Richter mit Akten
ORF.at/Zita Klimek
Impfpflicht

Justiz warnt vor „unglaublichem Aufwand“

Die heimischen Richter rechnen mit einem „unglaublichen Aufwand“ durch die kommende Impfpflicht – sie fordern eine deutliche Aufstockung beim Personal, sonst wären die zigtausend erwarteten Fälle nicht zu bewältigen. Alleine Verfassungs- (VfGH) und Verwaltungsgerichtshof (VwGH) erwarten jeweils rund 13.000 Fälle mehr. Ohne Aufstockungen werde die Impfpflicht „zahnlos“ bleiben, so Richterpräsidentin Sabine Matejka.

Mit 133.000 zusätzlichen Gerichtsverfahren rechnet die Regierung im Gesetzesentwurf zur Impfpflicht. Sie bezifferte die Mehrkosten für heuer mit rund 112,5 Mio. Euro (83,3 Mio. davon für Personal), in den Folgejahren mit 33,2 und 3,6 Mio. Euro. Mehrere Bundesländer und Verwaltungsgerichte haben in der Begutachtung deponiert, dass sie mit einem wesentlich höheren Arbeitsanfall und somit höheren Kosten rechnen.

Schon bei 133.000 Verfahren mehr müsse sich der Gesetzgeber „dringend überlegen, wie er sicherstellen kann, dass die Gerichte alle Fälle in vertretbarer Zeit erledigen können“, sagte Matejka. Bekommt die Gerichtsbarkeit nicht die nötigen Ressourcen, werde zudem „das Impfpflichtgesetz zahnlos bleiben – und das wäre sehr kontraproduktiv zur Absicht der Regierung“.

Auch andere Verfahren verzögert

„Rechtsstaatlich bedenklich“ wäre es auch, wenn wegen der neuen Belastung Verfahren in anderen Rechtsbereichen länger dauern würden. Da Rechtsmittel gegen Geldstrafen mit Priorität zu behandeln sind (Strafbescheide treten außer Kraft, wenn nicht rechtzeitig entschieden wird), könnte das bedeuten, dass Menschen z. B. länger auf Baugenehmigungen warten müssen – für die ebenfalls die Landesverwaltungsgerichte zuständig sind.

Die Landesverwaltungsgerichte werden die größte Last zu tragen haben. Erwartbar sind auch zahlreiche Arbeitsrechtsverfahren (wegen des Spannungsverhältnisses der 3-G-Regel zur Impfpflicht) sowie Klagen wegen vermuteter Impfschäden beim Bundesverwaltungsgericht.

Höchstgerichte erwarten Tausende Beschwerden

Unzumutbare Verzögerungen in der Erledigungsdauer gäbe es auch bei den Höchstgerichten, warnen diese, sollte der nötige Mehraufwand nicht finanziell bedeckt werden. Die Präsidenten Christoph Grabenwarter (VfGH) und Rudolf Thienel (VwGH) weisen in ihren Stellungnahmen darauf hin, dass für die Impfpflichtverfahren budgetär nicht vorgesorgt ist, es brauche „zusätzliche Mittel“.

Grabenwarter beziffert den Bedarf mit rund 4,1 Mio. Euro (bis 2025) – durch „grob geschätzt“ 13.000 Beschwerden gegen Geldstrafen und 300 Individualanträge gegen das Gesetz. Das ist mehr als das Doppelte der üblicherweise zwischen 5.000 und 6.000 neuen Anträge pro Jahr. Um dies zu bewältigen, wären neben den derzeit rund 100 Verwaltungsbediensteten heuer 16 Mitarbeiter mehr nötig, nächstes Jahr 13, danach noch drei, hat der VfGH berechnet.

Mehr Mitarbeiter für Richter gefordert

Der VwGH erwartet ebenso „grob geschätzt“ bis 2025 rund 13.000 Revisionsverfahren mehr, die meisten bis 2023. Um über die Rechtsmittel gegen Strafen wegen der Impfpflicht in der gebotenen Frist entscheiden zu können, brauchte man rund 17 Mitarbeiter heuer und 2023 (2024 sechs, 2025 zwei) mehr. Derzeit sind am VwGH rund 200 Personen (68 mit richterlichen Funktionen) beschäftigt.

Vorübergehend aufnehmen kann man Richter freilich nicht, sie sind im Sinn der Unabhängigkeit unabsetzbar und unversetzbar, die Anzahl der VfGH-Mitglieder ist zudem fix vorgegeben. Aber man müsse zumindest dafür sorgen, dass die Gerichte, wo Richterposten frei sind, jetzt vollständig besetzt werden, forderte Matejka. Und man müsse den Richtern ausreichend Mitarbeiter zur Seite stellen.

Ständig überprüft werden muss aus Sicht der Richtervereinigung nicht nur der Mehraufwand, sondern auch die Frage, ob das Impfpflichtgesetz verfassungskonform ist. Wie man an der Omikron-Variante sehe, könne sich in der Pandemie rasch etwas ändern. Deshalb sollte im Gesetz eine Überprüfung auf Verhältnismäßigkeit und Zweckmäßigkeit vorgeschrieben werden, wenn gewisse Veränderungen, etwa neue Virusvarianten, neue Medikamente, neue Impfstoffe, einträten, verlangte Matejka.

Gerichte rechnen mit höheren Kosten als Regierung

Was die Kosten für den Mehraufwand betrifft, gehen viele Begutachtungsteilnehmer von deutlich höheren Beträgen aus als die Regierung. Sowohl die Zahl der erwarteten Verfahren als auch der Zeitaufwand (drei Stunden pro Fall) sei „viel zu niedrig angesetzt“, ist Markus Thoma vom Dachverband der Verwaltungsrichter überzeugt. Die Gerichte müssten mündlich verhandeln und oft Sachverständige beiziehen. Der Dachverband hält daher eine Verdoppelung – also 330 Stellen mehr – für nötig.

Zumindest 180 Vollzeitäquivalente mehr brauchte man, wenn man den Annahmen der Regierung folge, so die Präsidentenkonferenz der Verwaltungsgerichte. Allerdings scheine schon die Zahl der Verfahren „deutlich zu niedrig angesetzt“. Die Präsidenten sehen „jedenfalls ein beträchtliches Risiko, dass diese Verfahren nicht zeitnah und nicht ohne erhebliche negative Auswirkungen auf die übrigen Aufgabenbereiche der Gerichte erledigt werden können“.

Man erwarte, dass nicht geimpfte Personen „ihre bisher eingenommenen Standpunkte wohl konsequent zu verteidigen versuchen werden, indem sie vom Rechtsschutz Gebrauch machen, und zwar in höherem Ausmaß als vom Entwurf erwartet“, heißt es in der Stellungnahme. Eine Rechtsmittelquote von unter zehn Prozent sei „optimistisch gering geschätzt“.

Stellungnahmen „gegebenenfalls eingearbeitet“

Nach dem Ende der Begutachtungsfrist werden die Stellungnahmen vom Gesundheitsministerium gesichtet „und in den kommenden Tagen gegebenenfalls eingearbeitet“, hieß es am Mittwoch aus dem Ministerium. Die Regierung berät zudem über den Gesetzesentwurf mit Oppositionsparteien und Verfassungsjuristen in nicht medienöffentlichen Videokonferenzen. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) haben bereits erklärt, dass es keine großen Änderungen und keine Verschiebung geben wird.

Am Montag soll über den Entwurf im Gesundheitsausschuss – auch mit einem Expertenhearing – beraten werden. Ende der nächsten Woche stehen reguläre Nationalratssitzungen an, bei denen das Gesetz dann schon beschlossen werden könnte. Nach der Zustimmung des Bundesrates in seiner Sitzung am 3. Februar könnte die Impfpflicht tatsächlich „Anfang Februar“ starten.

Jedenfalls zu klären ist angesichts der ELGA-Ankündigung, wie man die Impfpflicht bis April technisch und organisatorisch abwickelt. Mückstein hat bereits die Variante ins Spiel gebracht, dass man anfangs für eine Übergangsphase ein Kontrolldelikt etablieren könnte. Das würde bedeuten, dass die Behörden ähnlich wie im Straßenverkehr Kontrollen durchführen und auch Geldstrafen verhängen können.

„Perspektive für den Sommer“

Mückstein sieht die Impfpflicht auch als „Perspektive für den Sommer, für den Herbst“, wie er am Mittwoch nach dem Ministerrat sagte. Anfang Dezember habe man gegen die Delta-Variante des Coronavirus eine gute Ausgangslage gehabt, sagte Mückstein und sprach von einer Gesamtimmunität von 90 Prozent. Die Omikron-Variante habe dann ordentlich durchgemischt. Die Impfpflicht werde wie geplant Anfang Februar starten, so Mückstein.

Um sicher durch den nächsten Winter zu kommen, brauche man eine hohe Gesamtimmunität in der Bevölkerung, sagte Mückstein weiter. „Der Weg dorthin kann durch Ansteckung passieren oder er kann sicher passieren durch die Impfung. Ich bin dafür, dass wir die Impfung in den Vordergrund stellen.“ Mit Information und Aufklärung will Mückstein die Bevölkerung auch weiterhin von der Impfung überzeugen.

SPÖ für laufende Evaluierung

Die SPÖ sprach sich am Mittwoch für die Verankerung einer laufenden Evaluierung und Bewertung der Impfpflicht im Gesetz aus: „Da sich die pandemische Situation laufend ändert, muss auch das Gesetz laufend auf die Verfassungsmäßigkeit überprüft werden, so Klubobmann Jörg Leichtfried. Das würden auch Verfassungsexpertinnen und -experten, die Rechtsanwaltskammer und die Richtervereinigung vorschlagen.

Ein Vorschlag wäre laut Leichtfried, dass eine Gruppe aus Verfassungs- und Gesundheitsfachleuten nominiert werde, die die Verhältnismäßigkeit des Gesetzes aufgrund der sehr raschen Entwicklungen bezüglich Virusvarianten oder auch des medizinischen Fortschritts prüft und dem Parlament darüber laufend berichtet. „Das gibt dem Gesetzgeber die Möglichkeit, auf eine veränderte Situation rasch reagieren zu können“, so Leichtfried.

Unterstützung für Impfpflicht kam am Mittwoch vom steirischen SPÖ-Vorsitzenden Anton Lang. „Ich bin persönlich dafür, sie einzuführen“, sagte Lang nach der Klausur der steirischen Landesregierung. Innerhalb der SPÖ waren in den vergangenen Tagen Stimmen gegen die Impfpflicht in ihrer geplanten Form lautgeworden – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Kickl fordert Verzicht auf Gesetz

FPÖ-Chef Herbert Kickl will keine Änderungen, sondern den Verzicht auf das Gesetz. Aus seiner Sicht kann „nur eine Absage des Impfzwang-Gesetzes den verfassungskonformen Zustand in unserem Land wieder herstellen“.

NEOS-Mandatar Loacker will gegen Gesetz stimmen

NEOS-Pandemiesprecher, Gerald Loacker, wird im Nationalrat gegen die Impfpflicht stimmen. Das kündigte er in der „Kleinen Zeitung“ an. Loacker geht davon aus, dass er mit diesem Stimmverhalten nicht der einzige NEOS-Abgeordnete sein wird, wiewohl sich die Partei bisher für die Pflicht ausgesprochen hatte.

Loacker nannte einerseits den bürokratischen Aufwand als Grund für seine Entscheidung, andererseits auch virologische Argumente: „Wenn Omikron vorbei ist, wird es eine Grundimmunisierung in der Bevölkerung geben. Eine neue Variante würde dann nicht mehr auf eine völlig ungeschützte Bevölkerung treffen, die Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht wäre dann nicht mehr gegeben.“

Loacker, der selbst dreifach geimpft ist, glaubt andererseits, dass der Bevölkerung falsche Hoffnungen gemacht werden: „Die Regierung sagt: Wenn die Impfpflicht da ist, haben wir es endgültig geschafft. Wir werden es aber nicht geschafft haben. Die Republik macht sich lächerlich vor den Bürgern.“