Das Klavier-Wunderkind Ruth Slenczynska im Jahr 1933 am Piano
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Mit 97

Neues Album von „Wunderkind“-Pianistin

Die US-amerikanische Pianistin Ruth Slenczynska, die als Wunderkind gegolten und bereits mit vier Jahren ihr erstes Solokonzert gegeben hat, bringt mit 97 Jahren heuer ein neues Album heraus. Die Pianistin sprach selbst von einem „unglaublichen“ Projekt: „Wer hat jemals gehört, dass eine Pianistin in meinem Alter ein weiteres Album aufnimmt?“

Das „My Life in Music“ benannte Album wurde von Decca im Vorjahr aufgenommen. Darauf spielt Slenczynska Musik von Sergej Rachmaninoff und Frederic Chopin, wie die BBC am Freitag berichtete. Das Album von Slencynska, die am Samstag 97 Jahre alt wird, erscheint am 18. März. Die Pianistin trat seit den 1920er Jahren auf. Damals wurde sie in Zeitungen teils als eines der größten Wunderkinder seit Mozart tituliert. Ihre Konzerte seien „eine elektrisierende Erfahrung“, schrieb die „New York Times“ nach einem der frühen Konzerte.

Slencynska hatte ihr Berliner Debüt mit sechs und in Paris mit sieben gegeben. Sie gelte als die letzte lebende Schülerin Rachmaninoffs und trage häufig ein Faberge-Halsband, das sie von dem Komponisten erhalten habe, so die BBC.

Bei Kennedys Angelobung gespielt

Die Pianistin spielte ein Duett zu vier Händen mit dem damaligen US-Präsidenten Harry S. Truman und trat bei der Angelobungsfeier von Präsident John F. Kennedy auf. Von Präsident Ronald Reagan wurde sie als erste US-amerikanische Frau, die eine 50-jährige Konzertkarriere feierte, gewürdigt.

Sie spielte auch für die damalige Präsidentengattin Michelle Obama und die emeritierte japanische Kaiserin Michiko, mit der sie laut „Pianist Magazine“ auch befreundet ist.

Bruch mit Vater

Die Kindheit von Slenczynska war alles andere als leicht. Ihr Vater, selbst ein bekannter polnischer Geiger und Leiter des Warschauer Musikkonservatoriums, wurde im Ersten Weltkrieg verwundet. Er emigrierte nach Kalifornien und konzentrierte sich dort darauf, seine Tochter zu einer Starmusikerin zu machen.

Bereits mit drei Jahren war sie versiert in Musiktheorie und -harmonie. Ihr Vater zwang sie zu einem extrem strengen Übungsplan und vielen Auftritten schon im Vorschulalter. Sie musste tagaus, tagein von Kleinkindalter an neun Stunden täglich spielen, wie sie selbst in einer 1957 erschienenen Autobiografie angab. Sobald sie mit anderen Kindern spielte, sei ihr Vater gekommen und habe sie gezwungen, aufzuhören. Er habe sie immer zurechtgewiesen: „Das sind alles Kindereien! Du bist kein Baby. Du bist eine Musikerin. Halte dich von diesen Kindern und ihren dämlichen Spielen fern. Das ist alles Zeitverschwendung.“

Der extreme Stress führte dazu, dass sie sich mit 15 Jahren der musikalischen Tortur verweigerte und nicht mehr auftrat. Später brach sie ganz mit ihrem Vater und begann ein Psychologiestudium, hörte aber nie mit dem Musizieren auf.

„Man serviert nicht Champagner und Bier gleichzeitig“

Ab 1951 trat sie wieder auf. Auch bei den Auftritten musste sie einen Rückschlag hinnehmen. Sie tourte vier Jahr lang mit dem Boston Pops Orchestra und dem Dirigenten Arthur Fiedler. Als nach einem Auftritt in Chicago eine Zeitung sie mehr lobte als den Dirigenten („Man serviert nicht Champagner und Bier zugleich“), sei ihr Engagement nicht mehr verlängert worden, erinnerte sich Slenczynska später.

Plattenaufnahmen und Lehrbuch

Slenczynska nahm in der Folge mit Decca zahlreiche Platten auf. Darin sei insbesondere ihr Gespür für Drama und Rhythmus zu erkennen, so die BBC, vor allem, wenn sie Chopin spiele.

1961 brachte die Pianistin zudem ein Klavierlehrbuch heraus: „Music at Your Fingertips: Aspects of Pianoforte Technique“ wird bis heute gedruckt. Später ging sie an die Universität von Southern Illinois in Edwardsville. Während des ersten CoV-Lockdowns spielte sie Beethoven-Sonaten anlässlich des 250. Geburtstags des Komponisten ein und lud diese auf YouTube hoch.

„Debüt vor ersten Farbfilmen“

„Es ist beeindruckend, wenn man daran denkt, dass Ruth ihr Konzertdebüt vor den ersten Farbfilmen gab und rund um die Erfindung des Fernsehens“, so die Chefs des Plattenlabels Decca, Laura Monks und Tom Lewis. „Dass sie sich nach neun Jahrzehnten noch immer an der Spitze hält“, sei einfach außergewöhnlich.