Zuletzt rückte angesichts des starken Ansteckungspotenzials von Omikron das Konzept der Durchseuchung in den Vordergrund. Dazu sagte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) gegenüber der APA, dass es zwei Strategien gebe: „Das Containment, den Lockdown – am Beispiel Holland.“ Als Gegenbeispiel führte er England an, „das es tatsächlich mehr oder weniger durchrauschen lässt“.
In Österreich wolle man „keinen von beiden Wegen“ gehen und stattdessen auf „Augenmaß“ und strenge Maßnahmen setzen. Mückstein verwies dabei auf Regeln wie den Lockdown für Ungeimpfte, die Nutzung von FFP2-Masken, wenn nötig auch im Freien, die 2-G- und die 3-G-Regel sowie Einschränkungen in der Gastronomie.
Bergthaler: Politisches Ziel nicht kommuniziert
Doch viele Fachleute sehen weiteren Handlungsbedarf. Der Molekularbiologe Andreas Bergthaler etwa sagte in der ZIB2, dass es jetzt neben einem „breiten Maßnahmenstrauß“ und mehr Bemühungen um die Impfung auch eine „transparente Kommunikation auf allen Ebenen“ brauche. Am Ende des Tages sei es eine politische Zielsetzung, wie hart man gegen Omikron vorgehen wolle – und das sei derzeit noch nicht ausreichend kommuniziert.
Molekularbiologe Bergthaler zur CoV-Situation
Die Zahl der Coronavirus-Neuinfektionen hat wieder deutlich zugelegt. Am Montag öffnen die Schulen. Wie wird sich die CoV-Situation weiterentwickeln? Dazu war Andreas Bergthaler, Molekularbiologe an der Akademie der Wissenschaften, in der ZIB2 zu Gast.
Derzeit gebe es zwei Sichtweisen zu Omikron, so Bergthaler: einerseits die Hoffnung auf Durchseuchung durch die „natürliche Impfung“ und eine breite Immunität, andererseits die Befürchtung, dass Omikron-Infektionen doch nicht so mild verlaufen könnten wie erhofft. Derzeit sei es angesichts unterschiedlicher Niveaus bei der Immunisierung schwierig, die Zahlen aus Dänemark und Großbritannien mit Österreich zu vergleichen.
Wichtig sei es, den Menschen weiterhin klarzumachen, dass eine Infektion wesentlich riskanter ist als die Impfung. Die Impfpflicht entbinde die Politik nicht davon, die Wirkung der Impfung weiterhin zu kommunizieren. Hier sei „einiges schiefgelaufen in den letzten Wochen“.
„Wesentlichste Maßnahmen bleibt Impfen“
Auch der Komplexitätsforscher Peter Klimek sagte in „Im Zentrum“: „Die wesentlichste Maßnahme ist und bleibt das Impfen.“ Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Omikron-Variante für eine enorme Zahl an Infektionen sorgen werde. Man müsse aber erreichen, dass die Welle auf eine Bevölkerung trifft, die mit einem gewissen Schutzniveau ausgestattet ist.
„Im Zentrum“: Omikron-Roulette: Regiert das Prinzip Hoffnung?
Die Zahl der CoV-Neuinfektionen durch die Omikron-Variante explodiert in vielen Ländern. In Österreich hat das Prognosekonsortium für Mitte Jänner bereits 17.000 Infektionen täglich vorhergesagt. Die Regierung setzt auf kürzere Quarantäne und mehr Kontrollen, insgesamt offenbar auf kontrollierte Durchseuchung. Kommt damit Österreich bestmöglich durch die fünfte Welle? Können damit Engpässe in den Spitälern und ein Lockdown verhindert werden?
Dabei komme der Boosterimpfung eine besondere Rolle zu, hier gebe es auch bei den vulnerablen Gruppen noch Luft nach oben und entsprechend viel Potenzial für das Virus. Das sei insbesondere aufgrund der zu erwartenden enormen Belastung der Intensivstationen relevant – bei Omikron sei es „durch den Bremsweg“ nicht mehr wie bis jetzt möglich, bei Überlastung der Intensivstationen quasi die Reißleine zu ziehen.
Reich: Impfkampagne wird neu aufgestellt
„Omikron wird als Welle auf uns zukommen. Das ist Fakt“, sagte auch die Leiterin der gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination (GECKO), Katharina Reich. „Die Maßnahmen liegen alle am Tisch“, man müsse sie nur einsetzen. „Die Alternative ist zuzusperren. Dies können wir tun, wenn die Gesundheitsressourcen ans Ende gelangen“, so Reich.
„Es muss die Impfung sein, die uns jetzt maximal gegen Omikron schützen soll.“ Auf den Einwand, dass sich eine Verabreichung aller Impfdosen vor Omikron nicht mehr ausgehe, verwies Reich darauf, dass ein gewisser Schutz schon nach der ersten Impfung bestehe. Man habe auch sonst probate Maßnahmen.
Gleichzeitig wurde einmal mehr Kritik an der Regierung laut, dass die Impfkampagne zu wenig vorangetrieben worden sei und man seit den Plänen für die Impfpflicht zu wenig auf Anreize und Aufklärung setze. Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderle kritisierte etwa, es gebe zu wenige Zielgruppenkampagnen. Vor diesem Hintergrund meldete Anderl auch Kritik an der Impfpflicht an. Es gelte noch zu überlegen, wie man die Menschen ohne Zwang zum Impfen bringt. Reich kündigte an, die Kampagne werde neu aufgestellt.
Mehr Fokus auf „Long Covid“ gefordert
Auch Gerald Rockenschaub von der WHO sagte, die Impfpflicht sollte als Ultima Ratio ausgeschöpft werden und nur mit einer sehr breiten gesellschaftlichen Debatte. Er sah angesichts der nahenden Omikron-Ausbreitung die Notwendigkeit, die Gesundheitssysteme adäquat vorzubereiten und die Welle bis zu einem gewissen Grad abzufedern.
Auch er wollte keine abschließende Bewertung zu milden Verläufen bei Omikron geben. Zwar gebe es Hinweise auf individuell mildere klinische Verläufe, aufgrund der unterschiedlichen Immunisierungsraten ließen sich aber nur sehr schwer Vergleiche ziehen. Er betonte ebenfalls die Bedeutung der Impfung – auch international.
Besorgnis über einen zu leichtfertigen Umgang mit Omikron und dem Prinzip der Durchseuchung äußerte der Neurologe Michael Stingl, der Patienten und Patientinnen mit „Long Covid“ behandelt. Die Problematik trete oft auch bei Jungen und bei milden Verläufen auf. „Ein erheblicher Prozentsatz wird sich nicht nachhaltig erholen“, warnte Stingl vor einem dauerhaft relevanten Problem. Er kritisierte, „Long Covid“ werde in der gesamten Debatte zu sehr ausgeklammert, und forderte mehr Aufklärung.