Kohlekraftwerk in Cordemais, Frankreich
APA/AFP/Sebastien Salom-Gomis
Angst vor Energiekrise

Frankreich hadert mit dem Kohleausstieg

Der Ausstieg aus der Stromerzeugung mit Kohle gilt als eines der wirksamsten Mittel gegen den Klimawandel. Allerdings gehen Wunsch und Wirklichkeit noch weit auseinander. Im letzten Jahr wurde so viel Strom aus Kohle erzeugt wie kaum zuvor. Nun will etwa Frankreich alte Kraftwerke bei Bedarf wieder hochfahren und vollzieht damit eine Kehrtwende, kurz nachdem ein neues Emissionsgesetz in Kraft getreten war.

Frankreich deckt den weitaus größten Teil seines Energiebedarfs aus Atomkraftwerken. Aber auch kalorische Kraftwerke, betrieben mit Steinkohle, sind noch in Betrieb. Die Regierung in Paris will laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) nun deren Betriebsdauer verlängern. In Österreich wurde 2020 mit Mellach (Steiermark) das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet, Deutschland setzte sich dieses Ziel für 2030.

Der Grund, weshalb Frankreich nun eine Kehrtwende vollzieht, sei die Angst vor Stromausfällen bzw. Energieengpässen, berichtete die deutsche Zeitung. Die Regierung in Paris müsse dafür – quasi postwendend – Emissionsvorschriften lockern, die erst mit Jahresbeginn in Kraft getreten waren. Ein Antrag der grünen Umweltministerin Barbara Pompili dafür befinde sich aktuell in Begutachtung.

Ausnahmen für letzte Kraftwerke

Mit dem Antrag sollen Kohlekraftwerke im Winter (Jänner und Februar) für 1.000 Stunden am Netz sein dürfen, deutlich länger als die geltenden 700 Stunden pro Jahr. Von der Ausnahmeregelung betroffen sind laut Bericht der „FAZ“ die Steinkohlekraftwerke Cordemais nahe Nantes in Westfrankeich und Emile-Huchet nahe der deutschen Grenze, die beiden letzten in Frankreich, die noch in Betrieb sind. Diese hätten laut ursprünglichem Plan bereits 2020 vom Netz sein sollen, später wurde die Schließung für Emile-Huchet auf 2022 verschoben, für Cordemais auf 2024.

Stromleitungen in Nordfrankreich
Getty Images/iStockphoto/Scott Hortop
Die Angst vor einem Blackout, einem plötzlichen Zusammenbruch der Energieversorgung, geht seit Jahren um

Akute Probleme mit AKWs

Frankreich deckt rund 70 Prozent seines Strombedarfs aus Nuklearenergie, der Wert gilt als der höchste weltweit. Nun seien ausgerechnet Wartungsarbeiten, aber auch technische Probleme in den AKWs der Grund für das Hochfahren der Kohlekraftwerke.

Einige Reaktoren sind noch für Monate abgeschaltet, die Kernkraftwerke könnten zu wenig Strom liefern, wird befürchtet. Die Leistung der AKWs befinde sich auf einem Tiefpunkt, hieß es vom Netzbetreiber Reseau de Transport d’Electricite (RTE).

Die „FAZ“ zitierte die französische Umweltministerin Pompili mit den Worten, die Maßnahme sei notwendig, um die Sicherheit der Stromversorgung zu gewährleisten. Ob sie tatsächlich kommt, sei aber ungewiss, aktuell gebe es keine drohenden Versorgungsengpässe. Der Zeithorizont (2024) für das Abschalten des letzten französischen Kohlekraftwerks – dann Cordemais – bleibe jedenfalls.

Plötzlicher Wirtschaftsaufschwung setzte Spirale in Gang

Wie viele Länder sich auch ein ähnliches Ziel gesteckt haben, der Verbrauch von Kohle zur Energieerzeugung dürfte im letzten Jahr nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) einen Höchststand erreicht haben. Sie ging im Dezember von einer Produktion von 10.350 Terawattstunden (TWh) Strom aus dem fossilen Brennstoff aus. Das entspräche einem Anstieg von neun Prozent gegenüber dem Jahr zuvor und einem Rekordwert.

Als Grund für den Zuwachs nannte die IEA die rasante Erholung der Weltwirtschaft nach dem starken Einbruch aufgrund der Coronavirus-Pandemie. Diese hatte nicht nur den Bedarf an Rohstoffen, sondern vor allem auch an Energie in die Höhe schießen lassen. Dasselbe galt auch für die Preise. Strom wurde wegen der starken Nachfrage teurer, Erdgas, weil mehr davon in Kraftwerken verbrannt wurde. Weil Erdgas teurer wurde, wurde mehr Kohle verbrannt.

Deutschland hat große Probleme

In Deutschland etwa lagen nach Einschätzung des Statistischen Bundesamts (StBa) vom September im ersten Halbjahr 2021 Braun- und Steinkohle mit einem Anteil von rund 27 Prozent bei der Stromerzeugung klar auf dem ersten Platz, während der Anteil erneuerbarer Energieträger zurückging.

Braunkohlekraftwerk Garzweiler in Deutschland
APA/AFP/Ina Fassbender
Garzweiler: riesiger Braunkohletagebau im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen

Deutschland will spätestens ab 2038 ohne Kohle auskommen, mittlerweile wird immer öfter das noch viel ambitioniertere Datum 2030 genannt. Ambitioniert deshalb, weil die Bundesrepublik 2022 auch die letzten Atomkraftwerke abschalten will. Deutschland muss daher nicht nur einen enormen wirtschaftlichen Strukturwandel bewältigen, sondern vor allem die dadurch entstehende Energielücke füllen und den Sektor erneuerbare Energieträger stark ausbauen.

Empfehlungen und Realität

Im November hatte die UNO-Klimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow die internationale Staatengemeinschaft erstmals dazu aufgefordert, den Ausstieg aus der Kohle einzuleiten. Die Erklärung von rund 200 Staaten enthielt außerdem die Forderung, „ineffiziente“ Subventionen für Öl, Gas und Kohle zu streichen.

Nach unterschiedlichen Schätzungen sind aktuell weltweit zwischen 500 und über 1.000 Kohlekraftwerken in Planung oder Bau, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern in Afrika und Asien.