Frau sitzt am Schreibtisch
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QR-Code und „Urban Jungle“

Nachhaltige Brüche im Design des Alltags

Krisen verändern, wie wir unsere Umgebung gestalten – das gilt auch für die CoV-Pandemie. Und manches ist dabei gekommen, um zu bleiben. Vom QR-Code über den Pop-up-Radweg bis zum technisch hochgerüsteten Zimmerpflanzenparadies: Blickt man auf das Design, birgt die Krise nicht zuletzt die Chance, durchzusetzen, was zuvor nicht vorstellbar war.

Beim Flughafen-Check-in kommen Schuhe in die Plastikbox, Kosmetika ins Plastiksackerl, Flaschen in die Mülltonne – und zur Einreise gibt es teils biometrische Identifikation: Seit 9/11 ist der Flughafen von der luftigen Durchschleusestation zur streng überwachten Sicherheitszone geworden. Die Luftfahrtbranche zählt damit zu den prägnantesten Beispielen dafür, wie sehr unsere Welt durch Krisen gestalterisch geprägt werden kann.

Dass auch von der Coronavirus-Krise – zumindest in manchen Belangen – physische Hinterlassenschaften zu erwarten sind, zu diesem Ergebnis kam kürzlich ein Feature der „New York Times“ („NYT“). Wenig überraschend kürte die „NYT“ dabei die Gesichtsmaske zur „Ikone der Ära“. Kannte man den Mund-Nasen-Schutz vor der Pandemie nur als Routinezubehör von Ostasiatinnen und -asiaten, die schon mit früheren Virusausbrüchen wie SARS und H1N1 umgehen mussten, wurde er über Nacht auch zum Alltagsfixstarter in fast allen Teilen der Welt.

Christian L’Orange, Assistenzprofessor an der Colorado State University, sprach im „NYT“-Gespräch von einer wohl längerfristigen „Normalisierung der Maske“, die dazu führe, dass diese beispielsweise auch individuell zur Vermeidung der saisonalen Grippe eingesetzt werden könnte. Mit dieser Entwicklung rechnen offenbar auch Teile der Textilbranche, die – von Gap und H&M bis Gucci und Louis Vuitton – quasi geschlossen in die Maskenproduktion eingestiegen ist. Masahiko Nakasuji, US-Marketingchef des japanischen Modeherstellers Uniqlo signalisierte etwa im August 2021, dass Masken Teil des permanenten Sortiments bleiben werden: „Wir haben beschlossen, das Produkt das ganze Jahr über anzubieten“, so Nakasuji damals im „NYT“-Interview.

Billie Eilish mit Maske
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MNS-Schutz als bleibender Alltagsbegleiter? Stilikone Billie Eilish mit Gesichtsmaske von Gucci mit fraglichem Schutzfaktor.

Zweiter Frühling für den QR-Code

Während die Maske sich als eher ungeliebter Begleiter durchgesetzt hat, trafen andere Neuerungen schon von Beginn an auf stärkeren Zuspruch: In die Gastronomie zogen – mit Blick auf die Sicherheit – luftigere Sitzplatzgestaltungen und der QR-Code („Quick Response“-Code) ein, der coronavirusbedingt einen zweiten Frühling erlebte. 1994 erfunden, schien seine Verbreitung vor circa zehn Jahren in den USA auf dem Höhepunkt. Das deutsche Marketingmagazin Invidis spricht jetzt von einer weltweiten Nutzungssteigerung gar um 600 Prozent seit Ausbruch der Pandemie.

In Österreich trugen die Registrierpflicht und der „Grüne Pass“ dazu bei, dass viele gelernt haben, mit der Technologie zu interagieren. Mittlerweile setzen Restaurants, Hotels und andere Unternehmen auch darüber hinaus immer öfter auf den QR-Code, etwa wenn es um Speisekarten, Broschüren und anderes Infomaterial geht. Der Vorteil: für Konsumentinnen und Konsumenten kontaktlose Information. Unternehmen hingegen profitieren vom Wegfall der Druckkosten sowie der Möglichkeit zu schnellen (Preis-)Adaptierungen.

„Pop-up“-Radweg in Berlin
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Wien, Berlin oder Paris: Pandemiebedingt setzten zahlreiche Metropolen auf Pop-up-Radwege

In China hat der QR-Code inzwischen auch das Bezahlsystem erheblich verändert. Laut einer Studie der Analysefirma eMarketer verwenden bereits mehr als 80 Prozent aller chinesischen Smartphone-Nutzer ihr Handy an der Kassa – und mit ihnen die QR-Code-Technologie. Wer in Japan oder in China über einen Friedhof spaziert, kann mittlerweile sogar Grabsteine finden, auf denen ein QR-Code angebracht ist.

Stadtregierungen im Experimentiermodus

„Manchmal werden Notfälle zu Gelegenheiten, um neue Grundlagen zu schaffen“, meinte Paola Antonelli, Kuratorin für Architektur und Design am New Yorker Museum of Modern Art gegenüber der „NYT“, angesprochen auf die gestalterischen Nachwirkungen von Krisen. Neue Entwicklungen seien freilich nicht immer zum Vorteil, so die Expertin, die die Aushöhlung der Privatsphäre und der Ausbau der Überwachung nach 9/11 als „beunruhigende Ergebnisse“ der Vergangenheit nannte.

Die Pandemie etabliere aber vielleicht, so Antonelli, auch einige positive neue Normen, etwa „das schnelle Experimentieren, geboren aus Verzweiflung“. Mit einer bisher nicht gesehenen Geschwindigkeit hätten Stadtregierungen neue Radwege etabliert und – durch den ökonomischen Druck – Möglichkeiten neuer Restaurantaußenräume geschaffen. Ein solches Tempo sei noch vor zwei Jahren „undenkbar“ gewesen, wird Ellen Fisher, Dekanin an der New York School of Interior Design, zitiert. Denkt man an die Pop-up-Radwege vom Sommer 2020, so lässt sich diese Flexibilität auch für europäische Städte – darunter Wien, Graz und Linz – geltend machen.

Frau topft Zimmerpflanzen um
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Der „Wohntrend Urban Jungle“ liegt pandemiebedingt hoch im Kurs

Wohnzimmerdschungel und Tech-Equipment

Am stärksten sichtbar sei der pandemische „Designnotfall“, wie Antonelli es nennt, ihrer Einschätzung nach jedoch im Arbeitsleben gewesen. Im Büro selbst bleibt abzuwarten, wie sich etwa neue Tischordnungen und „hybride“ Modelle, die Homeoffice und physische Anwesenheit kombinieren, in Zukunft entwickelt werden. Definitiv neu gestaltet wurde jedenfalls vielerorts die Wohnung, die sich in der Pandemie zum „De-facto-Studio“ entwickelt hat – ob mit sorgfältig inszenierten Bücherregalen oder dem Trend zur begrünten Wohnung, der – kursierend unter dem Schlagwort „Urban Jungle“ – etwa von der Illustrierten „Gala“ zum „Trend der Stunde“ erklärt wurde.

Mit dem Homeoffice fand nicht zuletzt auch das Tech-Equipment verstärkt Einzug in die Privaträume: Einschlägige Unternehmen melden etwa 100-%ige Umsatzsteigerungen bei Webcamverkäufen. Noch steiler nach oben verläuft die Kurve bei schmeichelhaften „Ringlichtern“. War das semiprofessionelle Beleuchtungstool zuvor vor allem unter Influencern bekannt, erfreut es sich inzwischen aber auch immer größerer Beliebtheit als Videokonferenzbegleiter, der Teilnehmer in gutem (und möglichst faltenfreiem) Licht erscheinen lässt.

Kernvermächtnis der Pandemie

Und das Designkernvermächtnis der Pandemie? Für die „NYT“ liegt es mutmaßlich darin, dass Covid-19 Brüche erzwungen und so neue Normen etabliert hat, die zuvor nicht vorstellbar waren. Gerade durch die lange Pandemiedauer blieb Zeit, Veränderungen wirken zu lassen und Gestaltungsmöglichkeiten auszuloten. Erst so kam es vielfach zum Meinungsumschwung, konnten sich Streamings (vom Konzert über den Yogakurs bis zur Unterrichtsstunde) genauso routinemäßig etablieren wie das Homeoffice.

Gerade Letzteres sei, so heißt es, vor der Pandemie oft skeptisch beäugt worden. Mittlerweile sind aber auch deklarierte Gegnerinnen und Gegner zu Homeoffice-Fürsprecherinnen und -fürsprechern geworden, wie der etwa „Evernote“-App-Gründer Phil Libin. „Warum sollte ich in ein Büro pendeln, in einer Kabine sitzen und Kopfhörer aufsetzen, um mich von anderen Leuten zu isolieren, die ins Büro pendeln mussten, damit ich etwas Arbeit erledigen kann? Das macht null Sinn“, so Libin im „NYT“-Gespräch.

Nicht zuletzt bleibt zu hoffen, dass die pandemische „Nachdenkpause“ auch zur Etablierung neuer Normen führt, die weniger Technologien, sondern Menschen und die Umwelt ins Zentrum stellt. Über eine erholsamere Stadt mit Zonen ohne Konsumzwang wurde im ersten Pandemiesommer viel diskutiert – mit vielerorts noch offenen Ergebnissen.