Impfstraße in Hanau, Deutschland
APA/dpa/Sebastian Gollnow
Neue Voraussetzungen?

Omikron stellt Impfpflicht auf den Prüfstand

Noch in den kommenden Wochen soll das heimische Gesetz zur Impfpflicht den Nationalrat passieren. Doch mit dem nahenden Ende der Begutachtungsfrist mehren sich die Stimmen, die einmahnen, den Plan zu überdenken. Dahinter steht auch die Erwartung, dass sich in den nächsten Wochen große Teile der Bevölkerung mit der hochansteckenden Omikron-Variante infizieren werden.

Wenn die Omikron-Welle erst einmal über das Land geschwappt sei, werde die Bevölkerung wohl in einem Ausmaß immunisiert sein, „wie wir es noch nie hatten“. Das sagte der Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems Dienstagabend in der ZIB. Der Mediziner zog daraus auch seine Schlüsse: „Daher muss man die Impfpflicht nach der Omikron-Welle wahrscheinlich neu bewerten“, so Gartlehner.

Hinter dieser Einschätzung steht die Grundannahme, mit der die heimische Impfpflicht rechtlich argumentiert wird: die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Eine Impfung senke das Risiko für schwere Verläufe markant, das wiederum entlaste die Krankenhäuser, so die Argumentation.

Debatte über Impfpflicht

Viele scheinen von dem geplanten Gesetz für eine Impfpflicht abzurücken. 70.000 Stellungnahmen gibt es gegen den Gesetzesentwurf. Politisch scheinen sich auch die Sozialpartner von der Impfpflicht zu entfernen.

„Könnte aus rechtlicher Sicht etwas ändern“

Doch wenn sich viele Menschen, die derzeit noch ungeimpft sind, in der eben beginnenden Omikron-Welle immunisieren, könnte dieses Schutzargument wegfallen – zumindest für den Moment. Daraus könnten sich auch Folgen für die rechtliche Begründung einer Impfpflicht ergeben, wie der Jurist Karl Stöger im Ö1 Mittagsjournal einräumte.

„Das könnte aus rechtlicher Sicht dann etwas ändern, wenn durch eine hohe Infektiösität von Omikron in der Bevölkerung eine hohe Immunität entsteht, die der einer Impfung gleichwertig oder überlegen ist“, so Stöger, der als Teil der gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination (GECKO) auch die Bundesregierung berät.

Der Jurist gab aber zu bedenken, dass auch weitere Varianten folgen könnten. Es stelle sich auch die Frage, „verdrängt Omikron wirklich alle anderen auch ansteckenden oder gefährlicheren Varianten wie Delta. Das sind medizinische Fragen, die zu beurteilen sind, und die haben natürlich auf die rechtliche Beurteilung Auswirkungen“, sagte Stöger. Schließlich gehe es auch darum, dass das Gesundheitssystem im kommenden Herbst und Winter ebenfalls nicht erneut überlastet werde.

CoV: Hält die Impfpflicht?

Mit 1. Februar soll in Österreich die umstrittene CoV-Impfpflicht in Kraft treten – doch ob sie auch unter Omikron-Bedingungen juristisch haltbar ist, lässt sich derzeit laut einem Experten offenbar nur schwer abschätzen.

Impfpflicht, „wenn man mehr weiß“

Laut Stöger könnte es durchaus eine Möglichkeit sein, das Gesetzgebungsverfahren in den kommenden Wochen zu Ende zu bringen, die Impfpflicht aber vielleicht erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft treten zu lassen – „wenn man mehr weiß“. Man könnte die Impfpflicht aber auch „vorübergehend aussetzen“, um zu schauen, „ob Omikron jetzt wirklich die Regeln ändert, wie das manche vermuten, oder ob das nicht der Fall ist und daher die Impfpflicht weiterhin gebraucht wird“.

Der Infektiologe Herwig Kollaritsch, auch Mitglied der gesamtstaatlichen Covid-Krisenkommunikation (GECKO) und des Nationalen Impfgremiums (NIG), glaubt im „Kurier“-Interview nicht, dass die Impfpflicht mit der Omikron-Welle obsolet sei. Die Impfpflicht müsse aber unter anderen Voraussetzungen als bisher gesehen werden: „Es geht darum, die Krankheitslast in der Bevölkerung langfristig zu vermeiden“, sagte er gegenüber dem „Kurier“. Man müsse die Maßnahmen langfristiger denken, denn „der nächste Herbst kommt bestimmt“.

Politische Diskussion angefacht

Angesichts von Omikron und dem Ende der Begutachtungsfrist scheint die politische Diskussion jedenfalls noch einmal an Fahrt zu gewinnen. Am Mittwoch forderte etwa NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger, dass angesichts der Expertenäußerungen „die medizinischen und damit rechtlichen Auswirkungen von Omikron rasch auf den Tisch gelegt werden und offen diskutiert werden“ müssten. NEOS hatte sich bisher für eine Impfplicht ausgesprochen – und auch in Aussicht gestellt, ein entsprechendes Gesetz im Parlament zu unterstützen.

Ganz anders hatte sich die FPÖ von Anfang an gegen eine mögliche Impfpflicht positioniert. Parteichef Herbert Kickl wollte die Aussagen Gartlehners nun auch als Unterstützung für die Position seiner Partei verstanden wissen. "Die Impfung wirkt, aber sie wirkt nicht gut genug, um sie als alleinigen Ausweg aus der Krise per Gesetz vorschreiben zu können, so Kickl. Mehr als 132.000 – großteils gleichlautende – Stellungnahmen zu den beiden „Impfzwang-Gesetzesentwürfen“ auf der Parlamentswebsite würden eine deutliche Sprache sprechen, so der FPÖ-Chef in einer Aussendung.

Die SPÖ wiederum galt bisher als klare Befürworterin einer Impfpflicht. Am Mittwoch äußerte allerdings Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) ebenfalls leichte Zweifel. „Das Thema Impfpflicht bröckelt auf Bundesebene ein bisschen“, sagte der SPÖ-Politiker. Doskozils Bedenken speisten sich freilich nicht nur aus der beginnenden Omikron-Welle. Die Impfpflicht sei in der geplanten Form nur eine „indirekte“. „Denn wenn ich alle paar Monate die Verwaltungsstrafe von 600 Euro bezahle, kann ich mich damit eigentlich rauszahlen“ – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

Sozialpartner denken über „gelindere Mittel“ nach

Der Landeshauptmann stellte auch in den Raum, ob eine Steigerung der Impfquote nicht auch durch gelindere Mittel erreichbar wäre – und war damit nicht alleine. Auch die Sozialpartner stellten die Option erneut in den Raum. Zwar gaben die Vertretungen von Arbeitern und Arbeitgebern in dem Begutachtungsverfahren noch keine Stellungnahmen ab. Ihre Anmerkungen sollen aber noch in den kommenden Tagen folgen. Und wie die „Salzburger Nachrichten“ als Erstes berichteten, wollen die Sozialpartner ihren Stellungnahmen eine gemeinsame Präambel voranstellen.

Diese wollen die Sozialpartner zwar nicht als generelle Kritik an der Impfpflicht verstanden wissen. Sehr wohl bemängeln sie darin aber, „die politischen Akteure“ hätten „einiges verabsäumt und keineswegs alle Mittel ausgeschöpft, um eine hohe Durchimpfung zu erreichen“. Auch mahnen die Sozialpartner die Politik, zu beobachten, ob der mit der Impfpflicht verbundene Grundrechtseingriff noch verhältnismäßig ist – „oder ob das Ziel auch mit gelinderen Mitteln erreicht werden kann“.

Es sei wichtig, „dass mehr sachliche Informationen an die Bevölkerung kommen, nämlich Informationen über den Schutz der Impfung“, sagte dazu Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl im Ö1-Mittagsjournal. Zugleich sprach sich die AK-Chefin – ähnlich wie der Gewerkschaftsbund – für finanzielle Impfanreize per Gutschein aus. Auch die Wirtschaftskammer bekräftigte am Mittwoch in einer schriftlichen Stellungnahme den Wunsch nach besserer Information der Bevölkerung und einer Impfprämie.