Sequenzierung einer Virusprobe in Cambridge
Reuters/Dylan Martinez
England, Dänemark

Omikron-„Vorreiter“ denken an Zeit danach

Österreich steht die Omikron-Welle noch bevor – in England und Dänemark dagegen nähert sich diese Phase der Pandemie wohl ihrem Höhepunkt. Noch sind die Folgen für die nationalen Gesundheitssysteme nicht wirklich absehbar, doch Fachleute denken in den beiden Ländern auch bereits an die Zeit danach und stellen eine Rückkehr zur Normalität in Aussicht. Doch es gibt gewichtige Unsicherheitsfaktoren.

Der sich verlangsamende Anstieg bei der – sehr hohen – Zahl an Neuinfektionen, lässt in England die Hoffnung aufkommen, dass „Peak Omicron“, also der Höhepunkt dieser Welle, erreicht ist oder kurz bevorsteht. Zumindest in London stabilisierte sich die Zahl der Neuinfektionen, detto bei den Hospitalisierungen, wie der „Guardian“ am Dienstag berichtete.

Spitäler rufen Katastrophenfall aus

Für den konservativen Premier Boris Johnson wäre das eine besonders gute Nachricht, denn aktuell sieht es düster aus: Erstmals seit Beginn der Pandemie wurden am Dienstag mehr als 200.000 Neuinfektionen in Großbritannien registriert. Ein Teil davon sind allerdings Nachmeldungen von den Feiertagen. Jedoch riefen britische Kliniken am Dienstag den Katastrophenfall aus, das bedeutet, diese Spitäler können notwendige Behandlungen nicht mehr gewährleisten. Personal wird bereits an seinen freien Tagen zum Dienst einberufen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.

GB: Johnson gegen schärfere Maßnahmen

Der britische Premierminister Boris Johnson hat trotz einer Rekordzahl an CoV-Neuinfektionen vorerst schärfere Maßnahmen und einen Lockdown ausgeschlossen. Der konservative Politiker kündigte bei einer Pressekonferenz an, an seinem Plan B festzuhalten. Dazu gehören eine Maskenpflicht in Innenräumen, die Empfehlung, von zuhause zu arbeiten, und 3-G-Nachweise (also: geimpft, genesen oder getestet) für Clubs und Großveranstaltungen.

Johnson hatte sich vor Weihnachten gegen eine Verschärfung der Maßnahmen ausgesprochen – und wenn die Infektionszahlen weiter nach unten gehen und sich in gewohnter Weise auf die Hospitalisierungen auswirken und die Spitäler nicht überfordert werden, so würde das Johnson nachträglich recht geben, so die linksliberale Zeitung.

Johnson schließt schärfere Maßnahmen aus

Johnson schloss am Dienstag in einer Pressekonferenz trotz der dramatischen Situation vorerst schärfere Maßnahmen und einen Lockdown aus. „Wir müssen an Plan B festhalten“, so Johnson zu den Anfang Dezember verhängten Maßnahmen – im Wesentlichen Maskenpflicht in öffentlichen Räumen und der „Grüne Pass“ etwa in der Gastronomie. Es gebe eine gute Chance, die Welle mit den bestehenden Maßnahmen durchzustehen, „ohne das Land wieder zuzusperren“, so Johnson. Er kündigte aber an, dass das Militär überlastete Spitäler unterstützen wird.

„Peak Omicron“ als Wegmarke

Laut Raghib Ali vom Epidemiologie-Institut der Universität Cambridge wird erfahrungsgemäß eine Woche nach dem Höhepunkt bei den Neuinfektionen auch jener bei den Spitalseinweisungen erreicht. Eine weitere Woche später werde der Höhepunkt bei den Todesfällen erreicht. „Peak Omicron“ zu kennen, helfe daher, vorauszuplanen.

Ali schätzt auf Basis der Londoner Zahlen, dass in der Hauptstadt das Maximum bei den Hospitalisierungen noch diese Woche erreicht wird – und landesweit eine Woche darauf. Das entspricht den Modellrechnungen, die den Höhepunkt für Mitte Jänner prognostizierten.

Straßenszene in London
Reuters/Toby Melville
Menschen im Zentrum Londons. Im Hintergrund die „City“, der Finanzbezirk.

Warnung vor voreiligem Schluss

Fachleute warnen freilich davor, zu glauben, das Land sei bereits über dem Berg. Chief Medical Officer Chris Witty relativierte in der Pressekonferenz mit Johnson, dass die Infektionen derzeit nur bei den Jüngeren zurückgehen, nicht aber bei den über 60-Jährigen. Bei dieser Gruppe sei die Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisierung aber besonders hoch.

Unklar ist zudem, wie sehr besonders vorsichtiges Verhalten vor den Feiertagen die Zahlen beeinflusst – und wie stark die Infektionszahlen durch Partys und Feiern zu Weihnachten und Silvester sich auswirken.

Vor allem Silvester spiegelt sich wegen der Inkubationszeit derzeit noch nicht in den Zahlen wider. Auch das Ferienende könnte die Welle wieder verstärken. Familienfeiern könnten vor allem bei Älteren die Infektions- und Todeszahlen noch nach oben schnellen lassen.

Interessantes Phänomen bei Spitalspatienten

Die BBC verwies darauf, dass – anders als in früheren Wellen – ein Drittel der in der CoV-Statistik aufscheinenden hospitalisierten Patientinnen und Patienten wegen einer anderen Erkrankung im Spital werden. Sie haben aber zusätzlich auch eine CoV-Infektion.

Ob es die richtige Entscheidung war – anders als Schottland, Wales oder Nordirland – in England keine lockdownartigen Maßnahmen zu erlassen, wird sich wohl erst in einigen Wochen zeigen. Die zusätzliche Immunität durch eine Infektion wird laut BBC aber jedenfalls danach den Schutz in der Bevölkerung zusätzlich erhöhen.

Dänische Chefepidemiologin optimistisch

Ganz ähnliche Hoffnungen macht man sich derzeit auch in Dänemark. Das Land, das ebenfalls stärker als viele andere Länder auf ein „Durchlaufenlassen“ von CoV-Wellen setzte, hatte im Dezember sehr wohl mehrere Maßnahmen verhängt: Theater und Kinos sind derzeit geschlossen, es gilt Maskenpflicht in Geschäften und „Öffis“ und der „Grüne Pass“ für die Gastronomie.

Die dänische Chefepidemiologin Tyra Grove Krause machte den Menschen am Montag im öffentlich-rechtlichen Sender TV2 aber Hoffnung auf einen von der Pandemie relativ wenig beeinflussten Alltag.

„Normales Leben“ in zwei Monaten

Omikron werde zwar das Gesundheitssystem belasten, „aber alles deutet darauf hin, dass die Variante milder im Verlauf ist als Delta“. Das Risiko einer Hospitalisierung bei einer Infektion sei nur halb so groß wie bei Delta. Wenn es entsprechend viele Neuinfektionen gebe, „können wir im Gesundheitssystem trotzdem unter Druck kommen“, räumte Krause, Vorstand im staatlichen Serum-Institut, ein. Sie rechnet damit, dass mit Neustart der Schule am Mittwoch die Zahlen steil nach oben gehen werden, wie sie bei einer Pressekonferenz am Dienstag betonte. Die Schülerinnen und Schüler sollen zweimal wöchentlich getestet werden.

Warteschlange vor Teststation in Dänemark
APA/AFP/Ritzau Scanpix/Henning Bagger
Anstellen für einen Test in der dänischen Stadt Aalborg

Die Pandemie werde das Land in den nächsten beiden Monaten zwar noch beherrschen, so Krause. Daher könne man derzeit die Maßnahmen nicht lockern. Doch dann „hoffe ich, dass die Infektionen zurückgehen und wir unser normales Leben zurückbekommen“.

Dass vor allem Politikerinnen und Politiker, aber auch Fachleute die Lage immer wieder zu optimistisch einschätzen, ließ und lässt sich in vielen Ländern beobachten – nicht zuletzt in Österreich. England und Dänemark sind jedenfalls jene Länder, die die Pandemie bereits einmal für praktisch überwunden erklärt hatten: England mit dem „Freedom Day“ am 19. Juli und Dänemark am 9. September letzten Jahres.