Der britische Premier Boris Johnson
AP/Hannah Mckay
Opposition fordert Rücktritt

Neue „Partygate“-Vorwürfe gegen Johnson

Neue Vorwürfe wegen des Bruchs von Coronavirus-Regeln in seinem Regierungssitz haben den ohnehin schon immensen Druck auf den britischen Premierminister Boris Johnson noch einmal erhöht. In der Downing Street gab es einem Medienbericht zufolge während der Pandemie nicht nur vereinzelte, sondern regelmäßige Zusammenkünfte. Das schrieb der in der „Partygate“-Affäre in der Regel gut informierte „Mirror“.

Johnsons Mitarbeiter hätten sich jeden Freitag zu „Wine-time Fridays“ getroffen, berichtete der „Mirror“ am Samstag. Der Premier habe sie ermutigt, „Dampf abzulassen“ – auch wenn Treffen in Innenräumen gemäß den Lockdown-Regeln streng verboten gewesen waren.

Johnson habe mehrmals selbst bei diesen Zusammenkünften vorbeigeschaut. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten für die regelmäßigen Treffen eigens einen Bürokühlschrank angeschafft, um ihre Flaschen Weißwein, Prosecco und Bier kühl zu halten.

Lange „Downing-Street-Tradition“

Freitägliche Treffen zum Wochenausklang waren nach „Mirror“-Angaben seit Langem eine Tradition in der Downing Street, auch unter früheren Regierungen. Die Zusammenkünfte wurden demnach aber auch fortgesetzt, nachdem Coronavirus-Beschränkungen erlassen worden und Zusammenkünfte unterschiedlicher Haushalte in Innenräumen untersagt waren.

Ein Regierungssprecher wollte sich AFP-Angaben zufolge nicht zu dem Zeitungsbericht äußern. Die Regierung will nach seinen Worten eine Untersuchung der Beamtin Sue Gray abwarten, die die „Fakten“ zu Treffen während der Coronavirus-Pandemie zusammentragen werde. Gray könnte ihren Bericht kommende Woche vorlegen.

Johnson steht in der „Partygate“-Affäre seit Längerem stark unter Druck. Er selbst will sich politisch mit einem umfassenden Neustart aus der Bredouille befreien. Zu den Lockdown-Partys im Regierungssitz laufen derzeit interne Untersuchungen, deren Ergebnisse der Premier abwarten will.

Bei Queen entschuldigt

Erst am Freitag sah sich die britische Regierung nach neuen Berichten über Lockdown-Partys in der Downing Street zu einer Entschuldigung bei Queen Elizabeth II. gezwungen. Zwei Abschiedsfeiern hatten im April am Vorabend der Beerdigung von Prinz Philip stattgefunden. Johnson hatte Berichten zufolge nicht daran teilgenommen. Philips Beerdigung fand am 17. April nur im engsten Familienkreis statt.

Erst am Mittwoch hatte Johnson im Parlament den Besuch einer Gartenparty am Regierungssitz in der Downing Street im Mai 2020 eingeräumt und um Entschuldigung gebeten. Damals befand sich das Land ebenfalls im strikten Coronavirus-Lockdown. Selbst Treffen von mehr als zwei Menschen im Freien waren zu diesem Zeitpunkt in England verboten.

„Führen oder zur Seite treten“

Angesichts der jüngsten Enthüllungen sieht sich der Regierungschef mit Rücktrittsforderungen aus der Opposition und auch aus seiner eigenen konservativen Tory-Partei konfrontiert. Mindestens fünf Abgeordnete aus Johnsons konservativer Partei forderten ein Misstrauensvotum gegen den Regierungschef.

Der Tory-Abgeordnete Tobias Ellwood sagte der BBC am Samstag, Johnson müsse „führen oder zur Seite treten“. Der frühere Johnson-Verbündete Andrew Bridgen sagte, für ihn habe der Premier seine „moralische Autorität verloren, das Land zu führen“. Bridgen zählt zu einigen Tory-Abgeordneten, die Johnson bereits schriftlich das Misstrauen ausgesprochen haben.

Auf die Wein-Partys in der Downing Street angesprochen entgegnete er im BBC-Frühstücksfernsehen, es spiele keine Rolle, ob Johnson dabei gewesen sei oder nicht. „Letztlich ist er verantwortlich für das, was in der Regierung vor sich geht“, sagte er. „Was wir sehen, ist eine Kultur, in der es eine Regel für sie gibt und der Rest von uns tut, was uns gesagt wird. Das ist einfach nicht akzeptabel.“

Johnsons Rücktritt gefordert

Der britische Oppositionschef Keir Starmer sprach Johnson angesichts der sich weiter zuspitzenden Affäre die Fähigkeit zum Regieren ab. Es sei nun im „nationalen Interesse“, dass Johnson abtrete, sagte der Vorsitzende der oppositionellen Labour Party auf einer Konferenz in London.

Rücktritt im „nationalen Interesse“

Diese Worte hallten auch in einer Rede von Oppositionschef Keir Starmer nach. Es sei nun im „nationalen Interesse“, dass Johnson abtrete, sagte der Labour-Vorsitzende am Samstag auf einer Konferenz in London. Die Torys rief er auf, das Notwendige zu tun – und Johnson loszuwerden.

Zuletzt wurde berichtet, dass es am Vorabend der Beerdigung von Queen-Gemahl Prinz Philip im April 2021 Feiern im Regierungssitz gegeben habe. Damals galten strenge Kontakt- und Abstandsregeln in Großbritannien. Queen Elizabeth II. musste deshalb ganz alleine in der Kapelle ihrer Residenz Windsor sitzen, als ihr Mann, mit dem sie 73 Jahre lang verheiratet war, bestattet wurde. Die Downing Street entschuldigte sich dafür. „Es ist zutiefst bedauerlich, dass das zur Zeit nationaler Trauer stattgefunden hat“, erklärte ein Johnson-Sprecher.