Britischer Premier Boris Johnson
Reuters/John Sibley
Johnsons „Partygate“

Parteikollege will über Erpressung aussagen

Im politischen Überlebenskampf des britischen Premiers Boris Johnson erhöht sich der Druck stetig. Nun will Johnsons Parteifreund William Wragg der Polizei darlegen, wie Kollegen eingeschüchtert worden sein sollen. Ihnen sei von Regierungsmitarbeitern die Veröffentlichung kompromittierenden Materials angedroht worden.

Wragg ist zwar Tory wie Johnson, doch inzwischen ein entschiedener Gegner des angeschlagenen Premiers. Wragg, einer der ranghöchsten Hinterbänkler der Konservativen, hatte kürzlich viel Aufmerksamkeit erregt, als er Johnson wegen dessen Skandalreigen öffentlich zum Rücktritt aufforderte. Nun will Wragg zur Polizei gehen und dort über die angebliche Erpressung von Parteikollegen aussagen.

So sollen Kollegen von Regierungsmitarbeitern mit der Veröffentlichung kompromittierenden Materials in der Presse bedroht und eingeschüchtert worden sein, sagte Wragg dem „Telegraph“ am Samstag. Damit solle ein parteiinternes Misstrauensvotum verhindert werden. Die Parteimitglieder hätten erklärtermaßen oder mutmaßlich eine Abstimmung über die Parteiführung des Premierministers angestrebt. Ihnen sei angedroht worden, dass Investitionen aus ihren Wahlkreisen zurückgezogen werden könnten. Er wolle die Aufklärung Experten überlassen, sagte Wragg, der seine Vorwürfe erstmals am Mittwoch geäußert hatte.

Labour sieht „illegale“ Vorgänge

Die Polizei ist in die Aufklärung der „Partygate“-Affäre um Lockdown-Partys in der Downing Street bisher nicht involviert. Stattdessen trägt eine Regierungsbeamtin derzeit die Fakten zusammen und befragt Beteiligte und Zeugen. Mit dem Abschluss der Untersuchung wird in der kommenden Woche gerechnet. Es gilt je nach Ergebnis der Untersuchung nicht als ausgeschlossen, dass die Polizei danach noch selbst in den Ermittlungen tätig werden könnte.

William Wragg
APA/AFP/PRU
Wragg will mit der Polizei reden. Die Behörden sollten die Vorwürfe aufklären, sagt er

Der Vorsitzende eines Ausschusses für Standards im Londoner Unterhaus, Chris Bryant, sagte dem Sender BBC Radio 4 am Samstag, auch ihm hätten mehrere Abgeordnete berichtet, ihnen sei mit dem Entzug von öffentlichen Geldern für ihre Wahlkreise gedroht worden, sollten sie Johnson nicht unterstützen. Das sei „illegal“, warnte der oppositionelle Labour-Politiker.

Telefondiplomatie zur Selbstrettung

Die britische Regierung hatte erklärt, sie werde die Vorwürfe untersuchen, wenn Beweise vorlägen. Ein Sprecher von Johnsons Büro sagte, der Premier verurteile jegliche Form von Schikane. Zuletzt gab es Bestrebungen in der Konservativen Partei, Johnson abzusetzen. Die Schwelle für ein Misstrauensvotum gegen Johnson ist aber noch nicht erreicht. Mehrere konservative Abgeordnete wollen wohl abwarten, bis die Untersuchung abgeschlossen ist.

Johnson soll der „Times“ zufolge inzwischen ein Team aus Vertrauten damit beauftragt haben, die Unterstützung in den Reihen seiner Partei zu sichern, um für den Fall eines Misstrauensvotums gerüstet zu sein. Er selbst will Berichten zufolge von seinem Landsitz Chequers aus am Wochenende in der Partei herumtelefonieren, um seine Kritiker umzustimmen.

Johnson soll Warnungen ignoriert haben

Doch die Kritik dürfte nicht verstummen, im Gegenteil. Immer neue Details über „Partygate“ werden bekannt und erhöhen den Druck. Dem Sender ITV zufolge soll Johnsons Privatsekretär Martin Reynolds von einem ranghohen Regierungsvertreter in einer E-Mail aufgefordert worden sein, die umstrittene Gartenparty am Amtssitz in der Downing Street am 20. Mai 2020 zu verhindern. Er habe gehört, dass die interne Ermittlerin Sue Gray eine solche Mail gefunden habe.

Johnsons früherer Berater Dominic Cummings hatte erst kürzlich erklärt, er und mindestens ein weiterer Berater hätten mit einer E-Mail an Reynolds versucht, die Party zu unterbinden. Sie hätten darin gewarnt, dass CoV-Regeln gebrochen würden. Johnson hingegen sei einverstanden gewesen.

Absturz in Umfragen

Johnson entschuldigte sich zwar zuletzt wiederholt für diverse Feiern und mögliche Fehleinschätzungen – auch bei Königin Elizabeth. Er beteuerte aber, er habe nicht gelogen. Niemand habe ihn darüber aufgeklärt, dass mit der Party gegen Auflagen verstoßen worden sei. Er sei davon ausgegangen, dass es sich um eine Arbeitsbesprechung gehandelt habe.

Der Mann, der Johnson zu Fall bringen will

Der ehemalige Chefberater, Dominic Cummings, ist zum ärgsten Widersacher des britischen Premierministers geworden.

Die jüngsten Enthüllungen haben die Zustimmungswerte für Johnson, der seit Wochen wegen diverser Skandale angeschlagen ist, und auch für seine Partei einbrechen lassen. Laut einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos halten 57 Prozent der Briten Johnson für einen schlechten Premierminister. Das sind sechs Prozentpunkte mehr als in der Vorwoche.

Neuer Ärger mit der BBC

Johnson will, wie Kritiker sagen, mit Personalwechseln und populistischen Forderungen wieder Boden gutmachen und seine Partei hinter sich vereinen. Ein Plan sieht nun vor, die Gebühren für die BBC in der Höhe von 159 Pfund (190,40 Euro) pro Jahr zunächst einzufrieren und 2027 abzuschaffen. Langfristig soll das Finanzierungsmodell des Senders nach dem Willen der Regierung vollständig umgestellt werden. Befürchtet werden nun eine Kürzung der Programme und Stellenstreichungen.

Die Opposition reagierte empört. Labour-Expertin Lucy Powell warf der Regierung „Kulturvandalismus“ vor. „Das ist Teil einer Ablenkungsstrategie, um allen außer sich selbst die Schuld zu geben“, so Powell. Diejenigen, die über Johnsons Regelbrüche berichten, sollten bestraft werden, während der Premierminister straffrei ausgehen wolle.

Nun will die britische Generalbundesanwältin offenbar die Ausstrahlung eines BBC-Berichts über Auslandsspionage verhindern. Die Chefanklägerin will demnach eine gerichtliche Verfügung erwirken, die der BBC die Veröffentlichung verbietet, wie der „Telegraph“ am Wochenende berichtete. Der Sender wollte keine Details zu dem Bericht nennen, teilte jedoch mit, die Ausstrahlung sei von „überragendem öffentlichem Interesse“. Dem Bericht zufolge will die Regierungsseite argumentieren, dass die Ausstrahlung des Berichts das Leben von Menschen riskieren würde. Eine geheime Anhörung soll in den nächsten Tagen stattfinden.