David Bowie, am 14. Mai 1978, in Frankfurt
picturedesk.com/dpa/Hans H. Kirmer
David Bowie wäre 75

Künstler von einem anderen Stern

Als David Bowie vor sechs Jahren starb, war die Musikwelt schockiert wie zuvor wohl nur bei Elvis Presley, John Lennon und Michael Jackson. Bis heute fasziniert er als wandlungsfähiger Inszenierungskünstler. Am Samstag wäre Bowie 75 geworden. Mit einem CD-Boxset gedenkt man des Künstlers, dessen Rechte gerade um 250 Millionen Dollar verkauft wurden.

„Look up here, I’m in heaven“, sang Bowie 2016 im Musikvideo „Lazarus“ mit einem unheimlichen Verband mit zwei aufgenähten Augen um den Kopf gewickelt. Der Song war die erste Single des neuen Albums „Blackstar“, das am 8. Jänner erschien und als Großtat eines Altmeisters, als „erstes Alterswerk“ hymnisch gefeiert wurde.

Nur zwei Tage später starb Bowie, der seine Krebserkrankung stets geheim gehalten hatte, zur Überraschung der Öffentlichkeit – und sein „Lazarus“-Video wurde zur unheimlichen Jenseitsbotschaft: Der große Inszenierungskünstler hatte, so schien es, sogar seinen Abschied performativ ausgestaltet und als größtmögliches Mysterium inszeniert.

„Rocky Horror Picture Show“ bis Lady Gaga

Blickt man allein auf den kommerziellen Erfolg, so ist der unter dem Namen David Robert Jones geborene Künstler auf den einschlägigen Musiklisten nicht sehr weit oben zu finden. Bowies künstlerische Bedeutung und sein enormer Einfluss auf Musik, Mode und Film der letzten Dekaden sind aber kaum zu unterschätzen: Bowie inspirierte die Musik von Metallica, Lady Gaga bis hin zu Minimal-Music-Artist Philip Glass und stand etwa Pate für Dr. Frank-N-Furter aus der „Rocky Horror Picture Show“ (1975).

In den 1970ern wurde der „Ziggy Stardust“-Vokuhila tausendfach kopiert, Make-up und Aufzüge inspirierten die Haute Couture, zuletzt etwa in Form silberner „Ziggy Stardust Boots“ in der Saint-Laurent-Kollektion von 2014. Den Popstar als absolute Kunstfigur, ihn gibt es erst seit Bowie: Mit seinen Traumgestalten Major Tom und Ziggy Stardust spielte er mit unterschiedlichen Identitäten wie kein anderer.

Eine Frau legt in Brixton (Südlondon) vor einem Wandgemälde von David Bowie als Ziggy Stardust Blumen nieder
Reuters/Stefan Wermuth
Trauern um David Bowie: Gedenkstätte im „Aladdin Sane“-Look in Bowies Herkunftsbezirk Brixton, Südlondon

Stilprägend war auch sein musikalisches Schaffen, das von Pop bis Jazz, Electro bis Folk, Avantgarde bis „Plastic Soul“ reichte. „Der zerquetschte Rest ethnischer Musik, wie sie im Zeitalter der Kaufhausmusik überlebt hat, geschrieben und gesungen von einem weißen Engländer“, so nannte Bowie etwa in einem Interview augenzwinkernd das von ihm so benannte „Genre“, das er mit seinem Hitalbum „Young Americans“ (1975) kreierte.

Soundtrack zur Mondlandung

Geboren wurde Bowie am 8. Januar 1947 als Sohn von Arbeiterklasseeltern im Londoner Stadtteil Brixton. „Es war keine besonders glückliche Kindheit“, so der Musiker einmal. Bowie wird eher als zurückhaltender Bub beschrieben. Sein Bedürfnis, aufzutreten und als anders erkannt zu werden, habe sich aber, so heißt es, schon als Kind gezeigt, als er im Turnunterricht seine Lehrer mit ausgefinkelten Posen beeindruckte, schrieb etwa der „New Yorker“ 2016 in einem Nachruf.

Beeinflusst durch seinen Halbbruder Terry kam Bowie als Neunjähriger mit Rock ’n’ Roll in Berührung. Er spielte in seiner Jugend in verschiedenen Bands und probierte sich schon früh als feminin-queerer Rockträger aus. Mit seiner Single „Space Oddity“, die in den Tagen rund um die Mondlandung 1969 in Großbritannien rauf- und runtergespielt wurde, schnupperte Bowie erstmals Starluft.

Seinen Durchbruch feierte er drei Jahre später mit „The Rise and Fall of Ziggy Stardust“. Mit dem schillernden Ziggy befreite Bowie nicht nur den Rockstar vom faden Outfit, sondern verwischte die Grenze zwischen den Geschlechtern, als das eine breite Masse noch schockierte. Für eine Generation von Männern, die keine Lust mehr hatte, sich als „harte Kerle“ zu inszenieren, wurde Bowie zur Ikone. Für Gesprächsstoff sorgte 1972 auch, dass er sich – gerade frisch verheiratet und mit Kind – als einer der ersten Weltstars offen als homosexuell bekannte.

David Bowie
Reuters/Dylan Martinez
Bowie als Stilikone: 1992 trat er, als Tribut an das „Life on Mars?“-Video, wieder im türkisfarbenen Anzug auf

Dunkle Seiten

In den suchtgeprägten, zugleich extrem kreativen 1970er Jahre in New York entstanden die Glamrock-Hits „Changes“ und „Rebel Rebel“, aber auch „Young Americans“. Buchveröffentlichungen beleuchten mittlerweile – zumindest am Rande – kritisch die dunklen Seiten des Stars, die sich damals auch offenbarten: Bowie kokettierte mit Nazi-Symbolik und -Ideen und nutzte minderjährige „Groupies“ exzessiv aus, hält etwa Dylan Jones Biografie „David Bowie – Ein Leben“ (2018) fest.

Nach seinem Umzug nach Berlin, wo Bowie nicht zuletzt in einer WG mit Iggy Pop Abstand vom Popspektakel suchte, entstand das legendäre Artpop-Album „Heroes“ (1977). Mit „Let’s Dance“ wurde er 1983 zum Weltstar und reüssierte daraufhin als konventionellerer Stadionrocker. „Sobald man zum Mainstream gehört, wird auf einmal alles leer und vollkommen hinfällig“, sagte er später einmal zu dieser Zeit.

Neuerscheinung „Toy:Box“

Konsequent setzte er – für sein Publikum durchaus irritierend – in den Neunzigern verstärkt auf Stilexperimente. Nach den soliden Poprock-Alben von „Heathen“ (2002) und „Reality“ (2003) erlitt Bowie bei einem Konzertauftritt in Deutschland einen Herzinfarkt und zog sich daraufhin mehrere Jahre mit seiner Ehefrau, dem Model Iman Abdulmajid, und einem gemeinsamen Kind nach New York zurück, ehe er sich mit „The Next Day“ (2013) zurückmeldete – und mit besagtem Album „Blackstar“, für das er postum mit gleich vier Grammys prämiert wurde.

Verstörend neue Ästhetik mit Eingängigkeit zu verbinden, das gelang Bowie auf beeindruckende Weise bis zuletzt immer wieder. Anlässlich seines 75ers wird Bowie nun unter anderem mit einer Luxusausgabe von „Toy“ gewürdigt. Das 2000 aufgenommene, bereits im Herbst 2020 in schlankerer Form veröffentlichte Album blickt auf Bowies Frühphase zwischen zwischen 1964 und 1971 zurück: Das Album hätte eigentlich schon 2001 veröffentlicht werden sollen, verschwand aber nach einem Streit mit Bowies Plattenfirma im Tresor. Nichts Neues oder Sensationelles, aber ein „angemessener Trost für Fans am Bowie-Geburtstag“, urteilte die dpa dazu.

David Bowie wäre 75 geworden

Der unvergessliche David Bowie wäre am 8. Jänner 75 Jahre alt geworden. Mit seinem Dance-Pop feierte er in den 1980ern Erfolge. Auch die Schauspielerei fesselte ihn sein ganzes Leben lang.

Spuren des Stars, der das „Space Age“ wie kein anderer performativ und textlich begleitete, lassen sich inzwischen auch im Weltraum finden: Seit 2015 trägt ein Himmelskörper den Namen „342843 Davidbowie“. Und 2016 wurde Bowie ein einiges Sternbild gewidmet – in Form des berühmten Blitzes, den er auf dem Cover von „Aladdin Sane“ (1973) im Gesicht trug.