Trum-Anhänger bei der Erstürmung des US-Kapitols
APA/AFP/Getty Images/Samuel Corum
Ein Jahr danach

USA noch im Bann der Kapitol-Stürmung

Auch ein Jahr danach stehen die USA noch im Bann der Erstürmung des Kapitols durch Anhänger des damals scheidenden US-Präsidenten Donald Trump. Die Bilder gingen um die Welt – und brannten sich in das kollektive Gedächtnis des Landes. Einige der Randalierer sind mittlerweile verurteilt. Doch politisch sind die Vorgänge vom 6. Jänner 2021 noch lange nicht aufgearbeitet. Und Trump selbst zündelt weiter.

An dem Tag war der Kongress zu einem Formalakt zusammengekommen, nämlich den Wahlerfolg Joe Bidens bei der Präsidentenwahl offiziell zu bestätigen. Bei einer Rede wiegelte Trump seine Anhänger auf, zum Kapitol zu marschieren und „wie der Teufel“ zu kämpfen.

Wie damals spricht Trump heute noch von einem „gestohlenen Wahlsieg“. Beweise dafür hatte er damals genauso wenig wie heute. Aufgestachelt von Trump stürmte daraufhin eine fanatische Menschenmenge den Sitz des US-Kongresses. Fünf Menschen kamen ums Leben, darunter ein Polizeibeamter. Die Eindringlinge verwüsteten Büros und stahlen Inventar.

Trump-Anhänger stürmen am 6. Jänner 2021 das Kapitol in Washington
AP/John Minchillo
Mit Trump-Fahnen wurde das Kapitol eingerannt

Hunderte Verfahren laufen

Strafrechtlich wurden bald Mammutermittlungen des FBI gestartet. Mehr als 720 Menschen wurden festgenommen und angeklagt, und die Zahl steigt immer weiter. Es gab auch schon Dutzende Urteile, praktischerweise hatten sich viele der Randalierer bei ihren Taten selbst fotografiert und gefilmt und die Dokumente in sozialen Netzwerken geteilt.

Mitte November wurde etwa der mit seiner Büffelhornfellmütze als „QAnon-Schamane“ bekanntgewordene Jacob Chansley wegen Behinderung eines offiziellen Vorgangs zu knapp dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Trump-Anhänger im Kapitol
AP/Manuel Balce Ceneta
Der Sturm lieferte mitunter bizarre Bilder

Bisher gab es vor allem Urteile wegen Vergehen wie Hausfriedensbruch und Störung der öffentlichen Ordnung. In den Fällen, in denen Angreifern schwere Gewalttaten – unter anderem gegen Polizisten – zur Last gelegt werden, dürften im Februar die ersten Prozesse beginnen. Das betrifft unter anderen Mitglieder rechtsradikaler Gruppen wie der Proud Boys und der Oath Keepers.

Impeachment gescheitert

Die politische Aufarbeitung gestaltet sich deutlich schwieriger. Der Angriff auf das Herzstück der US-Demokratie wurde von vielen als Putschversuch gewertet. Freilich nicht von Trump und seinen Anhängern. „Am 6. Jänner fand ein vollkommen unbewaffneter Protest gegen die manipulierten Wahlen statt“, erklärte er kürzlich.

Das Repräsentantenhaus leitete eine Woche nach der Gewalt ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump ein, das im Senat aber scheiterte, weil eine Mehrheit der republikanischen Senatoren Trump die Treue hielt. Zwar stimmte am 13. Februar eine klare Mehrheit von 57 zu 43 Senatoren für eine Verurteilung Trumps. Die für einen Schuldspruch notwendige Zweidrittelmehrheit wurde aber deutlich verfehlt. Damit kann Trump künftig weiterhin öffentliche Ämter bekleiden, vor allem aber 2024 eine neue Präsidentschaftskandidatur in Angriff nehmen.

Eingriffe in Wahlprozedere

Und ganz offensichtlich plant er das auch. Emanzipationsversuche der republikanischen Partei von Trump versandeten in den vergangenen Monaten. Und im Hintergrund laufen weiter Machenschaften, die manche als Desavouierung der Demokratie sehen: Einige konservativ regierte Bundesstaaten beschlossen unter Verweis auf angeblichen Wahlbetrug eine Reihe von Reformen, die – so Kritiker – darauf abzielen, tendenziell die Demokraten wählenden Minderheiten wie Afroamerikanern den Gang zur Wahlurne zu erschweren.

Untersuchungsausschuss versucht Aufklärung

Seit dem Sommer untersucht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Hintergründe. Dabei geht es vor allem um die Frage, welche Rolle Trump und sein Umfeld bei der Attacke spielten. Die Abgeordneten wollen unter anderem wissen, was Trump in den Stunden der Kapitol-Erstürmung tat. Hunderte Zeugen wurden bereits befragt und Zehntausende Dokumente durchforstet.

Mehrere Trump-Vertraute widersetzten sich aber den Vorladungen. Im November wurde der ultrarechte Stratege Steve Bannon, der eine Kooperation mit dem Ausschuss verweigert, wegen Missachtung des Kongresses angeklagt. Auch Trumps früherem Stabschef Mark Meadows droht eine solche Anklage.

Starmoderator von Fox News soll befragt werden

Kurz vor dem Jahrestag wurde auch der konservative Fernsehmoderator Sean Hannity zur Auskunft über seine Kommunikation mit Trump aufgefordert. In einem Schreiben teilten die Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Bennie Thompson und Liz Cheney, dem Starmoderator des Senders Fox News am Dienstag mit, dass sie zahlreiche Textnachrichten von ihm an Trump und dessen Gefolge gefunden hätten.

Am Vorabend des Kapitol-Sturms habe Hannity, der regelmäßiger Gast auf Trump-Kundgebungen ist, in einer Nachricht geschrieben, er sei „sehr besorgt über die nächsten 48 Stunden“.

Fotostrecke mit 11 Bildern

Bild zeigt Trump Anhänger im Kapitol am 6. Jänner 2021.
APA/AFP/Saul Loeb
Trump-Anhänger im Kapitol: Manche verhielten sich friedlich und schossen vor allem Erinnerungsfotos
Bild zeigt Trump Anhänger beim Eindringen in das Kapitol am 6. Jänner 2021.
APA/AFP/Getty Images/Win McNamee
Doch in anderen Teilen des Gebäudes herrschte Chaos
Sturm auf das Kapitol
Reuters/Shannon Stapleton
Mit Gewalt drangen die Randalierer in das Gebäude ein
Erstürmung des Kapitols in Washington
Reuters/Shannon Stapleton
Auch vor dem Gebäude kam es zu tumultartigen Szenen
Trump-Anhänger während des Sturms auf das US-Kapitol
Reuters/Mike Theiler
Die Trump-Anhänger öußerten lautstark ihren Unmut
Trump-Anhänger im Kapitol in Washington
AP/Manuel Balce Ceneta
Auch Konföderierten-Fahnen waren zu sehen
Trump-Unterstützer zerschlägt Fenster
APA/AFP/Getty Images/Jon Cherry
Nicht nur Fenster gingen zu Bruch
Trump-Fans bei der Besetzung des US-Kapitols
Reuters/Leah Millis
Mitunter apokalyptische Szenen in Washington
Mitglieder der „Capitol police“ schauen durch ein zerschlagenes Fenster
Reuters/Ahmed Gaber
Mitglieder der „Capitol Police“ konnten dem Treiben nur zusehen
Ein Sicherheitsmann des Kapitols in Washington besprüht einen Mann, der durch das Fenster in das Gebäude eindringt
Reuters/ Kevin Dietsch
Mit Pfefferspray versuchten sich die Sicherheitskräfte zu helfen
Trump-Anhänger vor dem Kapitol in der US-Hauptstadt Washington
Reuters/Leah Millis
Gewalt unter dem Decknamen der „Freiheit“

Streit über Dokumente

Derzeit tobt außerdem ein Rechtsstreit über beim Nationalarchiv gelagerte Dokumente aus Trumps Zeit im Weißen Haus. Der Ex-Präsident hat gegen eine Herausgabe der Unterlagen an den Untersuchungsausschuss geklagt und ist bis vor den Supreme Court gezogen, wo eine Entscheidung noch aussteht.

Allerdings zog auch der Ausschuss selbst – offenbar auf Druck des Weißen Hauses – die Anforderung einiger Dokumente zurück. Die Dokumente würden keinen Bezug zu den Vorgängen haben, hieß es. Berichten zufolge sorgt sich das Weiße Haus bei diesen Dokumenten um die nationale Sicherheit und befürchtet, einen Präzedenzfall zu schaffen.

Biden hält Rede, Trump sagt Termin ab

Präsident Biden will jedenfalls am Donnerstag eine Ansprache halten. Er will laut vorab verbreiteten Redeauszügen vor der Akzeptanz politischer Gewalt in den USA warnen. „Werden wir eine Nation sein, die politische Gewalt als Regelfall akzeptiert?“, heißt es darin. „Wir können es uns nicht erlauben, diese Art von Nation zu sein.“ An die US-Bürger richtet er demnach die Aufforderung, „die Wahrheit anzuerkennen“ und nicht „im Schatten der Lügen“ zu leben.

Trump sagte hingegen eine für den Abend angesetzte Pressekonferenz in seinem Anwesen Mar-a-Lago in Florida ab und erklärte, er werde stattdessen viele der gleichen Themen auf einer Veranstaltung am 15. Jänner ansprechen.

Demokratische Institutionen nahmen Schaden

Geblieben ist ein nachhaltiges Misstrauen ins Wahlsystem und demokratische Grundfesten – vor allem bei den Trump-Anhängern, aber nicht nur dort. Millionen haben ihr Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse verloren. In einer unlängst veröffentlichten Umfrage des Senders CBS News sagten zwei Drittel der Befragten, die US-Demokratie sei „bedroht“. Den Sturm auf das Kapitol halten sie demnach für ein „Zeichen zunehmender politischer Gewalt“.

Laut einer weiteren Umfrage der „Washington Post“ in Zusammenarbeit mit der Universität von Maryland hat zudem der Stolz der US-Bürger auf ihr demokratisches System stark abgenommen. Nur noch 54 Prozent der Befragten gaben an, stolz auf die US-Demokratie zu sein. 2002 waren es noch 90 Prozent.

Schlechte Vorzeichen für nächste Wahlen

Weitere Ergebnisse der beiden Umfragen liefern konkreten Anlass zur Sorge: Gegenüber CBS News gaben 28 Prozent der Befragten an, dass der Einsatz von Gewalt zur Verteidigung des Wahlergebnisses nötig sein kann. Der „Washington Post“ sagten 34 Prozent der Umfrageteilnehmer, dass Gewalt gegen die Regierung manchmal gerechtfertigt sei. Für den Päsidentschaftswahlkampf 2024 – und auch für die Midterm-Elections heuer im Herbst sind das alles in allem schlechte Vorzeichen.