist kein Luxus, sondern sie ist geistig notwendig.“ Musik werde zu wenig in der Schule unterrichtet. Und Haushalte, in denen musiziert werde, seien die Ausnahme. „Das ist sehr schade, weil Musik in jeder Zeit ihre Wichtigkeit behalten muss.“

Dirigent Daniel Barenboim
APA/Wiener Philharmoniker/Dieter NAGL
Daniel Barenboim bei den Proben in Wien: „Es ist eine Zusammenarbeit, bei der der prozentuale Anteil des Orchesters größer ist als sonst.“

Die Flügel ausbreiten

Gerade deshalb will man in diesem Jahr wohl nach vorne blicken, ja, man trotzt den Auflagen der Pandemie und will sich mit starken Schwingen über die Zumutungen der Niederung erheben. So eröffnet der „Phönix Marsch“ (op. 105) von Josef Strauss das Neujahrskonzert 2022. Der Marsch ist von historischer Bedeutung, wurde er doch zur Eröffnung der „Neuen Welt“ 1861 im damaligen Vorort Hietzing gespielt. Der Unternehmer Carl Schwender hatte unter dem Namen „Neue Welt“ einen großen Vergnügungspark eröffnet, der später parzelliert wurde und mittlerweile eine der herausragendsten Villen Wiens zur Heimat hat. Die berühmte Villa Beer von Josef Frank, sie steht noch heute am ehemaligen Eingang zu dieser „Neuen Welt“, deren Name in der Gegenwart auch wie ein Stück Hoffnung anmutet.

Zum 3. Mal mit Barenboim

Zum dritten Mal leitet Barenboim nach 2009 und 2014 ein Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Die Zusammenarbeit mit dem Orchester begann bereits 1965 mit seinem Debüt als Pianist, seit 1989 ist der in Buenos Aires geborene Dirigent auch in dieser Eigenschaft bei den Wiener Philharmonikern zu Gast. 2022 feiert er seinen 80. Geburtstag.

„Jedes Neujahrskonzert ist etwas Besonderes. Das ist kein normales Konzert“, meinte Barenboim, zurzeit Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, im Vorfeld des Konzerts. Zentraler Wunsch für sein Programm 2022: Der Walzer „Sphärenklänge“ von Josef Strauss (op.235), mit dem das Neujahrskonzert vor dem bekannten Zugabeteil offiziell beschlossen wird.

Sechs Premieren beim Neujahrskonzert 2022

Sechs Premieren wird es heuer beim Neujahrskonzert geben, unter anderem ist Carl Michael Zierers Walzer „Nachtschwärmer“ (op. 466) zu hören.

Herzstück des Konzerts ist für Barenboim, wie er in Interviews bestätigte, der Walzer „Sphärenklänge“ von Josef Strauss, der 1868 in den Wiener Sophiensälen uraufgeführt wurde und bereits damals für Furore gesorgt hatte. Der im Wagnerismus badende erste langsame Teil dieses Walzers erinnerte die Presse sehr stark an Melodien für das Jenseits – und da dieses Stück im Rahmen des Medizinerballs zum ersten Mal gespielt wurde, stand rasch die Spannung zwischen Lebensrettung und Entrückung im Raum der Betrachtung. „Die Melodien dieses Walzers waren besser als ihr Titel, da es einen eigentümlichen Eindruck machte, ausgerechnet auf dem Medizinerball musikalisch an das Jenseits erinnert zu werden“, las man am 22. Jänner 1868 im „Fremden-Blatt“.

Handschrift erste Takte zum Donauwalzer
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Auftakt der Melodie zum Walzer „An der schönen blauen Donau“ in der Handschrift von Johann Strauss (Sohn)

Der Ablauf des Neujahrskonzerts

Der Ablauf des Konzerts erfolgt auch heuer nach einem traditionellen Ritual: Zuerst kommen die beiden Hauptteile. Und seit den späten 1980er Jahren ist für die zweite Zugabe traditionell der Walzer „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauss Sohn (op. 314, 1867) gesetzt. Gesetzt ist auch die Unterbrechung nach den Einleitungstakten mit Beifall, der vom Orchester als Aufforderung verstanden wird, dem Publikum „Prosit Neujahr“ zu wünschen.

Neujahrskonzert vor Publikum

Das traditionelle Neujahrskonzert im menschenleeren Musikverein war eines der prägenden Bilder des Kulturjahres 2021. Es war ein schweres Jahr für die Kulturbranche – und es bleibt herausfordernd. Diesmal soll das Konzert aber wieder vor Publikum stattfinden.

Als abschließende dritte Zugabe wird der Radetzky-Marsch (Johann Strauss Vater, op. 228, 1848) gespielt. 2014 verzichtete Barenboim darauf, den vom Orchester gespielten Marsch zu dirigieren und schüttelte stattdessen allen Musikern die Hand. Spannend ist heuer die Frage, ob der „Kaiserwalzer“ als erste Zugabe kommen wird. Im Programm ist er anders als im Vorjahr nicht vorgesehen. Die „Furioso-Polka“ (op. 260) von Johann Strauss (Sohn) war im Vorjahr jedenfalls die erste Zugabe, der „Kaiserwalzer“ die vorletzte Nummer in Teil zwei.

Das Programm des Neujahrskonzerts 2022

Erster Teil

  • Josef Strauss, „Phönix-Marsch“, op. 105*
  • Johann Strauss (Sohn), „Phönix-Schwingen“, op. 125
  • Josef Strauss, „Die Sirene“, op. 248*
  • Joseph Hellmesberger (Sohn), „Kleiner Anzeiger“, op. 4
  • Johann Strauss (Sohn), „Morgenblätter“, op. 279
  • Eduard Strauss, „Kleine Chronik“, op. 128*

Zweiter Teil

  • Johann Strauss (Sohn), Ouvertüre zur „Fledermaus“
  • Johann Strauss (Sohn), „Champagner-Polka“, op. 211
  • Carl Michael Ziehrer, „Nachtschwärmer“, op. 466*
  • Johann Strauss (Sohn), „Persischer Marsch“, op. 289
  • Johann Strauss (Sohn), „Tausend und eine Nacht“, op. 346
  • Eduard Strauss, „Gruß an Prag“, op. 144
  • Joseph Hellmesberger (Sohn), „Heinzelmännchen“
  • Josef Strauss, „Nymphen-Polka“, op. 50*
  • Josef Strauss, „Sphärenklänge“, op. 235

* Alle mit Stern gekennzeichneten Stücke werden zum ersten Mal im Rahmen des Neujahrskonzerts aufgeführt.

Internationale Ausrichtung entscheidend

Für Barenboims Zugang zum Neujahrskonzert ist, wie er sagt, die internationale Ausrichtung der Veranstaltung, die in mehr als 90 Ländern im Fernsehen übertragen wird, entscheidend. „Es kommen Menschen aus der ganzen Welt, man spielt Musik der ganzen Strauss-Familie.“ Wiener Walzer, Polkas oder Märsche will er als musikalische Formen jedenfalls nicht unterschätzt sehen. „Die Walzer-Musik hat auch einen leichten Charakter. Aber ein solcher Charakter kann viele Gesichter haben“, so Barenboim: „Die Musik ist leicht, aber nicht oberflächlich. Da gibt es einen Unterschied.“

Besonderheiten sieht der 79-Jährige auch im Verhältnis zwischen Philharmonikern und Dirigenten. „Das Orchester beherrscht diesen bestimmten Stil ganz perfekt“, meint Barenboim. „Es ist eine Zusammenarbeit, bei der der prozentuale Anteil des Orchesters größer ist als sonst.“

Karikatur auf die Strauß-Brüder: Josef, Johann und Eduard
akg-images / picturedesk.com
Karikatur auf die Strauss-Brüder: Josef, Johann und Eduard

Beschränkungen bei der Zuschauerzahl

Wegen kurzfristiger neuer Covid-19-Beschränkungen in Österreich musste die Zuschauerzahl für das Neujahrskonzert auf 1.000 reduziert werden. Den 700 Kartenbesitzern, die deshalb leer ausgehen, werden Plätze für das nächste Konzert 2023 reserviert. Das galt auch für die öffentliche Generalprobe am Donnerstag und das Silvesterkonzert am Freitag, bei denen dasselbe Programm gespielt wird wie am Samstag.

Daniel Barenboim im Porträt

Für Daniel Barenboim sind Grenzen fließend. Er ist Pianist und Dirigent. Er wurde in Argentinien geboren, zog mit seinen Eltern nach Israel, und bekam später auch noch einen palästinenischen und einen spanischen Pass. Der Star-Dirigent und insbesondere sein Führungsstil sind aber nicht unumstritten.

Nach den jüngsten Regelungen wären auch mehr Besucherinnen und Besucher möglich gewesen, dann aber mit vollständiger Grundimmunisierung, negativem PCR-Test (2-G-Plus) und Auffrischungsimpfung. Um den Besuch des Konzertes auch ohne Boosterimpfung zu ermöglichen, verkleinerten die Veranstalter das Publikum. Bis zu 1.000 Zuschauern reicht der Nachweis von 2-G-Plus.