Seit Monaten klettert die türkische Teuerungsrate hinauf, nun stieg sie noch einmal überraschend stark: Die Verbraucherpreise waren im Dezember 36 Prozent höher als vor Jahresfrist, wie das nationale Statistikamt am Montag mitteilte. Fachleute hatten nicht mit einem derart rasanten Anstieg gerechnet. Allein von November auf Dezember kletterte die Inflation um fast 13,6 Prozent – jetzt liegt sie auf dem höchsten Niveau seit September 2002. Seit dem Sommer hat sich die Rate mehr als verdoppelt.
Für die Türkinnen und Türken macht sich die Teuerung stark in hohen Lebensmittel- und Lebenshaltungskosten bemerkbar. Allein die Strompreise für Haushalte stiegen im neuen Jahr um rund 50 Prozent, die für verbrauchsstarke Unternehmen sogar um mehr als 100 Prozent. Auch die Preise für Gas zogen deutlich an.
Ohnmächtige Notenbank
Eng verbunden mit der Inflation ist der Absturz der Lira: Die türkische Währung verlor im abgelaufenen Jahr 44 Prozent an Wert. Das machte die Importpreise teurer. Hinzu kommen vergleichsweise hohe Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt.
Verschlimmert wird die Lage seit Monaten durch die türkische Zentralbank, die unter Erdogans Druck den Leitzins immer weiter senkte – zuletzt Mitte Dezember. Derzeit beträgt der Satz 14 Prozent. Eigentlich stemmen sich Notenbanken mit höheren Leitzinsen gegen eine galoppierende Inflation. Erdogan ist allerdings entgegen der volkswirtschaftlichen Lehre der Ansicht, hohe Zinsen förderten die Inflation. Am Montag sagte Erdogan, die hohe Inflation werde mit Sorge beobachtet, doch man habe sie schon in der Vergangenheit erfolgreich bekämpfen können. Das werde auch dieses Mal gelingen, so Erdogan. Er kündigte auch eine Untersuchung an, um den Preissprüngen auf den Grund zu gehen.
Umstrittene Gegenmaßnahmen
Die Inflation ist mittlerweile eines der wichtigsten Themen der türkischen Innenpolitik geworden. Opposition und Teile der Bevölkerung werfen dem Statistikamt vor, die Zahlen zu schönen. Vor allem aber kritisieren sie Erdogan, der seinen bis vor Kurzem noch erfolgreichen Kurs nicht verlassen will. Von hohen Zinsen profitierten nur die „Eliten“, heißt es aus Erdogans AKP.

Die Regierung setzt hingegen auf Exporte und hohes Wirtschaftswachstum. Mit niedrigen Zinsen will er die Kreditvergabe steigern und Investitionen ankurbeln. Um dem Kaufkraftverlust entgegenzusteuern, stieg zum Jahresbeginn der Mindestlohn um 50 Prozent auf umgerechnet 275 Euro im Monat – eine umstrittene Methode. Das könnte am Ende die Inflation zusätzlich treiben. Mitte Dezember hatte Erdogan bereits den Schutz von Ersparnissen vor Wechselkursschwankungen verkündet sowie den Verkauf von Dollarreserven angeordnet.
Erdogan steht politisch unter Druck, seine Popularitätswerte sind deutlich abgesackt. Die nächste reguläre Parlamentswahl steht für die AKP erst 2023 an, eine vorgezogene Wahl scheint aber nicht unwahrscheinlich.