Ein Atomkraftwerk nahe Civaux in Frankreich
Reuters/Stephane Mahe
„Grüne“ Atomkraft

Scharfe Kritik aus Wien und Berlin

Die EU-Kommission will Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einstufen. Der Streit um die Taxonomie-Verordnung, die ein Herzstück der EU-Bemühungen zur CO2-Neutralität ist, wogt seit Monaten. Scharfe Kritik und eine Klagsdrohung kamen aus Deutschland und Österreich. Bringen dürfte das aber nichts.

Konkret sieht der Entwurf der EU-Kommission vor, dass vor allem in Frankreich geplante Investitionen in neue AKWs als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten technischen Standards entsprechen und wenn ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt wird.

Zudem ist als eine weitere Bedingung vorgesehen, dass die neuen kerntechnischen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten, wie aus dem der dpa vorliegenden Text hervorgeht.

Für Gewessler „Greenwashing“

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und ihre Parteikollegen in Deutschland, die Umweltministerin Steffi Lemke und der Klimaschutzminister Robert Habeck, wiesen die Verordnung scharf zurück. „Die EU-Kommission hat gestern in einer Nacht- und Nebelaktion einen Schritt in Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas gemacht.“

Für Österreich sei aber ganz klar: „Weder die Atomkraft noch das Verbrennen von fossilem Erdgas haben in der Taxonomie etwas verloren. Denn sie sind klima- und umweltschädlich und zerstören die Zukunft unserer Kinder.“ Der Entwurf werde in den kommenden Tagen genau geprüft, und man werde auch nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Verordnung vorzugehen.

EU-Umdenken bei Gas- und Kernkraftwerken

Die EU-Kommission will Investitionen in moderne Gas- und Kernkraftwerke als klimafreundlich einstufen. Von 27 EU-Staaten setzen aktuell 13 auf Atomkraft, nur Deutschland steigt daraus aus. Frankreich sieht in der Kernenergie eine Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft.

Auch Brunner lehnt Vorschlag ab

Auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) äußerte Bedauern und warnte, dass die Pläne der Kommission auf „grüne Ausnahmen bei Schuldenregeln“ und damit eine verstärkte Finanzierung von Atomkraft hinauslaufen würde. Das sei „ein weiterer Grund, diesen Vorschlag abzulehnen“, so Brunner.

Ablehnung wurde auch von deutschen Regierungsvertretern geäußert. „Es hätte aus unserer Sicht diese Ergänzung der Taxonomie-Regeln nicht gebraucht“, so der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck (Grüne). Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren sei bei „dieser Hochrisikotechnologie falsch“. Die grüne Umweltministerin Lemke betonte, der Schritt sei „falsch“. Die Grünen sind seit Kurzem in einer „Ampelkoalition“ mit SPD und FDP – und SPD-Kanzler Olaf Scholz ist für die Ausnahmen bei Atomkraft und Gas. Die Grünen wollen deshalb offenbar keinen Koalitionsstreit riskieren und kündigten keine aktiven Maßnahmen gegen Annahme der Verordnung an.

Harsche Kritik von NGOs

In Österreich kam Kritik auch von der FPÖ, deren EU-Abgeordneter Georg Mayer an den Super-GAU in Fukushima erinnerte. Vor allem aber zahlreiche heimische Umweltorganisationen kritisierten den EU-Entwurf aufs Schärfste. Der WWF warf der Kommission vor, nur wenige Wochen nach der UNO-Klimakonferenz COP26 „ihre Führungsrolle in der Klimapolitik für die Interessen der Atom- und Gas-Lobby“ zu opfern. GLOBAL 2000 beklagte, die Öffentlichkeit sei „vorsorglich vollständig“ von den Beratungen ausgeschlossen worden. Die NGO appellierte an die Mitgliedsländer, „das versuchte Greenwashing von Atomenergie zu verhindern“.

Entscheidung am 12. Jänner

Das dürfte allerdings schwer werden – entsprechend breiter Widerstand ist nicht in Sicht. Die EU-Mitgliedstaaten können bis zum 12. Jänner den am späten Freitagabend von der EU-Kommission verschickten Entwurf des Rechtsaktes kommentieren. Eine Umsetzung kann aber nur verhindert werden, wenn sich eine verstärkte qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten oder eine Mehrheit im EU-Parlament dagegen ausspricht. Demnach müssten sich im Rat der EU mindestens 20 EU-Länder zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten oder im EU-Parlament mindestens 353 Abgeordnete.

Neben Österreich und Deutschland sprechen sich lediglich Luxemburg, Dänemark und Portugal klar gegen eine Aufnahme der Atomkraft aus. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte nach seinem ersten Gipfel im Dezember, bei dem ebenfalls über die Taxonomie-Verordnung verhandelt wurde, bereits betont, dass sich die Aufnahme der Atomkraft als grüne Energieform wohl nicht mehr verhindern lasse.

Wichtige Basis für EU-Weg zu Klimaneutralität

Die Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten durch die EU-Kommission soll Anleger in die Lage versetzen, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen, und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen. Für Länder wie Frankreich, die stark von AKWs abhängig sind, ist die Atomenergie eine Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft.