Ministerpräsident des Vereinigten Königreichs, Boris Johnson
AP/Jessica Taylor/Jessica Taylor
„Partygate“

Tory-Rebellen wollen Johnson stürzen

Parteiinterne Gegnerinnen und Gegner des britischen Premiers Boris Johnson wittern ihre Chance zur Rebellion. Wie mehrere britische Medien in der Nacht auf Mittwoch berichteten, wollen zahlreiche Abgeordnete seiner Konservativen Partei dem Regierungschef das Misstrauen aussprechen.

Es sei gut möglich, dass damit jene 54 Stimmen erreicht werden, die für ein Misstrauensvotum gegen Johnson nötig sind. Schon am Mittwoch drohe Johnson der „D-Day“, der Tag der Entscheidung, hieß es. „Seine Zeit ist abgelaufen“, zitierte der „Telegraph“-Reporter Christopher Hope einen Parlamentarier.

Zu einer Misstrauensabstimmung in der Fraktion würde es kommen, falls sich 15 Prozent der 360 konservativen Abgeordneten gegen Johnson aussprechen – was 54 Stimmen entspricht. In geheimer Wahl in der Fraktion müsste der Premier dann mindestens 50 Prozent der Mitglieder auf seine Seite bekommen, um die Abstimmung zu überstehen.

Johnson steht seit Wochen erheblich unter Druck wegen Enthüllungen über Partys am Regierungssitz während des CoV-Lockdowns. Die Affäre wird in britischen Medien in Anlehnung an die Watergate-Affäre, die US-Präsident Richard Nixon 1974 zu Fall brachte, auch als „Partygate“ bezeichnet. Sein Ansehen in der Bevölkerung und der Partei gilt bereits als schwer beschädigt.

Nur noch Frage des Zeitpunkts?

„Ich glaube, wir haben es geschafft“, zitierte die gut vernetzte BBC-Reporterin Laura Kuenssberg einen gegen Johnson aufbegehrenden Tory. ITV-Moderator Robert Peston twitterte, mehrere konservative Abgeordnete seien sich einig, dass Johnson gehen müsse. Es sei nur noch nicht klar, ob sie schon jetzt vorpreschen oder bis zur Veröffentlichung eines internen Untersuchungsberichts warten.

Bisher haben sieben Tory-Parlamentarier dem Premier ihr Misstrauen ausgedrückt, hinter den Kulissen war aber bereits von mindestens 30 Rebellen die Rede. Nach Zählung der „Times“ haben 58 Abgeordnete Johnson öffentlich kritisiert.

Abgeordneter wechselt zu Labour

Für Aufsehen sorgt vor allem, dass es sich bei den neuen Stimmen um Abgeordnete handeln soll, die erst aufgrund von Johnsons fulminantem Wahlsieg 2019 ins Parlament gekommen sind. Sie hatten sich am Dienstag im Büro von Alicia Kearns getroffen. Weil deren Wahlkreis um den Ort Melton Mowbray bekannt für Schweinefleischpastete ist, sprechen Medien von einem „Pork Pie Putsch“.

Einer dieser Abgeordneten ist Christian Wakeford – er kündigte am Mitwoch gar den Wechsel zur oppositionellen Labour-Partei an. „Sie und die Konservative Partei haben sich als unfähig erwiesen, die Führung und Regierung zu bieten, die dieses Land verdient“, sagte Wakeford.

Parteiinterne Revolte gegen Premier Johnson

Parteiinterne Gegnerinnen und Gegner des britischen Premiers Boris Johnson wittern ihre Chance zur Rebellion. Wie mehrere britische Medien in der Nacht auf Mittwoch berichteten, wollen zahlreiche Abgeordnete seiner Konservativen Partei dem Regierungschef das Misstrauen aussprechen.

„In Gottes Namen, geh!“

Der frühere Brexit-Minister David Davis forderte Johnson am Mittwoch im Parlament zum Rücktritt auf: „In Gottes Namen, geh!“ Er habe Johnson wochenlang für dessen Verdienste beim Brexit und in der CoV-Krise verteidigt. Er erwarte aber auch, dass Regierungsmitglieder die Verantwortung für ihre Taten übernähmen.

Johnson verneinte indes die Frage eines Abgeordneten der Liberaldemokraten, ob es nicht Zeit für einen Rückzug sei. Johnson entschuldigte sich erneut für mögliche Fehleinschätzungen und erklärte, zunächst die Ergebnisse einer internen Untersuchung zu umstrittenen Partys abzuwarten.

Meinungsforscher: „Leute unzufrieden mit Boris“

Die Affäre hat Johnson in der öffentlichen Meinung jedenfalls deutlich geschadet, wie aktuelle Umfragen zeigen. „Es ist momentan sehr klar, dass die Leute unzufrieden mit Boris und unzufrieden mit der Regierung sind“, sagte der britische Meinungsforscher und Politologe Roger Mortimore im Gespräch mit der APA. „Wenn morgen Wahlen wären, würde die Regierung sie verlieren, daran besteht überhaupt kein Zweifel.“

Umgekehrt sei das aber auch nichts völlig Ungewöhnliches rund um die Mitte einer Legislaturperiode. „Die Frage ist also eher, ob das, was passiert ist, dauerhafte Folgen hat oder nur Teil eines normalen Auf und Ab ist.“ Er selbst sei sich nicht sicher, wie das Ganze letztlich für den Premierminister ausgehen werde, so Mortimore, der am Londoner King’s College lehrt und Direktor für politische Analyse bei Ipsos MORI ist.

„Potenzial, ihn politisch zu erledigen“

Johnsons Bilanz bisher sei eine sehr wechselvolle: „Sein persönliches Verhalten ist nicht so gewesen, wie man es von einem Spitzenpolitiker erwartet“, so Mortimore unter Verweis auf vergangene Affären. Bisher habe er es aber immer wieder geschafft, „das Vertrauen von genug Wählern in ihn zu erneuern, um Erfolg zu haben, und es wäre ziemlich gewagt anzunehmen, dass er das nicht wieder schaffen könnte“.

Andererseits habe die Causa „zweifelsohne das Potenzial, ihn politisch zu erledigen, wenn sie an ihm kleben bleibt“, so Mortimore, „und zwar nicht, weil die Vorwürfe besonders schwerwiegend wären“ – es gehe zum Beispiel nicht um massive Korruptionsanschuldigungen.

„Zu wichtig, um sich an die Regeln zu halten“

„Der Grund, warum es von solcher Bedeutung ist, ist, dass die Menschen finden, dass es unfair ist. Sie haben die Regeln befolgt, sie haben gelitten, und eines der Dinge, die sie am meisten an Politikern und anderen Mächtigen hassen, ist, wenn diese Leute das Gefühl haben, dass die Regeln für sie nicht gelten, dass sie zu wichtig sind, um sich an die Regeln zu halten.“

Johnson befinde sich nun möglicherweise in einer Situation, „in der viele Menschen, die ihm in der Vergangenheit vertraut haben, das Gefühl haben, dass sie ihm nicht mehr vertrauen können“.