Russlands Präsident Vladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping
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Taiwan

China lernt von Putins Ukraine-Politik

China beobachtet derzeit offenbar äußerst genau die Ukraine-Taktiken des Kreml, wie das US-Politikmagazin „The Atlantic“ schreibt. Vor allem die Reaktionen und die langfristige Ukraine-Politik der USA unter Präsident Joe Biden stehen für Peking auf dem Prüfstand. Die Ähnlichkeit der auch symbolischen Wichtigkeit der Ukraine für Russland und der aus Chinas Sicht abtrünnigen Provinz Taiwan für China lägen für Präsident Xi Jinping auf der Hand, so „The Atlantic“.

Die USA weichen derzeit von der Ein-China-Politik offiziell nicht ab. Doch hinter den Kulissen befürchtet Peking seit geraumer Zeit eine Einflussnahme Washingtons auf Taiwan. Nun will man von Kreml-Chef Wladimir Putin einige Winkelzüge, wie man mit den USA machtpolitisch in solchen Fragen umgeht, lernen. Peking rüstet sich für den Fall der Fälle, dass die US-Außenpolitik in Sachen Taiwan und Beherrschung des strategisch äußerst wichtigen südchinesischen Meeres künftig einen anderen – aus Pekings Sicht noch aggressiveren – Kurs fährt.

Auch will man offenbar am Beispiel Ukraine erkunden, welcher Widerstand bzw. welche Gegenmaßnahmen und Repressionen von den USA bzw. deren Präsident Joe Biden bei einer aggressiveren chinesischen Taiwan-Politik zu erwarten ist. Wie Putin, der erpicht darauf sei, die Ukraine wieder unter Moskaus Kontrolle zu bringen, löse auch der Gedanke, dass Taiwan näher an die USA und ihre in diesem Fall asiatischen Verbündeten rücken könne, bei Xi Besorgnis aus, so „The Atlantic“.

Russlands Präsident Vladimir Putin
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Kreml-Chef Wladimir Putin kennt Biden noch aus dessen Jahren als Vizepräsident unter Barack Obama

Auf die Interpretation kommt es an

Wie Xi den Ukraine-Konflikt interpretiere bzw. missinterpretiere, könne stark beeinflussen, ob und wie China eine Wiedervereinigung mit Taiwan anstrebe. Das habe äußerst große Auswirkungen auf die Sicherheitslage und die Stabilität in der von China dominierten Region. Deshalb sei die Ukraine-Krise ein entscheidender Test für die Stärke der globalen Macht der USA.

Denn über Biden hängt weiterhin auch noch das Fiasko des chaotischen Abzugs aus Afghanistan. Nicht nur in den Augen Moskaus und Pekings steht Biden dadurch in seiner Außenpolitik geschwächt da. Für Moskau ist Biden überdies seit dem Beginn der Ukraine-Krise 2013/14 ein alter Bekannter. Damals war Biden Vizepräsident unter seinem Parteifreund US-Präsident Barack Obama.

Chinas Präsident Xi Jinping
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Der chinesische Präsident Xi Jinping beobachtet die Politik von Biden äußerst genau

Biden unter permanentem Testdruck

Das Problem für Biden sei, dass der US-Präsident von Peking und Moskau permanent ausgetestet bzw. provoziert werde, um ihn einschätzen zu können, so Danielle Pletka vom konservativen Thinktank American Enterprise Institute zu „The Atlantic“. Das sei jetzt eine wichtige Phase, in der auch entschieden werde, wie das weitere Vorgehen sei.

Xi versuche festzustellen, ob Washington unter Biden eine sicherheitspolitische und politische Wende vollziehe, so Shelley Rigger, Taiwan-Experten am Davidson College in North Carolina. Peking befürchte, dass Washington versuchen könne, seine Taiwan-Politik strategisch einzusetzen, um Chinas wirtschaftlichen und politischen Aufstieg zu bremsen oder gar zu verhindern. Das sei es, was ihrer Meinung nach, in China tatsächlich Besorgnis auslöse.

Amerikanischer Präsident Joe Biden
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US-Präsident Joe Biden wird von China und auch Russland genau beobachtet

Peking vs. Washington

Die militärischen Spannungen zwischen Peking und der taiwanischen Hauptstadt Taipeh haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Peking sieht Taiwan, das sich 1949 von China abgespaltet hatte, als abtrünnige Provinz, die wieder mit dem Festland vereinigt werden soll – notfalls mit militärischer Gewalt. China isoliert Taiwan auch politisch.

Die USA sind der wichtigste Verbündete Taiwans und haben ihre Waffenlieferungen in den vergangenen Jahren verstärkt. US-Kriegsschiffe durchqueren im Zuge militärischer Übungen immer wieder die Straße von Taiwan, was zu Verärgerung in China führt. Auch taiwanische Soldaten sollen von den USA ausgebildet worden sein. Die USA unterhalten aber wie viele andere Staaten mit Rücksicht auf die Volksrepublik keine formalen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan.

Hubschrauber mit taiwanischer Fahne über Taipeh
Reuters/Ann Wang
Ein Hubschrauber mit taiwanischer Fahne über der taiwanischen Hauptstadt Taipeh

Wie weit will und kann Biden gehen?

Bei einer Feier in der Großen Halle des Volkes zum 110. Jahrestag der Revolution rief Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im Oktober zu einer „Wiedervereinigung“ auf. Eine Vereinigung mit „friedlichen Mitteln“ diene am besten den Interessen der gesamten chinesischen Nation. Mit Blick auf den Unabhängigkeitswillen des heute demokratischen Taiwan sagte Xi: „Jene, die ihr Erbe vergessen, ihr Vaterland verraten und versuchen, das Land zu spalten, werden ein böses Ende nehmen.“

Angesichts der derzeitigen Lage werde Xi die Situation in der Ukraine genau im Blick haben und analysieren, welche Instrumente Biden einsetzen könne und letztlich auch einsetzen werde, um Russland in die Schranken zu weisen. Doch auch ein Kompromiss in Sachen Ukraine sei möglich, so „The Atlantic“. China sei allerdings gut beraten, die Situation in der Ukraine nicht 1:1 auf Taiwan umzumünzen.

Prorussischer Kämpfer in der Ukraine
Reuters/Alexander Ermochenko
Prorussischer Kämpfer in der Ukraine

US-Interesse an Taiwan ungleich höher

Obwohl Biden bereits ein militärisches Eingreifen der USA ohne Verbündete in der Ukraine ausgeschlossen hat, gelte das nicht für Taiwan. Hier hielten die USA ihre Position betreffend einer Militärintervention noch offen und daher für Pekings Einschätzung unklar. So ist Taiwan für die nationalen Interessen der USA strategisch weitaus wichtiger als die Ukraine: als Glied im Bündnissystem, das das Rückgrat der US-Macht im Pazifik bildet. Außerdem liefert Taiwan Halbleiter und andere Hightech-Komponenten in die USA.

China hat indes im Fall Taiwan das Heft des Handelns in der Hand, und das heiße derzeit tendenziell abwarten, heißt es in „The Atlantic“. China sei eine aufstrebende Weltmacht, und aus der Sicht Pekings habe man deshalb tendenziell mehr Zeit und nicht weniger Zeit, um das „Problem Taiwan zu lösen“, so Rupert Hammond-Chambers, Präsident des US-taiwanesischen Wirtschaftsrates gegenüber „The Atlantic“.

Großbritannien liefert Panzerabwehrwaffen an Ukraine

Und die USA haben auch andere strategische Positionen in Europa und in Asien. So werden Bidens Möglichkeiten in der Ukraine-Krise von der NATO und auch von der EU beschränkt, liegt doch die Ukraine quasi vor der Haustür der Europäischen Union.

Das NATO-Mitglied Großbritannien etwa will nun der Ukraine bei der Abwehr einer möglichen Invasion durch Russland mit Waffen zur Bekämpfung von Panzern helfen. „Wir haben entschieden, der Ukraine leichte defensive Panzerabwehrwaffen zu liefern“, sagte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace am Montagabend im Parlament. Es seien bereits die ersten Einheiten in der Ukraine angekommen. Britische Armeeangehörige sollen für eine kurze Zeit ukrainisches Personal an dem Waffensystem ausbilden.