Büste von Moliere
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400. Geburtstag

Moliere und die bürgerlichen Ticks

Vor 400 Jahren wurde Jean-Baptiste Poquelin geboren. Unter seinem Künstlernamen Moliere gehört er bis heute ins Pantheon der internationalen Theaterliteratur. Während viele der Arbeiten, die er für den Hof Ludwig XIV. schrieb, vergessen sind, leben seine Komödien weiter, in denen er sich über bürgerliche Schwächen lustig macht. Seine Hypochonder, Geizhälse und Gurus bevölkern auch die Gegenwart und machen seine Stücke bis heute relevant.

In der Komödie „Der Geizige“ macht sich Moliere über Geldgier lustig, in seinem „Tartuffe“ witzelt er über religiöse Heuchler und in „Der Bürger als Edelmann“ verhöhnt er den Geltungsdrang sozialer Aufsteiger. Sein Gespür für die griffige Pointe hat der Klassiker sich von Grund auf erarbeitet.

Als Jean-Baptiste Poquelin vermutlich am 15. Jänner 1622 geboren – manche Quellen gehen vom 14. Jänner aus –, war ihm eigentlich die Nachfolge seines Vaters, eines „Tapissier du Roi“, also königlichen Raumausstatters und Dekorateurs vorherbestimmt. Die Entscheidung für ein Leben im Theatermilieu hatte noch im 17. Jahrhundert etwas Skandalöses – Schauspieler und Schauspielerinnen wurden mit Kriminalität und Prostitution in Verbindung gebracht und von der Kirche kritisiert.

1643 gründete er seine eigene Theatergruppe mit der Schauspielerin Madeleine Bejart und nahm kurze Zeit später den Namen Moliere an – eine gängige Praxis, sollten die Pseudonyme den Familien der Theaterleute doch die Schande des Berufsstandes ersparen.

Portrait von Moliere
Gemeinfrei
Moliere als Cäsar in „Der Tod von Pompeius“ von Pierre Corneille, ca. 1650, Ölgemälde von Nicolas Mignard

Pleitegeier auf Provinztour

Zunächst fiel Moliere beim Pariser Publikum durch. Nach diesem Scheitern, das ihn finanziell nahezu ruinierte, tourte er zwölf Jahre mit seiner Truppe durch die Provinz. Sein bevorzugtes Genre, die Komödie, war damals auch innerhalb des Theatersystems wenig anerkannt, wie der Wiener Professor für Romanistik, Alfred Noe, gegenüber ORF.at erklärt: „In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war die Tragödie ohne Zweifel die wesentlich anerkanntere Gattung. Das ergibt sich aus der Einschätzung dieser Gattung in der Antike, an die die Autoren dieser Zeit anknüpfen.“

Die französische Komödie litt aber vor allem darunter, dass es „mit Ausnahme von Pierre Corneille um 1630“ schlicht an großen Autoren fehlte. Diese Rolle blieb Moliere vorbehalten. Wie in seiner Zeit üblich bediente er sich durchaus an Stoffen, die immer und immer wieder umgeschrieben und neu verarbeitet wurden. Auf seiner langen Tour lernte er seine Stoffe und Komik nach Bedarf anzupassen. Die wandernden Schauspieltruppen spielten tatsächlich vor einem breit gefächerten Publikum, vom Adel bis zum einfachen Volk.

Auf der Suche nach dem Nationalstil

„Die Karriere von Moliere fällt in eine Zeit, in der das Französische eine erste starke Standardisierung durchmacht“, so Noe. Im Hintergrund dieser Sprachpolitik, in deren Zentrum die Academie Francaise steht, befinden sich die absolutistischen Bestrebungen der Zeit – alles sollte auf den königlichen Hof in Versailles und auf die Hauptstadt Paris ausgerichtet werden. Kardinal Richelieu, der als Erster Minister von König Ludwig XIII. einer der mächtigsten Staatsmänner des Zeitalters war, betrieb eine, so Noe, „gesamtstaatliche Kunstpolitik“.

Man versuchte, „das Theater gesellschaftsfähiger zu machen, also etwa derbe Ausdrücke zu unterlassen und die Sprache etwas raffinierter zu gestalten“. Ziel war es, das Publikum gewissermaßen zu erziehen: „Es sollte eine Spirale entstehen, in der man sich wechselseitig in die Höhe schraubt in der stilistischen Verfeinerung, das alles zum höheren Ruhm des Königshauses.“

Als Moliere im Jahr 1658 nach Paris zurückkehrte, wurde König Ludwig XIV. auf ihn aufmerksam und der Autor zum Nutznießer des absolutistischen Kulturprogramms – schließlich schrieb er im höfischen Französisch, das in der absolutistischen Logik zum Maß aller Dinge wurde. Moliere wurde für die Komödie zum Klassiker erkoren, etwa mit Jean-Baptiste Lully im Musiktheater und Racine für die Tragödie.

Meister der Form

Die Anerkennung in dieser Kunstpolitik erklärt das Phänomen Moliere aber nur zum Teil – schließlich sind seine Auftragsarbeiten für höfische Feste, zumeist Ballettstücke, längst vergessen. Weltweit gespielt werden seine Komödien – die ihm teils Anklagen und heftige Auseinandersetzungen mit dem Klerus einbrachten.

Dabei hat Moliere, so die Einschätzung des Literaturwissenschaftlers, auch in seinen Handlungen kaum etwas Neues erfunden – seine theatralische Revolution besteht vielmehr in einer Aktualisierung, die „sprachlich großartig und in der Dramaturgie großartig war. Die Geschichte selbst hat er meist aus der Tradition übernommen.“

Die Abenteuer des Monsieur Moliere

Jean-Baptiste Poquelin wurde am 15. Jänner 1622 in Paris geboren und sollte unter dem Künstlernamen Moliere das Theater revolutionieren. Es ist ihm gelungen, Sonnenkönig Ludwig zu begeistern, und das, obwohl die mächtige katholische Kirche Schauspielern keinen Platz in der Gesellschaft einräumen wollte.

Moliere brach etwa mit der Tradition, minutenlange Monologe zu schreiben, in denen die Schauspieler brillieren konnten, das Publikum aber damit langweilten. Molieres bis heute ungebrochen komische Wirkung hat auch damit zu tun, dass seine Figuren hauptsächlich „heute würde man sagen: arrivierte Kleinbürger sind“, erklärt Noe im Gespräch. „Über diese Figuren können sich sowohl die Leute amüsieren, die sozial darunter stehen, als auch jene, die sozial darüberstehen.“

Nöte arrivierter Kleinbürger

Die soziale Komik Molieres kann man bruchlos ins Heute übersetzten. So mache man sich im „Bürger als Edelmann“ etwa über einen „reich gewordenen Fleischhauer lustig, der zu den Salzburger Festspielen fährt und dort im Smoking auftritt“. Für die Gegenwart formuliert, habe man es beim „Tartuffe“ mit einer wohlhabenden Kleinbürgerfamilie zu tun, die auf einen Sektenführer hereinfällt.

Szene aus Tartuffe inszeniert von Christopher Hampton am Hay Market Royal Theater in London 2018
APA/AFP/Niklas Halle’n
Der immerwährende Fanatiker: „Tartuffe“ in einer Adaption von Christopher Hampton in Trumps Amtszeit transportiert, Hay Market Royal Theater London

Mit „Der eingebildete Kranke“ schrieb Moliere sein letztes Stück, das am 10. Februar 1673 in Paris uraufgeführt wurde. Darin spielte er die Hauptrolle des Hypochonders Argan, der sich einbildet, krank zu sein. Allein, Moliere war wirklich krank und litt an Tuberkulose. Bei der vierten Aufführung am 17. Februar erlitt er einen Blutsturz, an dem er kurz danach starb.

Vom Publikumsliebling zum Nationalhelden

Weil Moliere als Schauspieler von der Kirche exkommuniziert war, hätte sein Leichnam in einem Massengrab beigesetzt werden sollen. Doch mit Hilfe des Königs wurde Moliere am 21. Februar heimlich ohne Zeremonie bei Dunkelheit auf dem Friedhof Saint-Joseph beigesetzt. Im Jahr 1817 wurden die Überreste auf den 1804 angelegten berühmten Friedhof Pere Lachaise gebracht.

Sein Aufstieg vom französischen Publikumsliebling zum internationalen Theaterklassiker vollzog sich rasch. In der Comedie-Francaise, einem der französischen Nationaltheater, wird er seit der Gründung 1680 durchgängig gespielt. Diese Saison steht ganz im Zeichen Molieres, ab seinem Geburtstag am Samstag gibt man das gesamte Komödienrepertoire. Schon wenige Jahre nach seinem Tod verbreiteten Wandertruppen seine Stücke in ganz Europa, lange bevor etwa die ersten deutschen Übersetzungen in Buchform erschienen – ein untrügerisches Zeichen für seinen Status als kanonischer Autor bereits im frühen 18. Jahrhundert.

Der Stellenwert Molieres für das Pantheon der Theaterweltliteratur scheint ohnehin in Stein gemeißelt: Kaum ein repräsentativer Theaterbau des 19. Jahrhunderts kommt ohne eine Büste des großen Komödienautors aus, das Wiener Burgtheater ist dabei nur ein Beispiel unter vielen. Auch abseits der Bühne bleibt er lebendig. „Seinen Moliere“ liest jedes französische Schulkind – und auch wer Französisch als Fremdsprache lernt, wird bis heute mit dem Klassiker früher oder später in Berührung kommen.