Palmer kündigte am Dienstag an, bei der Bürgermeisterwahl seiner Stadt im Herbst nicht als Kandidat der Grünen anzutreten. Er werde sich wegen des beginnenden Parteiausschlussverfahrens gegen ihn nicht am Nominierungsprozess beteiligen, teilte er in einem Schreiben mit.
„Es ist logisch und sachlich unmöglich, gleichzeitig ein Verfahren zur Nominierung und zum Ausschluss zu betreiben", schreibt Palmer. Man könne als Kandidat einer Partei nicht beides sein, „nominiert und ausgeschlossen“.
Weitere politische Karriere offen
Der deutschlandweit bekannte, aber in seiner Partei umstrittene Politiker betonte, dass er die Entwicklung sehr bedauere. Man habe in den vergangenen 16 Jahren in Tübingen viel erreicht. „Ich hätte daher gerne mit eurer Unterstützung den Versuch unternommen, diesen erfolgreichen Weg fortzusetzen“, schrieb Palmer an die Tübinger Parteimitglieder. „Das bleibt uns nun verwehrt. Gleichwohl hoffe ich sehr, dass Tübingen auch in Zukunft eine Stadt ist, in der das Rathaus grüne Ziele verfolgt, in der Klimaschutz und Prosperität zusammen gedacht und gemacht werden.“
Ob er bei der Wahl des Stadtoberhaupts in Tübingen etwa als unabhängiger Kandidat oder für eine andere Partei antreten könnte, ließ er offen. Ein Landesparteitag hatte Anfang Mai beschlossen, ein Parteiordnungsverfahren gegen den wegen seiner Provokationen umstrittenen Palmer anzustrengen. Der Kandidat für den Oberbürgermeisterposten soll in einer Urwahl bestimmt werden.
Mehrfach ausgezeichnete Klimapolitik
Palmer ist seit 2007 Bürgermeister Tübingens. Rund 90.000 Einwohnerinnen und Einwohner hat die Stadt – und trotzdem ist Palmer weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt, auch wegen seiner markigen Aussagen, die ihn zu einem gefragten Talkshow-Gast machen.

Seine Arbeit für die Stadt, vor allem in Fragen des Klimaschutzes, gilt als vorbildlich. Bei der Reduktion von Co2-Emissionen wurde Tübingen der beste Wert aller deutschen Städte bescheinigt. Auch in Sachen Bürgerbeteiligung wurden neue Konzepte umgesetzte, ebenso in der Wirtschafts- und Verkehrspolitik.
Wirbel um Coronavirus-Sager
Zum Enfant terrible der Grünen wurde er wegen seiner Aussagen – ob es sich dabei um verbale Ausrutscher oder kalkulierte Provokationen handelt, wurde vielfach diskutiert. Palmer sorgte schon ab 2015 mit Forderungen nach einer strengeren Flüchtlings- und Migrationspolitik für Aufsehen – vor allem innerhalb seiner eigene Partei.
Für internationale Schlagzeilen sorgte er im April 2020. In einem TV-Interview sprach er sich schon damals für lockerere und treffsicherere Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie aus: „Ich sag’s Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“ Eine Welle der Empörung schlug Palmer entgegen – auch wenn er danach versuchte, seine Aussagen zu relativieren.
Modellstadt bei Coronavirus-Maßnahmen
In Sachen Coronavirus-Maßnahmen galt Tübingen umgekehrt ab dem Herbst 2020 mit dem „Tübinger Modell“ wieder als Vorzeigestadt. Man setzte früh auf schnelle und kostenlose Antigen-Tests, vor allem die Alters- und Pflegeheime sollten dadurch besser geschützt werden. Auch ein Taxidienst für ältere Personen wurde bezahlt.

Und Tübingen wäre fast vor einer besonderen Erfolgsgeschichte gestanden: Das in der Stadt ansässige Unternehmen CureVac galt als Anwärter für einen schnellen Impfstoff, Palmer selbst stellte sich als Testperson zur Verfügung. Doch das Projekt floppte, der Impfstoff erwies sich als kaum effektiv. Nun forscht das Unternehmen an einem Vakzin der zweiten Generation.
Sollte das ein Erfolg werden, kann Palmer wohl nicht mehr als Bürgermeister davon profitieren. Die baden-württembergischen Grünen hatten schon an ihrem Landesparteitag im Mai vergangenen Jahres ein Parteiausschlussverfahren gegen Palmer beschlossen.
Rassistisches Posting brachte Fass zum Überlaufen
Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte ein rassistisches Posting über den früheren Fußballnationalspieler Dennis Aogo, das Palmer auf Facebook weiterverbreitet hatte. Nach Palmers Angaben war sein Eintrag satirisch gemeint, Ermittlungen dazu wurden im September eingestellt.
Doch auch in der langen Kontroverse über das Posting goss Palmer eher mehr Öl in Feuer. Kritisiert wurde aber auch, dass sich der Politiker völlig ohne Notwendigkeit in diese Misere gebracht hatte. Die damaligen Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrandt begründeten den Ausschlussantrag mit einer „langen Liste von kalkulierten Ausrutschern und inszenierten Tabubrüchen“.
Palmer hat bei den Grünen in Tübingen, aber auch bundesweit weiterhin Unterstützer. Zuletzt sprachen sich 500 Grüne, darunter prominente Bundes- und Landespolitiker, gegen das Parteiausschlussverfahren aus. Die Entscheidung, ob Palmer die Partei verlassen muss, könnte sich lange hinziehen. In der vergangenen Woche wurde das Verfahren von der Kreispartei an das Landesschiedsgericht abgegeben, was Palmer verlangt hatte. Fraglich ist, ob Palmer nun nicht auch hier der Parteientscheidung vorgreifen wird.