US-Präsident Joe Biden
Reuters/Michael Reynolds
Kapitol-Stürmung

Biden kritisiert Trump scharf

Während die politische Aufarbeitung der Ereignisse rund um die Erstürmung des US-Kapitols noch läuft, hat US-Präsident Joe Biden seinen Amtsvorgänger bei einer Gedenkveranstaltung dazu ungewöhnlich scharf kritisiert und verantwortlich gemacht. Es gebe ein „Netz der Lügen“ rund um die Wahl 2020, noch nie habe ein US-Präsident versucht, „eine friedliche Machtübergabe zu verhindern“. Donald Trump reagierte umgehend.

Der Demokrat Biden kritisierte, der damalige Amtsinhaber Trump habe den Angriff am 6. Jänner 2021 im Fernsehen stundenlang verfolgt „und nichts getan“. Der Republikaner Trump stelle seine eigenen Interessen über die der USA. „Sein angeschlagenes Ego ist ihm wichtiger als unsere Demokratie oder unsere Verfassung. Er kann sich nicht damit abfinden, dass er verloren hat“, sagte Biden am Donnerstag in einer Ansprache zum Jahrestag im Kapitol. „An diesem Gedenktag müssen wir dafür sorgen, dass ein solcher Angriff nie wieder geschieht.“

Trump habe „ein Netz der Lügen“ um die Präsidentschaftswahl vom November 2020 gesponnen, weil ihm „Macht“ wichtiger sei als „Prinzipien“, sagte Biden weiter. Die Lügen, die „die Wut und den Wahnsinn“ vor einem Jahr angetrieben hätten, seien nicht verschwunden. Darum müsse man sich ihnen entgegenstellen.

Kapitol-Stürmung: Biden beschuldigt Trump

In seiner Rede zum ersten Jahrestag der Erstürmung des US-Kapitols hat Präsident Biden seinem Vorgänger Trump die Mitschuld für die Eskalation am 6. Jänner 2021 gegeben. Zudem habe Trump „ein Netz der Lügen" um die Wahl 2020 gesponnen.

Trump verbreitet bis heute die vielfach widerlegte Behauptung, er sei durch Wahlbetrug um eine zweite Amtszeit gebracht worden. Umfragen zufolge glauben rund zwei Drittel der konservativen Wähler diese Darstellung. Dafür gebe es bis heute aber keinerlei Hinweise, sagte Biden in seiner Rede.

„Kampf um Demokratie“

Der Schmerz und die Wunden seien tief, so Biden weiter. Es sei auch ein Kampf um die Seele der USA, den er, Biden, nicht wolle, aber austragen werde, er werde die Nation USA verteidigen. Ein US-Präsident solle einen und nicht spalten. Er, Biden, werde niemandem erlauben, der Demokratie einen Dolch an die Kehle zu setzen. Biden warnte, die USA und die Welt befänden sich heute in einem „Kampf zwischen Demokratie und Autokratie“. In Zukunft sollte der 6. Jänner an die Renaissance von Freiheit und Fair Play erinnern.

Joe Biden und Kamala Harris
Reuters/Greg Nash
Biden und Harris bei der Gedenkfeier im US-Kapitol

Vizepräsidentin Kamala Harris sagte in ihrer Rede vor Biden, der 6. Jänner habe sowohl die „Stärke“ als auch die „Zerbrechlichkeit“ der US-Demokratie gezeigt. „Wir müssen uns zur Verteidigung unserer Demokratie vereinen“, appellierte auch sie an die politisch gespaltene US-Bevölkerung.

Schweigeminute im US-Kongress

Beide Kammern des US-Kongresses gedachten in einer Schweigeminute der gewaltsamen Attacke auf das Kapitol. Mitglieder des Repräsentantenhauses und des Senats hielten mit Blick auf den Gewaltausbruch vom 6. Jänner 2021 einen Moment inne. Bei einer Sitzung des Senats berichteten mehrere Senatoren von ihren persönlichen Erinnerungen. Bei diversen Gedenkveranstaltungen in Washington meldeten sich vor allem Demokraten zu Wort, während sich Republikaner auffallend mit öffentlichen Stellungnahmen und Auftritten zurückhielten.

Der republikanische Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, etwa veröffentlichte lediglich eine schriftliche Stellungnahme, in der er die Attacke einen „dunklen Tag“ für den Kongress und das Land nannte und die Angreifer von damals als „Kriminelle“ bezeichnete. Zugleich warf McConnell „einigen“ Demokraten vor, den Jahrestag für parteipolitische Zwecke auszunutzen. Andere Führungsfiguren der Republikanischen Partei schwiegen ganz.

Trump sieht „politische Theater“

Üblicherweise halten sich US-Präsidenten mit Kritik an ihren Vorgängern zurück, Biden nannte Trump nicht beim Namen. Der hingegen meldete sich umgehend nach der Rede im Kapitol in einer schriftlichen Stellungnahme: Biden nutze Trumps Namen, um zu versuchen, die USA weiter zu spalten. „Dieses politische Theater ist nur eine Ablenkung von der Tatsache, dass Biden völlig und total versagt“.

Hunderte radikale Trump-Anhänger hatten das Kapitol in Washington gestürmt, als dort Bidens Sieg bei der Präsidentschaftswahl vom November 2020 in einem Formalakt offiziell bestätigt werden sollte. Bei einer Rede davor wiegelte Trump seine Anhänger auf, zum Kapitol zu marschieren und „wie der Teufel“ zu kämpfen. Aufgestachelt stürmte daraufhin eine fanatische Menschenmenge den Sitz des US-Kongresses. Fünf Menschen kamen ums Leben, darunter ein Polizeibeamter. Die Eindringlinge verwüsteten Büros und stahlen Inventar.

Hunderte Verfahren laufen

Mehr als 720 Menschen wurden danach festgenommen und angeklagt, und die Zahl steigt immer weiter. Es gab auch schon Dutzende Urteile, praktischerweise hatten sich viele der Randalierer bei ihren Taten selbst fotografiert und gefilmt und die Dokumente in sozialen Netzwerken geteilt.

Mitte November wurde etwa der mit seiner Büffelhornfellmütze als „QAnon-Schamane“ bekanntgewordene Jacob Chansley wegen Behinderung eines offiziellen Vorgangs zu knapp dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Trump-Anhänger im Kapitol
AP/Manuel Balce Ceneta
Der Sturm lieferte mitunter bizarre Bilder

Bisher gab es vor allem Urteile wegen Vergehen wie Hausfriedensbruch und Störung der öffentlichen Ordnung. In den Fällen, in denen Angreifern schwere Gewalttaten – unter anderem gegen Polizisten – zur Last gelegt werden, dürften im Februar die ersten Prozesse beginnen. Das betrifft unter anderen Mitglieder rechtsradikaler Gruppen wie der Proud Boys und der Oath Keepers.

Impeachment gescheitert

Die politische Aufarbeitung gestaltet sich deutlich schwieriger. Der Angriff auf das Herzstück der US-Demokratie wurde von vielen als Putschversuch gewertet – wenn auch nicht von Trump und seinen Anhängern und vielen Republikanern. Das Repräsentantenhaus leitete eine Woche nach der Erstürmung ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump ein, das im Senat aber scheiterte, weil eine Mehrheit der republikanischen Senatoren Trump die Treue hielt.

Zwar stimmte am 13. Februar eine klare Mehrheit von 57 zu 43 Senatoren für eine Verurteilung Trumps. Die für einen Schuldspruch notwendige Zweidrittelmehrheit wurde aber deutlich verfehlt. Damit kann Trump künftig weiterhin öffentliche Ämter bekleiden, vor allem aber 2024 eine neue Präsidentschaftskandidatur in Angriff nehmen.

Untersuchungsausschuss versucht Aufklärung

Seit dem Sommer untersucht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Hintergründe. Dabei geht es vor allem um die Frage, welche Rolle Trump und sein Umfeld bei der Attacke spielten. Die Abgeordneten wollen unter anderem wissen, was Trump in den Stunden der Kapitol-Erstürmung tat. Hunderte Zeugen wurden bereits befragt und Zehntausende Dokumente durchforstet.

Mehrere Trump-Vertraute widersetzten sich aber den Vorladungen. Im November wurde der ultrarechte Stratege Steve Bannon, der eine Kooperation mit dem Ausschuss verweigert, wegen Missachtung des Kongresses angeklagt. Auch Trumps früherem Stabschef Mark Meadows droht eine solche Anklage.