Polizisten am Tatort
Reuters/Robert Pratta
Vierfachmord von Annecy

Festnahme nach neun Jahren

Seit zehn Jahren ist das Rätsel um einen Vierfachmord in den französischen Alpen ungeklärt. Damals kamen drei Mitglieder einer Urlauberfamilie und ein offenbar zufälliger Zeuge ums Leben. Noch immer kämpfen sich die Ermittler durch eine Fülle an Gerüchten und Spekulationen. Nun hofft man auf die Lösung: Am Mittwoch kam es zu einer Verhaftung.

Der Fall von Annecy gehört zu den rätselhaftesten Kriminalfällen Frankreichs: Im September 2012 wurden auf einem Waldparkplatz in den Alpen vier Leichen gefunden. Das Rätsel konnte nie gelöst werden, zahlreiche Spuren führten ins Nichts.

Nun, knapp zehn Jahre später, hoffen die Behörden auf die Lösung. In der Stadt Chambery wurde eine Person festgenommen. Der Wohnsitz werde durchsucht, teilte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit, nannte aber keine weiteren Details. Laut Medienberichten handelt es sich um einen Mann, der schon früher einmal im Zusammenhang mit dem Vierfachmord von der Polizei vernommen wurde.

Zwei Kinder überlebten

Die vier Opfer waren gezielt per Kopfschuss getötet worden. Es handelte sich um eine irakischstämmige Familie aus Großbritannien, Saad al-Hilli und seine Frau Iqbal sowie ihre Mutter Suhaila al-Allaf. Der vierte Tote war ein vorbeikommender Radfahrer aus Frankreich, Sylvain Mollier. Die beiden kleinen Töchter der Hillis überlebten die Bluttat mit viel Glück. Eines der Mädchen wurde allerdings schwer verletzt und erblindete in der Folge. Die Mädchen, heute 14 und 17 Jahre alt, konnten nichts zur Aufklärung beitragen. Sie erhielten später neue Identitäten.

Journalisten am Tatort
Reuters/Robert Pratta
Das Verbrechen löste in ganz Frankreich Entsetzen aus. Auch das Medieninteresse war enorm.

Vermutungen über ein Motiv gab es zahlreiche. Der gebürtige Iraker mit britischem Pass, Saad al-Hilli, arbeitete für einen Rüstungskonzern und entwickelte Satelliten für Spionagezwecke. Die Ermittler sahen damals die Möglichkeit, es könne sich um Industriespionage handeln. Auch Erbstreitigkeiten wurden in Betracht gezogen, denn Hilli hatte diesbezüglich Konflikte mit seinem Bruder. Dieser wurde zwischenzeitlich sogar festgenommen, am Ende waren „keine schwerwiegenden Belastungsmomente“ zu finden.

2014 fanden die französischen Ermittler heraus, dass die getötete Ehefrau Iqbal al-Hilli einen geheimen Ex-Ehemann in den USA hatte, den um 13 Jahre älteren James T. Beide heirateten offenbar heimlich und hatten eine gemeinsame Beziehung zwischen Februar 1999 und Dezember 2000, wie bekanntwurde. Ihrer Familie und ihrem Ehemann Saad, den sie 2002 heiratete, hatte Iqbal offenbar nie etwas von dieser Ehe erzählt.

Radfahrer als eigentliches Ziel?

Auch in der Presse kamen zahllose Spekulationen auf, die von Geldwäsche für den irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein bis zu einer Unterstützung des Iran durch das 50-jährige Mordopfer reichten. Es gab auch eine Theorie, wonach der Radfahrer, der für eine Nuklearfirma in Frankreich arbeitete, das eigentliche Ziel des Angriffs war. Doch auch sie wurde wieder verworfen.

Für Rätsel sorgte zudem die Tatwaffe, eine Luger P06, wie sie die Schweizer Armee und Polizei in den 1920er und 1930er Jahren verwendete. Zwar gingen die Ermittler von der Tat eines Profikillers aus, doch passt die Waffe nicht zu diesem Bild.

Im Verdacht stand kurze Zeit ein ehemaliger französischer Fremdenlegionär, Patrice Menegaldo. Er war privat mit dem Radfahrer Mollier bekannt und wurde im Zuge der Ermittlungen als Zeuge befragt. 2014 beging Menegaldo jedoch Suizid. In seinem Abschiedsbrief schrieb er, dass er sich wie ein Verdächtiger gefühlt habe. Ein Motiv konnten die Ermittler aber nicht finden. Sie haben auch diesen Akt mittlerweile geschlossen.

Die zuständige Staatsanwaltschaft hüllt sich zur aktuellen Festnahme daher in Schweigen. „Ich werde nichts weiter dazu sagen, bis der Verdächtige verhört wurde“, so Line Bonnet-Mathis von der Behörde zur „Daily Mail“. „Wir hatten bereits einen Suizid nach einer polizeilichen Maßnahme in diesem Fall, wir müssen also vorsichtig und mit Augenmaß vorgehen.“