Yasmen Almashan zeigt Fotos von Opfern
APA/AFP/Bernd Lauter
Weltweit erster Prozess

Lebenslange Haft für syrischen Staatsfolterer

In Deutschland ist im weltweit ersten Prozess um Folter durch den syrischen Staat der Angeklagte am Donnerstag zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Das Oberlandesgericht in der rheinland-pfälzischen Stadt Koblenz sprach den 58-jährigen Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 27-fachen Mordes und weiterer Delikte schuldig.

Der Beschuldigte war laut Anklage früher Mitarbeiter des Geheimdiensts des syrischen Machthabers Baschar al-Assad und soll ein Gefängnis geleitet haben. In der Al-Chatib-Haftanstalt in der syrischen Hauptstadt Damaskus sollen unter der Befehlsgewalt des Angeklagten zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4.000 Häftlinge mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein.

Viele starben dabei. Das Urteil entsprach weitgehend der Forderung der deutschen Bundesanwaltschaft, die in dem weltweit mit Aufmerksamkeit verfolgten Prozess die Anklage vertreten hatte. Die Verteidigung forderte naturgemäß einen Freispruch.

Angeklagter Anwar R.
Reuters/Thomas Lohnes
Anwar R. wurde wegen mehrerer Delikte zu lebenslanger Haft verurteilt

Geständnisse und Informationen durch Folter erzwungen

Nach Überzeugung der deutschen Bundesanwaltschaft hatte R. als militärischer Befehlshaber die Vernehmungsbeamten und Gefängniswärter zum Dienst in dem berüchtigten Gefängnis eingeteilt und ihre Arbeitsabläufe bestimmt. Er habe auch über das Ausmaß der Folter Bescheid gewusst. Die Misshandlungen hätten dazu gedient, Geständnisse zu erzwingen und Informationen zu erlangen, betonte die Behörde dabei.

In dem im April 2020 gestarteten Prozess war auch ein zweiter Mann angeklagt, der als Untergebener an den Folterungen beteiligt war. Ihn verurteilte das Gericht bereits vor fast einem Jahr im Februar 2021 in einem abgetrennten Verfahren wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Samaa Mahmoud, Mariam Alhallak und Yasmen Almashan zeigen Fotos von Opfern
AP/Martin Meissner
Syrische Frauen erinnern vor dem Gericht an Folteropfer aus ihren Familien

In der Urteilsbegründung am Donnerstag zollte der Vorsitzende Richter den überlebenden Opfern, von denen knapp 80 in dem rund zweijährigen Verfahren als Zeugen ausgesagt hatten, Anerkennung. Sie hätten teilweise trotz großer Furcht vor dem syrischen Regime ausgesagt. Sie hätten das getan, obwohl sie sich um sich selbst oder ihre Familien gesorgt hätten. „Dafür gilt ihnen mein ganzer Respekt.“

Frühere Opfer erkannten Peiniger wieder

Ins Rollen war der Fall gekommen, weil nach Deutschland geflüchtete frühere Opfer ihre mutmaßlichen Peiniger wiedererkannt hatten. Diese wurden im rheinland-pfälzischen Zweibrücken sowie in Berlin festgenommen.

Dass der Prozess in Deutschland stattfindet, liegt am Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Laut diesem dürfen auch Taten verhandelt werden, die keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland haben. Auch ein 2016 eingerichteter „internationaler Mechanismus“ der Vereinten Nationen soll die Ermittlungen zu schweren Vergehen in Syrien erleichtern. Er sammelt Beweise, um eventuell später Verantwortliche vor Gericht stellen zu können.

Lebenslange Haft für syrischen Staatsfolterer

Im weltweit ersten Prozess um Folter durch den syrischen Staat hat das Oberlandesgericht im deutschen Koblenz den Angeklagten Anwar R. zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Die Richter sprachen den 58-Jährigen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 27-fachen Mordes, Folter und weiterer Delikte schuldig. Der Beschuldigte war laut Anklage früher Mitarbeiter des Geheimdiensts des syrischen Machthabers Baschar al-Assad und soll die Al-Chatib-Haftanstalt in Damaskus geleitet haben. Dort sollen unter der Befehlsgewalt des Angeklagten zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4.000 Häftlinge mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein.

Urteil „wirklich historisch“

Menschenrechtler würdigten das Urteil als bahnbrechend. „Das ist wirklich historisch“, sagte der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bei einer Pressekonferenz am Donnerstag im schweizerischen Genf. Der Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Markus N. Beeko, sagte in Berlin, das Urteil sei ein „historisches Signal im weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit“. Weitere Prozesse in Deutschland und anderen Staaten müssten nun folgen.

Der bekannte Menschenrechtsaktivist Omar al-Schughri (26), der in Syrien selbst Opfer von Folter wurde, sagte der dpa: „Der symbolische Wert des Urteils ist ein Beweis dafür, wie ein Trauma uns antreibt, Dinge wieder aufzubauen, von denen wir nie dachten, dass sie jemals erreicht werden könnten. Unsere Vergangenheit ist eine Waffe gegen unsere Feinde.“ Das Urteil werde nicht das gebrochene Herz jeder Mutter heilen, deren Sohn unter Folter getötet worden sei, und auch nicht Opfer zu ihren Familien zurückbringen. „Aber es gibt uns die Hoffnung, dass das Regime fallen und wir frei sein werden.“

Wegen Folter verurteilt

Am Oberlandesgericht in Koblenz in Deutschland ist ein international bemerkenswertes Urteil gesprochen worden. Im weltweit ersten Strafprozess um Staatsfolter in Syrien ist der Hauptangeklagte zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Das European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) erklärte, der Koblenzer Staatsfolterprozess habe gezeigt, was die internationale Strafjustiz nach dem Weltrechtsprinzip „bei allen Defiziten“ leisten könne. Das Urteil schaffe eine „solide Basis“ für andere Strafverfolger.

Anzeige gegen mehrere Geheimdienstmitarbeiter

Frühere Gefangene aus Syrien hatten bereits im März 2017 beim deutschen Generalbundesanwalt Anzeige wegen Folter gegen mehrere syrische Geheimdienstmitarbeiter eingereicht. Wenige Monate später folgten zwei weitere Anzeigen syrischer Folteropfer.

Im Juni 2020 reichten Opfer und Zeugen von sexualisierter Gewalt in syrischen Haftanstalten eine weitere Strafanzeige beim Generalbundesanwalt ein. Die Vorwürfe richten sich unter anderen gegen den früheren Chef des Luftwaffengeheimdiensts, Dschamil Hassan. Gegen den Assad-Vertrauten wurden in Deutschland und Frankreich internationale Haftbefehle erlassen.

Angriffe mit Nervengas Sarin 2013

In Frankreich gerieten neben Hassan auch der nationale Sicherheitschef und frühere Geheimdienstdirektor Ali Mamluk sowie der Geheimdienstoffizier Abdel Salam Mahmud ins Visier der Justiz. Gegen die drei Männer wurden im November 2018 im Zusammenhang mit dem Tod von zwei Frankosyrern internationale Haftbefehle erlassen. Ihnen werden außerdem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Die Staatsanwaltschaft in Paris hatte im September 2015 Vorermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Assads Regierung eingeleitet. Im Juni 2016 erstattete die Familie eines syrischen Arztes nach dessen Tod in einem Gefängnis in seiner Heimat Anzeige wegen Folter und Mordes vor einem Gericht in Paris.

Nach einer Anzeige von drei Menschenrechtsorganisationen wurden im April 2021 Ermittlungen zu mutmaßlichen Chemiewaffenangriffen der syrischen Regierungstruppen eingeleitet. Dabei ging es um Angriffe mit dem Nervengas Sarin im August 2013 in der syrischen Stadt Duma und in der Region Ghuta östlich der Hauptstadt Damaskus. Nach US-Angaben wurden dabei 1.400 Menschen getötet. Im Dezember 2021 wurde ein Franzose mit syrischen Wurzeln wegen des Verdachts, Komponenten zum Bau chemischer Waffen an Syrien geliefert zu haben, in Frankreich festgenommen und angeklagt.

Anzeigen auch in Österreich

Auch in Österreich, Schweden, Norwegen und Spanien wurden mutmaßliche Verbrechen in Syrien angezeigt. Die spanische Justiz wies im Juli 2017 die Klage einer Syrerin gegen neun hohe Regierungsverantwortliche aus Damaskus zurück. In dem Fall ging es um die mutmaßliche Folter und Hinrichtung des Bruders der Frau im Jahr 2013.

In Schweden wurde 2017 ein syrischer Ex-Soldat wegen Kriegsverbrechen verurteilt. Vier Nichtregierungsorganisationen erstatteten im April 2021 Anzeige gegen Assad und mehrere Regierungsvertreter wegen Angriffen mit Chemiewaffen in den Jahren 2013 und 2017.