Lawrow sagte kurz vor dem Treffen mit Blinken, er rechne nicht mit einem Durchbruch. Auch Blinken sagte bei seiner Ankunft, er gehe nicht davon aus, dass die Differenzen ausgeräumt werden könnten. Die USA blieben der Diplomatie und dem Dialog aber verpflichtet. Die beiden Chefdiplomaten begrüßten einander vor den Flaggen ihrer Staaten in einem Hotel am Genfersee mit Handschlag.
Lawrow und Blinken beendeten ihr Krisengespräch früher als geplant. Das Treffen dauerte etwa anderthalb Stunden und war damit kürzer als die angesetzten zwei Stunden, wie russische Nachrichtenagenturen meldeten. Russland habe das ukrainische Volk niemals bedroht, so Lawrow. Er hoffe, dass sich die Gemüter wieder beruhigen würden, so Lawrow nach dem Treffen.
Der Westen werde seiner Regierung kommende Woche eine schriftliche Antwort auf deren Anfrage nach Sicherheitsgarantien übergeben, so Lawrow nach dem Treffen. Der Kreml stemmt sich gegen einen etwaigen NATO-Beitritt der Ukraine.

Russland forderte auch den Abzug von NATO-Truppen aus Rumänien und Bulgarien. Der Abzug der NATO-Soldaten aus den beiden NATO-Ländern sei Teil der Sicherheitsgarantien, die die Regierung in Moskau vom Westen verlange, teilte das russische Außenministerium mit.
Russland: Haben vor niemandem Angst
Das russische Parlament will indes offenbar sehr zur Unbill der Ukraine und ihrer westlichen Partner Nägel mit Köpfen machen und wird sich kommende Woche mit Vorschlägen befassen, die „Volksrepublik Donezk“ und die „Volksrepublik Luhansk“ in der Ostukraine als Staaten anzuerkennen.
Es gebe Sorgen um die Sicherheit der dort lebenden Russen, teilte Duma-Präsident Wjatscheslaw Wolodin am Freitag vor dem Treffen von Blinken und Lawrow mit. Deshalb sei einem Antrag, sich mit dem Thema zu befassen, stattgegeben worden. Zunächst würden die Parteichefs darüber beraten. Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow sagte vor Beginn des Spitzentreffens in Genf auf eine Frage des Senders CBS: „Wir haben vor niemandem Angst, auch nicht vor den USA.“
Das russische Präsidialamt reagierte offiziell zurückhaltend auf den Vorstoß der Duma. Es sei zunächst wichtig, die Spannungen nicht weiter zu schüren, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kurz vor dem Gespräch Lawrows mit Blinken. Blinken traf dann am Vormittag mit Lawrow zusammen. Es soll keine gemeinsame, sondern getrennte Pressekonferenzen geben, hieß es im Vorfeld.
Soldaten und Material für Manöver an Grenze verlegt
Der ukrainische Geheimdienst warf am Freitag Russland vor, gezielt Söldner zu rekrutieren und diese in von Separatisten kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine ausbilden zu lassen. Zudem seien Treibstoff, Panzer, Artillerie und Mörsergranaten in einer geheimen Aktion von Russland aus in die Region geschafft worden, hieß es in einer Erklärung des Geheimdienstes.

Im Rahmen seines Militärmanövers mit Belarus verlegte Russland einem Agenturbericht zufolge auch zwei Bataillone des Luftabwehrraketensystems S-400 in das Nachbarland. Erste Soldaten und Material seien bereits diese Woche in Belarus eingetroffen, meldete Interfax unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Die Übung „Alliierte Entschlossenheit“ soll im Februar im Westen an der Grenze der NATO-Mitglieder Polen und Litauen und im Süden an der Grenze zur Ukraine stattfinden.
Blinken warnte vor dem Treffen erneut vor einem russischen Einmarsch in die Ukraine. „Es ist ein reales Risiko und es ist ein hohes Risiko“, sagte Blinken am Donnerstag im „heute journal“ des ZDF laut einer Mitteilung des Senders. Jüngst seien bereits russische Soldaten nach Belarus geschickt worden. „Es ist also ein echtes Risiko.“

Warnung vor Staatsstreich
Zu den Äußerungen von US-Präsident Joe Biden, der am Mittwoch gesagt hatte, eine kleinere Aggression Russlands würde eine mildere Reaktion des Westens auslösen als eine großangelegte Invasion, sagte Blinken: „Wenn ein russischer Soldat über die Grenze in die Ukraine eindringt, dann haben wir es mit einem wirklich profunden Problem zu tun.“
In einem solchen Fall handle es sich um einen ganz klaren Angriff auf die Ukraine – „ob es sich nun um einen oder um tausend Soldaten handelt“. Biden habe sich mit seinen Aussagen auf Szenarien bezogen, „die eben nicht so weit gehen, dass russische Kräfte in die Ukraine einmarschieren“. Dabei könne es beispielsweise darum gehen, einen Staatsstreich herbeizuführen, so Blinken.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa warf dem Westen eine Kampagne mit dem Ziel vor, eigene militärische Provokationen in der Ukraine zu decken. Russland rufe die westlichen Staaten dazu auf, „die aggressive antirussische Informationskampagne zu beenden und aufzuhören, die Ukraine zu militarisieren und sie in die NATO zu ziehen“. Sacharowa kritisierte, die USA rüsteten die Ukraine mit Militärhilfe in Milliardenhöhe auf.
USA: Militärhilfe für Ukraine „keine Provokation“
Blinken sieht hingegen in der Militärhilfe für die Ukraine keine Provokation im Konflikt mit Russland. „Die Vorstellung, dass die Bereitstellung von militärischer Verteidigungsausrüstung für die Ukraine durch die Vereinigten Staaten, durch europäische Länder und durch die NATO irgendwie eine Provokation oder ein Grund für Russlands Handlungen ist, stellt die Welt auf den Kopf“, sagte Blinken am Donnerstag weiter. Mit der militärischen Unterstützung solle die Ukraine in die Lage versetzt werden, sich selbst zu verteidigen, so Blinken weiter.
Die USA hatten der Ukraine zuletzt „zusätzliches Material“ in Aussicht gestellt, sollte Russland in das Land einmarschieren. Gleichzeitig gebe es eine andauernde Sicherheitshilfe mit Lieferungen. Russland hatte bereits mehrmals den Westen aufgerufen, die Waffenlieferung zu stoppen, und diese als Gefahr für die Sicherheit bezeichnet.
Die USA genehmigten auf Ersuchen der baltischen Staaten die Lieferung von Waffen aus US-Produktion für die Ukraine. Die USA wollten „die genehmigten Transfers von Rüstungsgütern aus den USA durch andere Verbündete beschleunigen“, sagte am Donnerstag ein Vertreter des US-Außenministeriums in Berlin.
Kreml kündigt großangelegte Marinemanöver an
Die USA und die NATO werfen Russland seit Monaten vor, einen Überfall auf die Ukraine zu planen. Moskau weist das so gut wie täglich zurück. Russland will mit einem Aufmarsch nahe der Ukraine vor allem eine Drohkulisse aufbauen, weil es sich nach eigenen Angaben zunehmend von einer Ausdehnung der NATO bedroht sieht.

Wegen der starken russischen Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze befürchtet der Westen allerdings einen bevorstehenden russischen Einmarsch. Moskau argumentiert, dass der Truppenaufmarsch auf russischem Staatsgebiet stattfinde und daher „niemanden“ bedrohe. Der Westen droht Moskau seit Wochen mit heftigen Konsequenzen, sollte es zu einem Einmarsch in die Ukraine kommen.
Inmitten der Spannungen kündigte nun der Kreml ein großangelegtes Marinemanöver in Atlantik, Arktis, Pazifik und Mittelmeer an. An den für Jänner und Februar geplanten Übungen seien insgesamt mehr als 140 Schiffe, mehr als 60 Flugzeuge und etwa 1.000 Stück anderer militärischer Ausrüstung beteiligt, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen am Donnerstag mit. Etwa 10.000 Soldaten sollen teilnehmen.
Britische Außenministerin: Massiver strategischer Fehler
Die britische Außenministerin Liz Truss warf China und Russland einen weltweiten Feldzug gegen die Demokratie vor. „Sie wollen die Diktatur rund um die Welt wie eine Dienstleistung exportieren“, wollte Truss laut Redevorlage am Freitag bei einem Vortrag im australischen Sydney sagen. „Deshalb finden Regime wie Belarus, Nordkorea und Myanmar ihre engsten Verbündeten in Moskau und Peking.“
Die „globalen Aggressoren“ fühlten sich so ermutigt wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr, so die Rede weiter. Truss warnte Russland, ein Angriff auf die Ukraine bedeute einen „massiven strategischen Fehler“. „Der Kreml hat nicht aus der Geschichte gelernt.“ Eine Invasion werde zu einem furchtbaren Verlust von Leben führen – „wie wir es aus dem sowjetisch-afghanischen Krieg und dem Tschetschenien-Konflikt kennen“. Großbritannien und seine Verbündeten stünden fest an der Seite der Ukraine, versicherte Truss.
Das Problem mit den Sanktionen
Mögliche Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Konflikts hätten Bidens Wirtschaftsberater Brian Deese zufolge kaum Auswirkungen auf die Wirtschaft in den USA oder die Weltwirtschaft. „Die Maßnahmen, die wir vorbereitet haben und für die wir eng mit unseren Verbündeten zusammenarbeiten, würden der russischen Wirtschaft im Laufe der Zeit erhebliche Kosten auferlegen, und zwar in einer Weise, die die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die amerikanische Wirtschaft abmildert“, sagte Deese dem Sender CNN.