„Tata Steel“-Schachturnier in den Niederlanden
picturedesk.com/Xinhua/Eyevine/Sylvia Lederer
Gangster als Kommentator

Skandal in Norwegens heiler Schachwelt

In Norwegen ist Schach eine ernste Angelegenheit – das Spiel ist dort eine Art Nationalsport. Das derzeitige Turnier Tata Steel Chess wird im TV übertragen und kommentiert – dieses Mal auch vom bekanntesten Schwerverbrecher des Landes, David Toska. Er entwickelte seine Expertise im Gefängnis.

Nicht erst seit dem Aufstieg des norwegischen Schachgenies Magnus Carlsen ist das Spiel im nordischen Königreich enorm beliebt. Ein wahrer Hype entwickelte sich aber, nachdem Carlsen 2013 den Weltmeistertitel geholt hatte. Viele Turniere werden live im Fernsehen übertragen und kommentiert, die Einschaltquoten können sich sehen lassen. Schach gehört neben Skifahren zu den liebsten Sportarten der Norwegerinnen und Norweger.

Zum alljährlich ausgetragenen Tata Steel Chess Tournament, das derzeit in den Niederlanden stattfindet, werden einmal mehr die Koryphäen der Schachwelt erwartet – und eine Größe der Unterwelt. Toska ist der wohl bekannteste Gangster des Landes und gilt als Drahtzieher des größten Bankraubs in Norwegens Geschichte. Das hat dem Sender TV2, der Toska dieses Mal als Kommentator einlud, viel Kritik eingebracht.

Raub führte zu Bekanntheit

Bekannt wurde der unscheinbar auftretende Toska durch den brutalen Überfall einer schwer bewaffneten Gang auf den Finanzdienstleister Nokas Cash Handling 2004 in der Stadt Stavanger. Die Bande hatte vor dem Raub die Polizeigarage mit einem brennenden Lastwagen und Rauchgranaten blockiert.

Danach drang ein Dutzend Räuber in das Depot ein und stahl unter Gewaltandrohung rund 57 Millionen Kronen (damals rund acht Mio. Euro). Als die Polizei schließlich am Tatort eintraf, kam es zu einem Schusswechsel, bei dem der Beamte Arne Sigve Klungland starb.

David Toska zum Verfahrenbeginn 2005 bei Gericht
www.picturedesk.com/EPA/Alf Ove Hansen
David Toska auf einem Bild von 2005: Er gilt als Mastermind hinter dem Nokas-Raub

Toska wurde ein Jahr später in Spanien gefasst, er und seine Komplizen wurden 2006 allesamt verurteilt. Sie bekannten sich des Raubes schuldig, aber nicht der Tötung des Polizisten. Toska fasste 19 Jahre aus – wurde aber auch zu einer Berühmtheit. 2010 erschien gar ein Kinofilm über den verhängnisvollen Raub.

Schach hinter Gittern

Im Gefängnis vertiefte er sich in seine Schachleidenschaft. Toska galt schon in seiner Jugend als großes Talent, bevor er kriminell wurde. Laut der Plattform Chess24.com belegte er als Teenager den vierten Platz in Norwegens U14-Meisterschaft. In der Haft kehrte er zum Schachsport zurück, interessiert durch Carlsens beispiellosen Aufstieg. Heute soll er ein ELO-Rating von rund 2.000 haben – die weltbesten Spielerinnen und Spieler kommen auf rund 2.800.

Toska, heute 46 Jahre alt, wurde 2018 vorzeitig aus der Haft entlassen. Auch dieser milde Umgang mit dem Schwerverbrecher sorgte für spektakuläre Schlagzeilen. Denn Toska soll in Geheimverhandlungen mit dem Staatsanwalt ein millionenschweres Faustpfand eingesetzt haben.

Deal mit den Behörden?

Wenige Monate nach dem Nokas-Überfall fand ein anderer aufsehenerregender Raub in Norwegen statt: Damals wurden vor den Augen erschrockener Besucher zwei weltberühmte Bilder von Edvard Munch aus dem Osloer Munch Museum von den Wänden gerissen und gestohlen.

„Der Schrei“ und „Madonna“ waren daraufhin zwei Jahre lang wie vom Erdboden verschluckt. Fachleute und Medien spekulierten schnell, dass Norwegens Unterwelt kein Interesse an der Veräußerung der Bilder habe. Es sei vielmehr darum gegangen, die Polizei mit dem Kunstraub von den Nokas-Ermittlungen abzulenken. Toska soll als Auftraggeber des Kunstraubs fungiert haben. Er war vorübergehend auch Hauptverdächtiger im Munch-Fall.

Gemälde „Der Schrei“ von Edvard Munch aus dem Jahr 1910
Edvard Munch, Google Art Project
Munchs „Der Schrei“

Im Jahr 2007 wurden im Fall des Museumsraubs allerdings drei andere Männer verurteilt. Zuvor hatte die Polizei die Bilder entdeckt, der entscheidende Tipp kam ausgerechnet vom inhaftierten Toska.

Er soll mit dem Wissen um den Verbleib der Gemälde versucht haben, sich Hafterleichterungen zu erkaufen – ein solcher Deal ist im norwegischen Recht nicht vorgesehen. Die Ermittler hüllten sich dementsprechend in Schweigen.

Empörung bei Opfern

Der Berufsverbrecher Toska, der heute sein Geld angeblich als Programmierer verdient, gilt als rehabilitiert. Dass nun ausgerechnet er als TV-Experte engagiert wurde, hat in Norwegen für Empörung gesorgt. Opferanwalt Pal Behrens sagte zu „Dagbladet“, das Engagement sei zynisch und völlig überflüssig. Unter den Nokas-Beschäftigten habe es zu heftigen Reaktionen geführt.

Auch Erik Haland, Polizist im Dienst beim Nokas-Raub, empörte sich öffentlich über die offensichtliche Akzeptanz Toskas: „Ich bin immer wieder überrascht, dass sich Medien immer wieder vor bekannten Kriminellen verbeugen. Ein weiterer Grund, Schach nicht anzuschauen“. Toska verdanke seine Berühmtheit den schweren Verbrechen, die er begangen habe. „Das halte ich für eine sinnlose Verherrlichung“, so Haland zur Zeitung „VG“.

Auch einer der Sponsoren des privaten Senders TV2 zog sich zurück. Man wolle nicht „in Zusammenhang stehen mit einem Vorfall, der noch immer schlechte Erinnerungen bei vielen Menschen hervorruft“, so das Statement der Firma Intrum.

Toska: „Hoffe, es geht vorbei“

Der Sender aber blieb bei seiner Wahl. In einer Stellungnahme sagte Sportchefredakteur Vegar Jansen Hagen, man habe sich die Einladung Toskas gut überlegt, das „Gesamtfeedback“ sei positiv gewesen. „Wir haben uns besonders um die Familie von Klungland gekümmert, und ihre Meinung war uns sehr wichtig.“ Tatsächlich wurde auch die Familie des getöteten Polizisten eingebunden. Klunglands Sohn ließ wissen, die Familie habe keine Einwände. „Alles, was ihm oder den anderen Verurteilten helfen kann, in die Gesellschaft zurückzukehren, ist positiv.“

Auch Toska selbst meldete sich nach den vielen Stimmen zu Wort. Er sei auf negative Reaktionen vorbereitet: „Ich hoffe, es geht vorbei, und die Leute können sich auf Schach konzentrieren. Ich glaube, der Fokus wird sich ziemlich schnell verschieben, zumindest für mich. Was im Mittelpunkt stehen sollte, ist das, was im Spiel passiert. Und ich hoffe, meine Geschichte wird das nicht beeinträchtigen.“