Musikerin PinkPantheress
Parlophone Records
PinkPantheress

BBC-Prognose hebt TikTok-Star aufs Podest

Die englische Sängerin PinkPantheress hat laut BBC das Zeug zum nächsten Superstar. 135 Expertinnen und Experten wählten die Sängerin, die mit Soundschnipseln über TikTok bekannt wurde, an die Spitze der renommierten Prognose „Sound of 2022“. PinkPantheress singt mit zarter Stimme über Retrobeats. Abzuwarten bleibt, ob die Prognose heuer zur Treffsicherheit früherer Jahre zurückfindet. Zuletzt bestätigten sich die Vorhersagen kaum.

Gleich die ersten vier Plätze sind heuer von Frauen belegt. Und ganz vorne steht die 20-jährige PinkPantheress, die aus dem englischen Bath stammt und eigentlich in London Film studiert. Bekannt wurde sie auf der Social-Media-Plattform TikTok. Dort begann sie vor rund einem Jahr kurze Musik-Snippets hochzuladen – und ließ andere entscheiden, aus welchen der Skizzen sie ganze Songs entwickelt.

Selbst diese hält sie mit einer Dauer von meist rund zwei Minuten knackig. Bisher produzierte sie die Musik in nächtlichen Sessions in ihrem Studierendenwohnheim. Vielleicht singt sie auch deswegen mit leiser Stimme über Dancebeats. Mit Drum and Bass und Garage sind das Stile, die mittlerweile ein bisschen aus der Mode gekommen sind. „Neue Nostalgie“ nennt sie das.

TikTok als Talenteplattform

Erst mit ersten Erfolgen wie dem Song „Just for me“, der auch von Coldplay gecovert wurde, und „Pain“ gab sie teilweise ihre Identität preis. Ihren tatsächlichen Namen hält sie weiter geheim. „Ich finde es einfacher, nicht alle Karten auf den Tisch zu legen“, sagte sie der BBC. Doch mit dem nun zu erwartenden Popularitätsschub dürfte mit der Geheimniskrämerei ohnehin Schluss sein.

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis der Social-Media-Dienst TikTok als Sprungbrett für Musikerinnen und Musiker quasi offiziell geadelt wurde. Die Entwicklung erinnert an die kurze Zeit vor rund 15 Jahren, als MySpace von einem Social-Media-Vorläufer plötzlich zur Musikplattform und Talentebörse mutierte.

Indie-Frauen-Duo auf Platz zwei

Platz zwei ging an Wet Leg. Rhian Teasdale und Hester Chambers stammen von der Isle of Wight – damit konnte sich seit Längerem wieder einmal eine Gitarrenband im BBC-Ranking in Szene setzen. FM4 hat das Frauenduo schon länger auf dem Radar. Mit „Chaise Longue“, „Wet Dream“ und „Too Late Now“ waren gleich drei Singles in den Charts des Senders vertreten, inklusive Top-Ten-Platzierung in den Jahrescharts.

Auf Platz drei und vier landeten mit Mimi Webb und Lola Young zwei britische Sängerinnen, die stimmlich an Superstar Adele erinnern. Webb kann bereits einige Platzierungen in den britischen Charts aufweisen. Platz fünf geht an den Londoner Rapper Central Cee.

Beispiel macht in Österreich Schule

Das Beispiel der BBC macht auch in Österreich Schule. FM4 stellt zu Jahresbeginn ebenfalls hoffnungsvolle Acts vor. Teilweise gibt es dabei Überschneidungen mit der BBC-Prognose, teilweise werden aber auch österreichische Künstlerinnen und Künstler berücksichtigt – mehr dazu in fm4.ORF.at.

Ein Ranking der aussichtsreichen zehn österreichischen Acts für 2022 brachte „The Gap“. Autor Michel Attia sieht vor allem für die in Wien lebende 25-jährige Britin Florence Arman ein Riesenpotenzial – mehr dazu in oe1.ORF.at. Und auch der „Standard“ suchte 15 heimische Musikhoffnungen für das heurige Jahr zusammen.

Eine selbsterfüllende Prophezeiung?

Die seit 2003 durchgeführte BBC-Prognose brachte mit zunehmender Beachtung freilich auch selbst die gekürten Künstlerinnen und Künstler ins Rampenlicht. Mittlerweile versuchen viele Plattenlabels, ihre neuen und vielversprechenden Acts möglichst auf den Trendlisten wie jener der BBC unterzubringen. Dazu gehört, die Songs im Internet anzutesten, einen kleinen Hype zu erzeugen und dann bei den Kritikern zu landen. Mit dem ersten Erfolg wird die gesamte Marketingmaschine angeworfen, um den neuen Schwung zu nutzen.

Wobei: In einer mittlerweile extrem fragmentierten Musikwelt darf sich niemand mehr erwarten, dass jährlich ein globaler Superstar wie Phönix aus der Asche steigt. Ein Erfolg in musikalischen Nischen ist vielleicht schon das höchste der zu erreichenden Gefühle, Chartplatzierungen sind in Zeiten von Streaming keine allzu harte Währung mehr.

In vergangenen Jahren gefloppt

In den vergangenen Jahren lag man jedenfalls meistens arg daneben. Vorjahressieger war der Rapper Pa Salieu, der 2021 zwar zwei Singles veröffentlichte, aber nicht einmal in Großbritannien groß damit auffiel. Ähnlich ging es in den Jahren davor Sängerin Celeste, dem Rapper Octavian und den Sängerinnen Ray BLK und Sigrid.

In den Jahren zuvor lief es so halbgut: Jack Garratt und die Band Years & Years waren in den Jahren ihrer Kür 2016 und 2015 einigermaßen erfolgreich. Hinter Years & Years landete damals ein gewisser Stormzy auf Platz drei – mittlerweile ist der Grime-Rapper zumindest in Großbritannien ein Superstar.

Karriere auch für Platzierte

Eine Riesenkarriere machte Sam Smith, Gewinner von 2014. Das kalifornische Schwesterntrio Haim konnte die 2013 vergebenen Vorschusslorbeeren nicht ganz bestätigen. Auch der als Superstar 2012 vorhergesagte britische Soulmusiker Kiwanuka hat eine feine, aber überschaubare Fangemeinde. Dafür schaffte der auf Platz zwei gereihte US-R&B-Sänger Frank Ocean den gefeierten Durchbruch, und der auf Platz vier gereihte US-Produzent und DJ Skrillex war lange auch in aller Munde.

Erstaunlich treffsicher zu Beginn

Zuvor war man erstaunlich treffsicher gewesen: Als die BBC 2003 erstmals Musikexperten um eine Einschätzung bat, kürten diese den damals noch kaum bekannten US-Rapper 50 Cent zum kommenden Star. Sie sollten recht behalten – wie sehr oft in den darauffolgenden Jahren. Überhaupt schafften fast alle der zehn genannten Musiker und Bands aus diesem Jahr – von Interpol über die Yeah Yeah Yeahs bis zu Sean Paul – den Durchbruch.

2004 lag die britische Band Keane an der Spitze, die Gruppen Franz Ferdinand, Scissor Sisters und Razorlight blieben auf den Plätzen, sollten aber tatsächlich viel erfolgreicher werden als Keane. 2005 fanden sich The Bravery, Bloc Party und Kaiser Chiefs auf der BBC-Liste.

Während von der Siegerin 2009, Little Boots, kaum etwas zu hören war, sollte eine andere Frau auf der Liste schon bald das Popuniversum beherrschen: Lady Gaga. Die britische Sängerin Adele, die 2008 topgereiht war, war ebenfalls ein Volltreffer. Sie veröffentlichte 2021 ihr lange erwartetes Album „30“.