Soldaten in Almaty
Reuters/Mariya Gordeyeva
Tote und Verletzte

Gespannte Lage nach Protesten in Kasachstan

Trotz des Einsatzes von Soldaten einer von Russland angeführten Allianz gehen die Proteste und gewalttätigen Ausschreitungen in Kasachstan weiter. Der Hauptplatz der größten Stadt Almaty wurde am Donnerstag abwechselnd von Demonstranten und Militär kontrolliert. Am Abend kam es dort zu neuen Zusammenstößen. Davor soll es bereits Dutzende Tote gegeben haben.

Ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters berichtete von Explosionen und Schüssen. Die Schüsse endeten mit dem Anbruch der Dunkelheit. Die russische Staatsagentur TASS meldete unter Berufung auf Augenzeugen, es habe weitere Tote gegeben. Soldaten übernahmen im Laufe des Tages die Kontrolle über den Hauptflughafen, der von Demonstranten und Demonstrantinnen besetzt worden war.

Reuters-Reporter berichteten, in Almaty seien eine Residenz des Präsidenten und ein Büro des Bürgermeisters in Brand gesetzt worden. In den Straßen standen zahlreiche ausgebrannte Autos. Militärfahrzeuge fuhren auf, laut TASS feuerten Soldaten auf Demonstrierende und Autos auf dem Hauptplatz.

Ausgebranntes Auto in Almaty
Reuters/Pavel Mikheyev
Zahlreiche ausgebrannte Autos waren in Almaty zu sehen

Die Unruhen in Kasachstan halten seit Tagen an. Die Polizei hat nach eigenen Angaben Dutzende Protestierende getötet, Berichten zufolge kamen auch Sicherheitskräfte ums Leben. Die Proteste hatten sich an einer von der Regierung verhängten Erhöhung der Treibstoffpreise entzündet. Der zentralasiatische Staat ist ein wichtiger Öllieferant, verfügt über seltene Erden und ist der weltgrößte Uranproduzent.

Russland schickte Soldaten als Hilfe

Am Donnerstag griff das von Russland geführte Militärbündnis OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, englisch CSTO) ein. Russland habe im Rahmen eines Friedenseinsatzes Fallschirmspringer entsandt, teilte die OVKS mit. Kasachstan gehört der Allianz an, Präsident Kassym-Schomart Tokajew hatte um Unterstützung gebeten.

Experten werteten Tokajews Hilferuf als Zeichen, dass er sich nicht mehr auf seine Armee verlassen könne. Als Konsequenz aus den Protesten hatte er bereits am Mittwoch die Regierung entlassen und mit einem harten Durchgreifen gegen Demonstranten gedroht. Es wurde ein landesweiter Ausnahmezustand verhängt. Massenansammlungen sind verboten, es gilt eine nächtliche Ausgangssperre.

Terrorgruppen aus dem Ausland?

Laut OVKS ist die Hauptaufgabe der entsandten Soldaten, wichtige staatliche und militärische Einrichtungen zu schützen und die kasachischen Ordnungskräfte zu unterstützen. Das russische Außenministerium erklärte, es handle sich um einen aus dem Ausland gesteuerten Versuch, die Sicherheit und Integrität Kasachstans gewaltsam zu unterwandern. Russland und seine Partner würden mit dem Nachbarland die weiteren Schritte beraten.

Tokajew warf „Terrorgruppen“ vor, hinter den Protesten zu stecken. Ausgebildet würden die Gruppen „im Ausland“, sagte er im Staatsfernsehen. Auch der derzeitige Vorsitzende der OVKS, Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan, erklärte, die Unruhen in Kasachstan seien durch „äußere Einmischung“ ausgelöst worden.

Mittwochmittag hatte Russland noch erklärt, niemand dürfe sich in die inneren Angelegenheiten Kasachstans einmischen, und Kasachstan habe Moskau auch nicht um Hilfe gebeten. Russland reagiert sensibel auf Unruhen und politische Spannungen in früheren Sowjetrepubliken, die es als seinen Einflussbereich ansieht.

Luftansicht der Proteste vor dem Rathaus von Almaty
AP/Yan Blagov
Besonders heftige Krawalle gibt es in der Wirtschaftsmetropole Almaty

Dutzende Tote, Hunderte Verletzte

Bei Ausschreitungen in Kasachstans Wirtschaftsmetropole Almaty gab es zuvor Berichten zufolge Dutzende Tote und mehr als 1.000 Verletzte. Menschen hätten in der Nacht zum Donnerstag versucht, verschiedene Polizeigebäude zu stürmen, zitierte der kasachische Fernsehsender Khabar 24 einen Sprecher des Innenministeriums, wie TASS meldete. Dabei seien „Dutzende Angreifer eliminiert“ worden.

Die Identitäten der „Angreifer“ werden nun ermittelt, berichtete der Sender laut TASS. Ähnliches vermeldete nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax auch die Polizei. Laut dem Gesundheitsministerium wurden 400 Menschen in Krankenhäuser gebracht. Über 60 werden auf Intensivstationen behandelt. Mindestens 18 Sicherheitskräfte wurden getötet, zu Todesopfern unter Zivilisten gab es keine offiziellen Angaben. Rund 2.000 Menschen wurden festgenommen, meldete TASS unter Berufung auf das Innenministerium.

Dutzende Protestierende in Kasachstan getötet

Im zentralasiatischen Kasachstan werden die regierungskritischen Proteste offenbar blutig niedergeschlagen. Dutzende Unruhestifter seien in der Metropole Almaty laut Angaben der Polizei „eliminiert“ worden. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit wird auf Anfrage Kasachstans Friedenstruppen schicken.

Aufruf zur friedlichen Beilegung

Die USA forderten eine friedliche Beilegung der Proteste. US-Außenminister Antony Blinken sicherte in einem Telefonat mit seinem kasachischen Kollegen Muchtar Tleuberdi „volle Unterstützung der Vereinigten Staaten für die verfassungsmäßigen Institutionen Kasachstans und die Medienfreiheit“ zu.

Auch die EU rief zur Zurückhaltung auf. EU-Außenbeauftragte Josep Borrell äußerte „tiefe Besorgnis“: „Die Rechte und die Sicherheit der Zivilbevölkerung müssen sichergestellt sein“. Die Gewalt müsse aufhören, sagte zuvor ein Sprecher der Europäischen Union.

Reisewarnung für Kasachstan

Die UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet sagte, alle Menschen hätten das Recht auf friedlichen Protest und Meinungsfreiheit, gleichzeitig sollten Demonstrierende keine Gewalt gegen andere anwenden. China sieht die Unruhen in seinem Nachbarland Kasachstan als „innere Angelegenheit“ an.

Das österreichische Außenministerium warnte vor Reisen nach Kasachstan. Es gelte eine Reisewarnung (Sicherheitsstufe 6) für ganz Kasachstan, hieß es am Donnerstag auf der Website des Ministeriums. Die Lufthansa entschied unterdessen, „bis auf Weiteres keine regulären Flüge nach Almaty mehr anzubieten“.