Ukrainischer Soldat in der Donezk-Region
Reuters/Andriy Dubchak
Spitzentreffen ergebnislos

Lage in Ukraine bleibt angespannt

Vor der Drohkulisse einer möglichen kriegerischen Konfrontation in der Ukraine haben am Freitag Russlands Außenminister Sergej Lawrow und sein US-Kollege Antony Blinken in Genf beraten. Bereits im Vorfeld machten die Minister klar, dass man keinen Durchbruch bei den Gesprächen erwarte – und so war es dann auch. Die Lage in der Ukraine bleibt damit höchst angespannt. Kiew warnt eindringlich vor russischen Aggressionen, auch das Rüsten geht weiter.

Wie der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nach dem Spitzentreffen mitteilte, habe man mit Blinken eine Stärkung der ukrainischen Verteidigungskapazitäten besprochen. Auch Blinken kündigte an, dass in den kommenden Wochen weitere Militärhilfe in die Ukraine geliefert werde. Gleichzeitig betonte Kuleba, es sei „gut zu wissen“, dass die diplomatischen Kanäle mit Russland aktiv blieben.

Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen teilten mit, dass man an einer „zügigen“ Übergabe von Geräten zur Raketenabwehr an die Ukraine arbeite. Die USA hatten den Export am Donnerstag genehmigt. Tschechien kündigte ebenfalls an, dass man Munitionslieferungen in die Ukraine in die Wege leiten wolle.

Die Lieferung aus Estland könnte allerdings wackeln: Wie das „Wall Street Journal“ berichtete, soll Deutschland keine Erlaubnis erteilt haben, in Deutschland hergestellte Artilleriegeschütze zu entsenden. „Deutschland zögert sehr, uns zu beliefern“, sagte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksiy Resnikow dem Blatt.

Abseits der militärischen Unterstützung kündigte Kanada Finanzhilfe an. Man wolle die Wirtschaft des Landes mit einem Kredit über 120 Mio. Dollar stützen. Laut einem Bericht der „Times“ soll zudem die britische Regierung die Entsendung von Hunderten Soldaten „zur Abschreckung“ nach Polen und in die baltischen Staaten erwägen.

Keine Annäherung bei USA-Russland-Treffen

Am Freitag trafen sich der russische Außenminister Sergej Lawrow und sein US-Kollege Antony Blinken zu einem Krisengespräch um den Ukraine-Konflikt. Annäherung gab es zwar keine, allerdings will man weiterhin im Dialog bleiben.

Truppenbewegungen nach Belarus

Auf der russischen Seite gab es unterdessen neue Truppenbewegungen. Im Rahmen eines Militärmanövers mit Belarus verlegte Russland auch zwei Bataillone des Luftabwehrraketensystems S-400 in das Nachbarland. Erste Soldaten und Material seien bereits diese Woche in Belarus eingetroffen, meldete Interfax unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium.

Die Übung „Alliierte Entschlossenheit“ soll im Februar im Westen an der Grenze der NATO-Mitglieder Polen und Litauen und im Süden an der Grenze zur Ukraine stattfinden. Blinken nannte den Zeitpunkt für die Truppenverlegung im Vorfeld des Gesprächs „bemerkenswert“ und warnte davor, dass Russland mit seiner gegenwärtigen militärischen Aufstellung die Ukraine vom Süden, Osten und Norden her angreifen könnte.

Russische Panzer auf dem Weg zur ukrainischen Grenze
AP
Ein russischer Militärkonvoi am Montag auf der Krim

Selenski warnt vor Übernahme von Charkiw

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski erneuerte ebenfalls seine Warnungen. Russland könnte versuchen, die Millionenstadt Charkiw zu besetzen. Moskau könnte sich für eine Eskalation „Gebiete aussuchen, wo es historisch gesehen Menschen mit familiären Verbindungen zu Russland gibt“, sagte Selenski am Freitag der „Washington Post“.

Russland würde dabei einen Vorwand benötigen: „Sie werden sagen, dass sie die russischsprachige Bevölkerung schützen wollen.“ Eine Besetzung der Stadt wäre der Anfang von einem „großangelegten Krieg“. Der ukrainische Geheimdienst warf Russland zudem jüngst vor, gezielt Söldner zu rekrutieren und diese in von Separatisten kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine ausbilden zu lassen.

Gleichzeitig wurde bekannt, dass sich das russische Parlament mit Vorschlägen befassen wird, die zwei prorussischen Separatistengebiete in der Ostukraine als unabhängige Staaten anzuerkennen. Es gehe um die „Volksrepublik Donezk“ und die „Volksrepublik Luhansk“. Es gebe Sorgen um die Sicherheit der dort lebenden Russen, teilt Duma-Präsident Wjatscheslaw Wolodin mit. Das russische Präsidialamt reagierte aber zurückhaltend auf die geplante Beratungen der Duma. Es sei zunächst wichtig, die Spannungen nicht weiter zu schüren, sagte Sprecher Dmitri Peskow.

Grafik zu den russischen Rebellengebieten in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Truppen an Grenze

Russland hat an der Grenze zur Ukraine rund 100.000 Soldaten zusammengezogen, weist den Vorwurf aber zurück, eine Invasion in die Ukraine vorzubereiten. Vor diesem Hintergrund läuft seit Tagen ein diplomatischer Marathon, der am Freitag mit dem Treffen zwischen Lawrow und Blinken einen vorläufigen Höhepunkt fand. Die Gespräche brachten wie erwartet keine fundamentalen Ergebnisse, beide Seiten lobten aber ein professionelles Gesprächsklima und kündigten an, die diplomatischen Bemühungen fortsetzen zu wollen.

US-Außenminister Antony Blinken beim Handschlag mit dem russischen Außenminister Sergey Lavrov
AP/Alex Brandon
US-Außenminister Antony Blinken und der russische Außenminister Sergej Lawrow begrüßten einander mit Handschlag

Lawrow: Blinken sagte schriftliche Antwort zu

Die Außenminister hielten getrennte Pressekonferenzen ab. Das Treffen sei „offen und nützlich“ gewesen, sagte Lawrow. Der Dialog werde fortgesetzt, kündigte er an. Präsident Wladimir Putin sei immer bereit, in Kontakt mit US-Präsident Joe Biden zu treten. Allerdings sollte jeglicher Kontakt zwischen beiden Staatschefs gut vorbereitet sein.

Blinken habe ihm zugesichert, dass der Westen seiner Regierung kommende Woche eine schriftliche Antwort auf deren Anfrage nach Sicherheitsgarantien übergeben werde, sagte Lawrow. Danach werde man weitersehen. Russland habe das ukrainische Volk niemals bedroht und hege auch keine Angriffspläne gegen die frühere Sowjetrepublik.

Russischer Außenminister Sergey Lavrov
Reuters/Denis Balibouse
Lawrow gab nach dem Treffen alleine eine Pressekonferenz

Er hoffe, dass sich die Gemüter wieder beruhigen würden. Blinken habe ihn aufgefordert, die Lage zu deeskalieren. Allerdings arbeite die NATO gegen sein Land, sagte Lawrow. Russland sei besorgt über die Entsendung von Waffen und Militärberater in die Ukraine.

Blinken: Besseres Verständnis der Positionen

Auch Blinken sagte in seiner Pressekonferenz, das Gespräch mit Lawrow sei „offen“ gewesen. Das Treffen sei ein Austausch von Ansichten gewesen, aber keine Verhandlung. Die USA seien bereit, die russischen Sicherheitsbedenken im gegenseitigen Einvernehmen anzusprechen.

ORF-Korrespondent Fritz zum Spitzentreffen

Das Treffen zwischen den Außenministern Russlands und der USA, Lawrow und Blinken, war ziemlich schnell vorbei, sie scheinen über Plaudern kaum hinausgekommen zu sein. Was sagt das über den momentanen Stand der Ukraine-Krise? ZIB-Korrespondent Peter Fritz mit einer Einschätzung.

Blinken warnte Moskau nach dem Krisengespräch jedoch erneut eindringlich vor einem Einmarsch in die Ukraine. „Wir haben deutlich gemacht, dass es sich um eine erneute Invasion handelt, wenn sich irgendwelche russischen Streitkräfte über die Grenze der Ukraine bewegen. Darauf werden die Vereinigten Staaten und unsere Partner und Verbündeten schnell, hart und mit vereinten Kräften reagieren.“ Blinken sagte aber auch, das Gespräch mit Lawrow sei „offen und substanziell“ gewesen.

US-Außenminister Antony Blinken steigt in ein Auto ein
APA/AFP/Stefan Wermuth
US-Außenminister Blinken nach dem Gespräch mit seinem russischen Amtskollegen

Blinken wies allerdings darauf hin, dass die Beistandspflicht in der NATO nach Artikel fünf alle Mitglieder der Allianz umfasse. Wenn ein Gipfel zwischen Biden und Putin hilfreich wäre, „dann sind wir voll und ganz darauf vorbereitet, das zu tun“. Blinken kündigte auch an, erneut mit Lawrow zusammenzukommen, nachdem die Regierung in Russland die schriftliche Antwort auf deren Sicherheitsanfragen studiert habe. Klar sei allerdings, dass die NATO-Politik der offenen Tür nicht infrage gestellt werde.

Grafik zur NATO-Präsenz in Osteueropa
Grafik: APA/ORF.at

Neue Forderungen zu Bulgarien und Rumänien

Russland sieht sich von einer Ausdehnung der NATO an seine Grenzen in seiner Sicherheit bedroht. Lawrow appellierte an Blinken, die USA mögen ihre Verpflichtungen in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ernst nehmen. Sicherheitsfragen seien „unteilbar“. NATO-Staaten sollten ihre Interessen nicht auf Kosten anderer durchsetzen.

Vor dem Treffen hatte das russische Außenministerium den Abzug von NATO-Truppen aus Rumänien und Bulgarien gefordert. Das sei Teil der Sicherheitsgarantien, die die Regierung in Moskau vom Westen verlange, hieß es. Eine NATO-Sprecherin, die rumänische Regierung und der als prorussisch geltende bulgarische Präsident Rumen Radew wiesen die Forderungen als „inakzeptabel“ zurück.