Wladimir Kaminer und Vodoo Jürgens
ORF/3sat
Wie tickt Österreich?

Kaminer fragt Wanda, Gazal und Voodoo

Wie viel Klischee steckt in der Lust zur Selbststilisierung, fragt Wladimir Kaminer die Stars der heimischen Popszene. Marco Wanda, die Rapperin Gazal und der Sänger Voodoo Jürgens nehmen ihn mit auf eine Reise, bei der Kaminer lernt, auf einem doppelten Boden zu gehen. Nichts ist das, was es scheint, in Österreich. Und trotzdem brauchen alle den Hauch von Selbstkitsch, um zu sich zu kommen, zeigen die Interviews.

In der Bedienung von Stereotypen und Klischees sind die Österreicher bekanntlich Weltmeister. Das seit 1918 kleine Land mit der langen Tradition tut sich seit je nicht so leicht, zu bestimmen, was Österreich nicht zuletzt im Abgrenzen von Deutschland ist. Gegenüber Fremden ist Österreich jedenfalls geübt, ein ganzes Arsenal wieder erkennbarer Bilder zu bedienen. „In Wahrheit“, so der Kabarettist Josef Hader im aktuellen „Spiegel“ jüngst zur Frage nach dem typisch Österreichischen, „ist kein Land schlimmer als das andere“ – aber, so fügt er hinzu, das Österreichische sei wie das Bayrische weicher, „das heißt, wir können böse Dinge sagen, und die Leute hören es trotzdem gerne an“. In diesem Sinn darf der russisch-deutsche Kultautor Kaminer auf seinem Weg durch die österreichische Popkultur gewarnt sein, auf Antworten zu stoßen, die „gfeanzt“, also doppelbödig und hinterhältig, sind.

Marco Wanda: „Singen in der Sprache, in der wir lieben“

Im zweiten Teil der 3sat-Dokumentation „Kaminer inside“ nähert sich Kaminer über die Musik den unterschiedlichen Ausprägungen des Österreichisch-Seins. Schon bei der davor gezeigten Doku zum Thema „Heimat“ zeigte sich, etwa im Gespräch mit Andreas Gabalier, dass die österreichische Identität viel breiter aufgestellt ist als gedacht und auch die Jungen neue Positionen zu dem suchen, was man als „typisch Österreichisch“ verstehen könnte.

TV-Hinweis

In der Dokureihe „Kaminer inside“ fragt Wladimir Kaminer für 3sat wie Österreich, Schweiz und Deutschland klingen. Am Samstag zu sehen ab 20.15 Uhr auf 3sat. Jede Woche präsentiert ORF III, freitags in „Kultur heute“ die Interviews von Kaminer mit heimischen Stars aus allen Genres der Musik.

„Wien ist eine Bühne ohne Eigenschaften“

„Wien ist in unseren Texten eine Bühne ohne Eigenschaften, auf der sich Dramen entfalten.“ So skizziert Wanda auf den Dächern hoch über Wien die Ausgangslage für seine Arbeit, in der sich Fragen der Identität schon aus dem Standort ergeben. „Wien als Stadt ist so mächtig besetzt, dass es völlig reicht, wenn du Wien singst – du brauchst nur das Wort ‚Wien‘ singen, und jeder hat ein Bild (…) du musst es nicht ausformulieren“, erzählt der Sänger, der mit seiner Band seit einigen Jahren im gesamten deutschsprachigen Raum große Erfolge erzielt. Wie andere Bands aus Österreich hat man bewusst auf Deutsch als Sprache für die eigenen Songs gesetzt – „das ist die Sprache, in der wir träumen, in der wir lieben“.

„Dieses ganze Wiener Idiom kommt eigentlich aus dem Musiktheater, das heißt, Wiener Sänger und Liedermacher und Liedermacherinnen waren im Prinzip immer in einer Doppelrolle zwischen einerseits Humorist oder Kabarettist und auf der anderen Seite zwischen dem Absturz Richtung Tod und Traurigkeit“, so Wanda. Typisch für Österreich seien die „sehr fatalistischen, sehr traurigen Texte“. Das sei aber eine textliche, keine musikalische Tradition, denn in Sachen Musik bediene man sich wiederum ganz deutlich aus einer Mischung aus amerikanischem Rock ’n’ Roll und britischem Blues.

Wanda haben sich übrigens nach der „wilden Wanda“, der ersten Zuhälterin der Stadt, Wanda Kuchwalek, benannt: „Dass das so eine eine vergessene Frauenfigur ist, die total streitbar ist, aber die sich in so einer männlichen Domäne wie der Wiener Unterwelt durchgesetzt hat als Frau, das hat uns total interessiert.“

Gazal über Österreich und Heimat

Identität und Ausgrenzung

Dass die Identitätsfrage eine vielschichtige ist, verdeutlicht sich für Kaminer am Treffen mit der Rapperin Gazal, die aus dem Iran stammt und als Flüchtlingskind und lesbische Frau gleich die Erfahrungen mehrfacher Ausgrenzungen kennt. Für sie ist der Hip-Hop jenes Medium, das Missstände aufzuzeigen, aber gleichzeitig auch neue Identitätsmarken zu setzen vermag – der Hip-Hop suche sich seine Bühne selber oder müsse sich einfach selbst aktiv erobern, erzählt sie. „Gazal, aber Österreich ist ja nicht die Bronx, Österreich ist doch ein Postkartenland“, hält ihr Kaminer entgegen, doch sie kontert: „Ich glaube überall, wenn Menschen aufeinandertreffen, gibt es gewisse Probleme, sei es Rassismus oder Feindlichkeit gegenüber lesbischen und schwulen Personen, all diese Dinge, und die habe ich alle erlebt als ehemaliges Flüchtlingskind in Österreich.“

Für sie seien ihre iranische Identität, die sich ja auch im Namen „Gazal“ (dt.: „Gazelle“) ausdrückt, ebenso wichtig wie ihre Herkunft aus Oberösterreich, wo sie aufgewachsen sei, bevor sie nach Wien kam. „Ich will meine Herkunft gar nicht  ablegen und ich hab das auch nie abgelegt, weil ich auch zu meinen Wurzeln stehe. Ich hab sogar russische Wurzeln, mein Opa kommt aus Russland, meine Oma aus Georgien, also ich hab auf der ganzen Welt Wurzeln geschlagen, und das gibt, glaub ich, einen guten Halt, und damit kann man gut Haltung zeigen, und eigentlich ist das was Gutes“, resümiert sie. Aus ihrer Lebenserfahrung aus Oberösterreich habe sich auch das Besitzen einer Landeshymne nach Wien mitgebracht. Als man ihr in Wien gesagt habe, dass es so etwas in Wien nicht gebe, habe sie sich entschlossen, eine Wien-Hymne zu rappen. Das Resultat: der bekannte Song „Wien, Oida!“

Voodoo Jürgens über Klischee und Patriotismus

Man muss nicht aus Wien sein, um wie ein Wiener zu reden

Eigentlich musste man ja nie aus Wien kommen, um sich als Wiener zu fühlen, ja wie ein Wiener zu reden. Das weiß auch der aus Tulln gebürtige David Öllerer, der als Voodoo Jürgens mittlerweile der Inbegriff des schwarzen Wiener Humors gerade auch in einer jungen Zielgruppe ist. Jürgens weiß wohl aus eigenen Erfahrungen, wie es sich anfühlt, die Gesellschaft von den Randzonen zu erfahren. Deshalb ist für ihn auch der Prater der ideale Ort zur Bestimmung des Österreichischen. Hinter jedem Klischee, aber auch jeder Zuschreibung lauert auch das Gegenteil. Ein richtig Guter allerdings, das ist der Wiener per se nicht. Eher so eine Mischung aus einem Betrachter und einem hinterlistigen Lauser. Aber der Lauser, das sei auch schon das beste Attribut, wenn man etwa einen Wiener „Strizzi“ skizziere – ein Begriff, der ebenso eng am Milieu der Zuhälter angesiedelt sei, erläutert er mit einem Lächeln.

„Heimatgefühl und Patriotismus“, damit tue er sich schwer, erläutert Jürgens. Nennt aber einen Grund: Unter dem Begriff von Stolz auf das Land sei gerade in den letzten Jahren der Ausschluss von anderen erfolgt. Und mit diesem Umstand könne man in einem wohlhabenden, schönen Land wie Österreich nicht zufrieden sein. Deshalb gehe er zu den positiven Zuschreibungen zur Heimat gerne auf eine Art von Sicherheitsdistanz.