Coronavirus-Forschung

Hassattacken und der Umgang damit

Mit der Coronavirus-Pandemie sind viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erstmals ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt – und machen dabei auch viele unliebsame Erfahrungen. Obwohl es die Politik ist, die entscheidet, werden sie zur Zielscheibe vieler Maßnahmenkritiker und Coronavirus-Leugner. In ihren Hassnachrichten und Drohungen greifen sie tief in die Kiste der Ressentiments.

Ein Beispiel von vielen: der Simulationsforscher Niki Popper. Fast jede und jeder kennt seine Covid-19-Prognosen, beruft sich darauf oder ärgert sich darüber. Je länger die Pandemie dauert, desto öfter bekommt Popper Nachrichten wie „Ihr kranken Arschlöcher kapiert einfach nicht, was mit der Gesellschaft passiert. Ihr glaubt, wenn man für all das Elend wenigen Tausend Alten das Leben ein paar Monate verlängert, hätte man was Gutes getan? Ganz falsch!“ und „Auch ihr, nicht nur die Politiker, werdet vom Volk und vom Gericht zur Verantwortung gezogen, nicht morgen, aber bald, versprochen!“.

Wissenschaftlerinnen oder Politikern bald einen Prozess machen zu wollen, ist fixer Bestandteil in der Vorstellungswelt von Coronavirus-Leugnern und Maßnahmenkritikerinnen. Historisch paradox kombinieren sie ihren Wunsch nach einem „Nürnberger Prozess“ mit einem „Volksgericht“. Durchaus professionell designte Fahndungsfotos mit seinem Porträt und einem Prozesswunsch fand Popper vor Kurzem in der Nähe seines Büros in Wien. „Das finde ich entbehrlich, weniger weil ich mich sehr fürchte, sondern weil meine Kinder hier den Schulweg haben“, kommentiert Popper gegenüber ORF.at.

Simulationsforscher Niki Popper
APA/Helmut Fohringer
Simulationsforscher Niki Popper tritt regelmäßig in Medien auf

„Gradmesser, wie die Menschen leiden“

Die meisten persönlichen Begegnungen mit Coronavirus-Skeptikern verliefen bisher harmlos, erzählt der Covid-19-Experte. Er zeigt Verständnis für seine Kritiker und will sich keinesfalls in der Rolle des Opfers sehen. Als Person der Öffentlichkeit habe er auch eine Art Blitzableiterfunktion. Viele Menschen seien in der Pandemie überfordert und richten ihre Angst und Wut gegen Leute wie ihn – die als Experten die Regierung beraten.

„Ich sehe sie als Gradmesser, wie besch…eiden es den Menschen geht“, sagt Popper. „Und es mag schon sein, dass die das Falsche tun, und wenn sie sich impfen lassen würden, würden wir nicht hier sitzen. Aber so ist die Welt halt, das ist so wie eine Familie, du kannst dir die Gesellschaft auch nicht aussuchen. Und ja, es ist ein Gradmesser, wie die Leute darunter leiden.“

80 Prozent Hasskommentare, 20 Prozent bedroht

Das Verständnis Poppers hört freilich auf, wo das Strafrecht anfängt. Aufrufe zu Gewalt oder Gewalttaten seien durch nichts zu rechtfertigen. Und die gibt es rund um die Welt. Der US-Topvirologe Anthony Fauci brauchte nach Todesdrohungen gegen sich und seine Familie Personenschutz; der deutsche Virologe Christian Drosten erhielt Drohschreiben mit einer verdächtigen Substanz, sein belgischer Kollege Marc Van Ranst musste sich vor einem Rechtsradikalen in Sicherheit bringen.

Wie stark das Phänomen weltweit verbreitet ist, zeigt eine Umfrage der Wissenschaftszeitschrift „Nature“. Im Oktober 2021 befragte sie über 320 Forscherinnen und Forscher. Ergebnis: 80 Prozent hatten nach öffentlichen Aussagen zu Covid-19 Hasskommentare in den sozialen Netzwerken erhalten, über einem Fünftel war direkte körperliche oder sexualisierte Gewalt angedroht worden. Zwei Prozent gaben laut der – statistisch nicht repräsentativen – Umfrage an, direkt körperlich attackiert worden zu sein.

Dorothee von Laer,  Virologin an der Med-Uni Innsbruck
APA/Helmut Fohringer
Virologin Dorothee von Laer wurde Ziel von sexistischen und ausländerfeindlichen Angriffen

Anfeindungen oft sexistisch und ausländerfeindlich

„Schnepfe, geh ins deutsche Labor zurück“ – solche Nachrichten bekommt die Virologin Dorothee von Laer tagtäglich. Die gebürtige Hamburgerin leitet das Institut für Virologie der Medizinuni Innsbruck und gehört zu den bekanntesten Pandemieerklärerinnen des Landes. „Die meisten Anfeindungen sind offen sexistisch und ausländerfeindlich mir gegenüber“, sagt sie gegenüber dem ORF. In Innsbruck „hatte ich am Anfang ein bisschen Angst und trug eine Perücke, unter der man mich wirklich nicht erkannt hat“. Mittlerweile arbeitet sie vermehrt im Homeoffice, ihr Wohnsitz ist nicht in Tirol, sondern im Burgenland. Dort, sagt von Laer, sei die Situation entspannter.

Die Erfahrung von Laers entspricht jener rund um den Globus: Frauen und Angehörige ethnischer Minderheiten werden nach öffentlichen Aussagen zu Covid-19 überdurchschnittlich stark bedroht. Sie werden auch als solche attackiert, ergänzt die Historikerin und Politikwissenschaftlerin Heidi Tworek, die in Kanada zu dem Phänomen forscht. Jüdische Ärzte bekommen antisemitische Drohungen, nicht weiße Menschen und Frauen generell mehr Morddrohungen. „Die Drohungen sind sehr identitätsbezogen – haben also oft mit Religion, Hautfarbe oder Geschlecht zu tun. Wir sehen aber auch, dass viele Ärzte, die sich für Impfungen ausgesprochen haben, bedroht werden.“

Strategien gegen die Bedrohung

Gewaltdrohungen oder reale Gewalt sind für die meisten Beteiligten eine neue Erfahrung, die nicht ohne Folgen bleibt. Fast zwei Drittel der von „Nature“ Befragten sagten, dass ihre Bereitschaft, in Zukunft mit den Medien zu sprechen, durch Trolle und persönliche Angriffe gesunken sei. In Folge könnten wichtige Stimmen zum Schweigen gebracht werden, nachdem man selbst zum Ziel von Hass geworden ist – oder erlebt hat, wie das bei Gleichgesinnten geschehen ist.

Damit das nicht geschieht, gibt es eine Reihe von Gegenmitteln. Die erste Reaktion betrifft die Bedrohten selbst, sagt Politikwissenschaftlerin Tworek. Viele Forscherinnen und Forscher versuchen die Hassmails zu ignorieren oder löschen sie. Einzelne können das Problem aber nicht lösen, betont Tworek und verweist auf die Rolle der Institutionen.

„Wenn ein Uniangehöriger bedroht wird, sollte es ein eigenes Büro geben, das sich mit den Drohungen beschäftigt – und etwa mit Spamfiltern hilft oder vorübergehend die Mailadresse von der Uniwebsite nimmt.“ Im Extremfall sollte sich die Institution auch um den körperlichen Schutz der Angegriffenen kümmern – etwa durch Security auf dem Unigelände. Ebenso wichtig sei die Rolle der Polizei, die Onlinedrohungen laut Tworek aber oft nicht ernst genug nimmt und nicht weiß, wie sie damit umgehen soll.

Die Rolle der sozialen Netzwerke

Auch die sozialen Netzwerke sollten eine aktivere Rolle spielen. Etwa indem sie das Melden von Drohungen vereinfachen und ihre Absender schneller verfolgen und löschen. Diese Strategie oder dieser Wunsch ist natürlich der schwierigste von allen. Denn er greift direkt in Selbstverständnis und Geschäftsmodell der Plattformen ein. Facebook, Twitter und Co. lassen sich nicht gerne in die Karten schauen, wie sie mit ihren Daten umgehen.

Dabei sind viele Fragen offen, auch was Drohungen in der Wissenschaft betrifft, so Tworek. Ob die Algorithmen der Plattformen negative Kommentare und damit auch Drohungen bevorzugen, ist weiter unklar – auch wenn das die jüngsten Enthüllungen der Whistleblowerin Frances Haugen in Sachen Facebook nahelegen. „Um das besser zu verstehen, bräuchte man mehr Transparenz und mehr Forschung“, sagt Tworek, die für ihr eigenes Forschungsprojekt in Kanada Millionen von Nachrichten auf Twitter nach Hassnachrichten durchforstet.

Vergesslichkeit könnte helfen

Wie die Geschichte weitergehen wird? Die Virologin von Laer ist erstaunlich optimistisch: „Der Mensch ist ja zum Glück immer wieder relativ bald vergesslich. Falls Impfpflicht und fortgeschrittene Durchseuchung im Lauf des Jahres das Virus so weit unter Kontrolle bringen wird, dass es nicht mehr das komplette Leben bestimmt, dann werden sich die Menschen wieder anderen Dingen zuwenden. Dann können sie sich wieder über die Ausländer aufregen und was nicht alles. Und dann ist dieses Thema erst mal Geschichte.“