Screenshot von der TikTok-Seite der Uffizien
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Virtuelle Museen

Wenn Gemälde auf TikTok tanzen

Die Pandemie hat die Digitalisierung der Museen beschleunigt. Die Ausstellungshäuser bauten virtuell aus und tüfteln an neuen Konzepten. Letzte Woche veranstaltete das Belvedere die Konferenz „Das Kunstmuseum im digitalen Zeitalter“, bei der Max Hollein, Direktor des New Yorker Metropolitan Museums, den Hauptvortrag hielt. Aber sollen Onlineerlebnisse überhaupt den Museumsbesuch ersetzen?

Groß war der Schock, als im März 2020 erstmals alle österreichischen Ausstellungshäuser zusperren mussten. „Wir starteten damals spontan ein Notprogramm mit Onlineführungen“, erinnert sich Belvedere-Direktorin Stella Rollig im Interview mit ORF.at an Lockdown Nummer eins.

Auf die Frage, was sich seither in Sachen Digitalisierung getan habe, holt Rollig weit aus. Schließlich umfasst dieser Bereich nicht bloß virtuelle Ausstellungsrundgänge oder Sammlungsdatenbanken. Die Verzahnung von analog und digital bietet auch für Forschungs- und Publikationstätigkeiten neue Chancen und eröffnet Einnahmequellen durch E-Commerce.

Eintrittskarte zu einer Ausstellung des Belvederes am Smartphone
Belvedere/Johannes Stoll
Die museale Digitalisierung geht weit über die Eintrittskarte am Handy hinaus

Herausforderung Hybridität

Der Großteil der Digitalisierungspläne lag im Belvedere bereits auf dem Tisch, als die Pandemie ausbrach. „Mittlerweile ist noch klarer, dass der digitale Output nicht nur als Begleitgeschehen zum regulären Museumsbetrieb, sondern eigenständig behandelt werden muss“, betont Rollig. In der ersten Coronavirus-Phase wäre noch versucht worden, das echte Museum im Netz zu verdoppeln.

„Auch das erste Auto hat noch wie eine Kutsche ausgeschaut“, bemerkt Christian Huemer, Leiter des Belvedere Research Center, der die Konferenz zum vierten Mal organisierte. Die Herausforderung der Zukunft läge in der Hybridität, also dem Mix von physischem und virtuellem Angebot. Auch Medienspezifität, was ein bestimmtes Mittel leisten kann, ist ein Thema der Auseinandersetzung.

TikTok-Tanz der Gemälde

„Wir prüfen derzeit, ob wir auf TikTok gehen sollen“, erzählt Rollig, die dieser Idee zunächst skeptisch gegenüberstand. Als sie gehört habe, dass die Uffizien in Florenz ihre Gemälde und Skulpturen dort virtuell tanzen lassen, sei ihr das absurd erschienen. Aber freilich spiele hier die Generationenfrage hinein.

Max Hollein
The Metropolitan Museum of Art/Eileen Travell
Metropolitan-Museumsdirektor und Konferenz-Keynote-Speaker Max Hollein gilt als einer der Vorreiter der musealen Digitalisierung

Um den richtigen Ton in den sozialen Netzwerken bemühen sich derzeit sieben hauseigene Kräfte aus unterschiedlichen Abteilungen, allesamt um die 30 Jahre alt. Das digitale Betätigungsfeld sei sehr fordernd: „In gewisser Weise ist es so, als würden wir eine neue Außenstelle einrichten“, vergleicht Rollig den Aufwand für das virtuelle Belvedere.

Expansion im Lockdown

Ganz andere Ressourcen stehen Max Hollein am New Yorker Metropolitan Museum zur Verfügung: Im hauseigenen Digital Department arbeiten derzeit 54 Vollbeschäftigte, verriet der Museumsdirektor bei seinem aus den USA gezoomten Vortrag. Dieses Spezialteam entwickelt ein Füllhorn an virtuellen Angeboten, die das Met für sein Onlinepublikum ausschüttet. 2020 musste das Haus am Central Park für ein halbes Jahr schließen. „Wir hatten zwar mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, erlebten aber auch die größte Expansion unserer Aktivitäten und Zugänglichkeit seit einem Jahrhundert“, schilderte Hollein.

Der 1969 in Wien geborene Museumsmacher eröffnete seine Keynote Lecture mit einer Betrachtung über das Universalmuseum. Das Metropolitan Museum wurde 1870 als Bildungsinstitut gegründet, das die Geschichte der Zivilisation der letzten 5.000 Jahre darstellen sollte. Die Idee, dass sich die westliche Kultur von Mesopotamien über die Griechen bis zu den Römern linear und enzyklopädisch darstellen ließe, sei, so Hollein, heute jedoch überholt. Um diese eurozentristische Sichtweise zu überwinden, müsse die überlieferte Historie „verkompliziert“ und auch dementsprechend vermittelt werden.

Digitale Timeline

Für diese Aufgabe eignen sich digitale Werkzeuge hervorragend. So baute das Met mit der „Heilbrunn Timeline of Art“ eine Datenbank auf, die 8.000 Objekte aus allen Sammlungsbereichen vorstellt und mit Forschungsmaterial verknüpft. Anhand der Zeitleiste lässt sich beispielsweise erkunden, welche kulturellen Artefakte um das Jahr 500 n. Chr. in Anatolien, Peru und China entstanden. Diese Visualisierung fließt auch zurück in den Ausstellungsraum. Hollein verwies etwa auf eine Met-Schau zum Mittelalter, die mit Exponaten aus unterschiedlichen Kulturen die globalen Entwicklungen der Epoche nachzeichnet.

Publikumsforschung wird in Amerika viel intensiver betrieben als in Europa. Hollein zitierte eine Erhebung zu den Bedürfnissen digitaler Museumsbesucherinnen und -besucher. Ganz oben auf der Wunschliste stünden der kostenlose Zugang zu Wissen sowie die soziale Komponente. Die Userinnen und User möchten Anschluss finden, sich mit anderen verbinden.

Akademiebilder von Gustav Klimt
Google Arts and Culture
„Klimt vs. Klimt“: Eine Onlineausstellung des Belvedere gemeinsam mit dem Arts and Culture Department von Google rekonstruiert die zerstörten Fakultätsbilder „Jurisprudenz“, „Philosophie“, „Medizin“ von Gustav Klimt

Publikum emotional erreichen

Das Museum startete die Mitmachaktion „#met twinning“, bei der in den sozialen Netzwerken Kunstwerke nachgestellt und als „Zwillinge“ gepostet wurden. Enorme Resonanz und Auszeichnungen erntete die Videoserie „#my met“. Bei dieser Reihe erzählen unterschiedliche Leute – Mitarbeiter ebenso wie Besucher – ihre persönliche Beziehung zur altehrwürdigen Institution.

„Die Menschen sollen sich dem Museum emotional verbunden und als ein Teil davon fühlen. Dafür müssen sie neugierig gemacht und begeistert werden“, warb Hollein, der beeindruckend gestiegene Zugriffszahlen auf die Website und Onlineaktivitäten des Metropolitan Museums vorlegen kann. Schließlich werde die Konkurrenz in der Freizeitindustrie immer größer.

Anstatt zu historischen Originalen ströme das Publikum heute in kommerzielle Multi-Media-Spektakel wie die „Van Gogh Experience“, so Hollein. Diese Show soll im Frühjahr übrigens auch nach Wien kommen.

Originale versus Spektakel

Können Museen auf digitalem Weg neue Kunsterfahrungen schaffen? „Auf alle Fälle“, ist Belvedere-Chefin Rollig überzeugt. Es müsse heute möglich sein, ein Museum zu erleben, ohne sich physisch dorthin zu begeben. „Auch ohne vor Ort zu sein, kann ein ‚Learning‘, eine Emotion und Inspiration stattfinden.“

Research-Center-Leiter Huemer sieht aber noch Nachholbedarf, was die Teilhabe betrifft: „Das Publikum will selbst etwas machen, mitreden und mitgestalten, anstatt die Informationen von oben gelehrt zu bekommen.“ Dafür möchte der Kurator die Onlinesammlung des Belvedere noch besser nutzbar machen.

Klimt aus der Asche

Die aktuelle Situation der Museen ist alles andere als einfach. Auf der einen Seite stehen die Verluste durch dramatisch gesunkene Besucherzahlen, auf der anderen die Kosten, die der digitale Ausbau mit sich bringt. Und neue Einnahmen lassen sich über die Digitalisierung nur schwer lukrieren.

Zuletzt bereitete das Belvedere in Kooperation mit Google Arts & Culture seine Forschungen breitentauglich auf: Die virtuelle Schau „Klimt vs. Klimt“ demonstriert eindrucksvoll, wie die „Fakultätsbilder“ des Jugendstilkünstlers in Farbe ausgesehen haben. Die Originale wurden 1945 von den Nazis verbrannt.