US-Navy Schiffe im Ozean
Reuters/Petty Officer 3rd Class Nicholas
Ukraine-Konflikt

US-Truppen auf Abruf, Kiew gegen „Panik“

Wegen der Ukraine-Krise hat Washington rund 8.500 Soldatinnen und Soldaten in den USA in erhöhte Bereitschaft versetzt. Eine Entscheidung über eine Verlegung nach Europa sei aber noch nicht gefallen, hieß es am Montag aus dem Verteidigungsministerium. Während der Ton im Konflikt um die Ukraine noch immer rau ist, warnte Kiew vor „Panik“.

Rund 8.500 Soldatinnen und Soldaten werden auf einen möglichen Einsatz vorbereitet, sagte US-Ministeriumssprecher John Kirby am Montag. Die Maßnahmen seien auf Anweisung von US-Präsident Joe Biden und nach Empfehlung von Verteidigungsminister Lloyd Austin erfolgt.

„So sind sie darauf vorbereitet, auf eine Bandbreite von Eventualitäten zu reagieren, einschließlich der Unterstützung der NATO-Reaktionskräfte, falls diese aktiviert werden“, sagte Kirby. Über die Aktivierung dieser NATO Response Force (NRF) entscheide die NATO. Kirby sprach im Zusammenhang mit der erhöhten Bereitschaft von einer „Rückversicherung für unsere NATO-Verbündeten“.

Noch am Montag beriet Biden per Videokonferenz mit den EU-Staats- und -Regierungschefs über die Lage in der Ukraine-Krise. Man wolle das weitere Vorgehen im Konflikt koordinieren, hieß es im Vorfeld dazu aus dem US-Präsidialamt. Biden sprach im Anschluss von einem guten Treffen und verwies auf „vollständige Einstimmigkeit“. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigte die Warnung an Russland vor einem Angriff auf die Ukraine. Ein solcher werde hohe Kosten zur Folge haben, so Stoltenberg. Alle Teilnehmer seien sich einig gewesen, dass Fragen der Sicherheit und Stabilität in Europa im Wege von Verhandlungen gelöst werden müssten, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit.

Normandie-Format ab Mittwoch

Am Montag wurde auch festgelegt, dass das Normandie-Format aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine nach Angaben aus diplomatischen Kreisen am Mittwoch zu Beratungen zusammenkommen wird. Das Treffen werde in Paris und auf Ebene der politischen Direktoren stattfinden, hieß es aus der russischen Delegation. Deutschland und Frankreich vermittelten bereits das Minsker Abkommen zwischen Russland und der Ukraine 2015, das die Ostukraine befrieden sollte.

Kiew: Keine Anhaltspunkte für Einmarsch

Angesichts westlicher Berichte über einen drohenden russischen Einmarsch in die Ukraine und mit Blick auf den Abzug von Diplomaten riefen Regierungsvertreter in Kiew unterdessen zu Ruhe auf. „Wir sehen zum heutigen Tag überhaupt keine Anhaltspunkte für die Behauptung eines großflächigen Angriffs auf unser Land“, sagte der Sekretär des nationalen Sicherheitsrats, Olexij Danilow, am Montag vor Journalisten nach einer Sitzung des Gremiums.

Für Kiew seien Truppenbewegungen auf russischer Seite im Gegensatz zum Westen keine erstaunliche Angelegenheit. Die ganze Aufregung habe erst mit einem Artikel in der „Washington Post“ Mitte Oktober begonnen. Die Lage sei für die Ukraine aber bereits seit 2014 schwierig.

Präsident Wolodymyr Selenskyj sah in einer Videoansprache ebenfalls keinen Grund zur Aufregung um die Ostukraine. „Alles ist unter Kontrolle. Es gibt keinen Grund zur Panik“, betonte er auch mit Blick auf den Abzug von Diplomaten. Kiew strebe eine friedliche Lösung des Konflikts im Donbass an.

EU will Ukraine bei Militärausbildung unterstützen

Die EU kündigte zuvor an, die Ukraine bei der Ausbildung des Militärs zu unterstützen. Zudem wolle man der Ukraine bei der Bekämpfung von Cyber- und Hybridgefahren sowie im Kampf gegen Desinformation helfen. Die EU sei dabei, Modalitäten für die Hilfe festzulegen, heißt es in einer am Montag bei einem Treffen in Brüssel veröffentlichten Erklärung.

EU-Minister beraten zu Ukraine-Konflikt

Am Montag berieten die Außenminister der Europäischen Union in Brüssel über die Ukraine-Krise. Brüssel-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet über die angespannte Lage.

Zum aktuellen Kurs der Regierung in Moskau heißt es in der Erklärung, der Ministerrat verurteile die fortgesetzten aggressiven Handlungen und Drohungen Russlands gegenüber der Ukraine und fordere dazu auf, Deeskalation zu üben, das Völkerrecht einzuhalten und konstruktiv über die etablierten internationalen Mechanismen in den Dialog einzutreten. Vorstellungen von „Einflusssphären“ hätten im 21. Jahrhundert keinen Platz.

EU erweitert Finanzmittel für Ukraine

Inmitten des Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine will die EU-Kommission auch die Finanzmittel für Kiew deutlich ausweiten. Die Hilfen sollen um 1,2 Milliarden Euro aufgestockt werden, kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag an.

Das durch von der Leyen präsentierte „Nothilfepaket“ muss noch von den Mitgliedsstaaten und dem Europaparlament bestätigt werden. Es solle der Ukraine helfen, „ihren konfliktbedingten Finanzierungsbedarf schon jetzt zu decken“, sagte die Kommissionschefin. Die neue Hilfe soll in mehreren Schritten bereitgestellt werden. Seit dem Beginn des Konflikts um die Ostukraine 2014 habe die EU bereits „17 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen und Darlehen“ für die Ukraine mobilisiert, so von der Leyen.

Außenminister drohen mit Vergeltung

Zudem drohten die Ministerinnen und Minister für den Fall eines russischen Angriffs erneut mit Vergeltung. Jede weitere militärische Aggression gegen die Ukraine werde „massive Konsequenzen und hohe Kosten“ nach sich ziehen. Dazu gehöre eine breite Palette an Sanktionen gegen Wirtschaftssektoren und Personen. Die vorbereitenden Arbeiten seien zuletzt beschleunigt worden, hieß es.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) warnte vor einer weiteren Eskalation. „Die Drohkulisse ist leider sehr real und in einer Art und Weise sehr erschreckend“, sagte Schallenberg zu Ö1. Pläne, Botschaftspersonal aus Kiew abzuziehen, gebe es, momentan sei es aber wichtig, „unsere Augen und Ohren genau jetzt in dieser Phase so stark präsent zu haben wie möglich“. Falls sich die Gefahrensituation ändern sollte, werde man „natürlich die entsprechenden Schritte in Gange“ setzen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sicherte dem ukrainischen Premier Denys Schmyhal unterdessen in einem Telefonat die Unterstützung Österreichs zu. Österreich sei ein „Freund und Partner“ der Ukraine. „Die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine darf von Russland keinesfalls verletzt werden. Sollte es trotzdem dazu kommen, so wird es eine klare europäische Antwort geben“, so Nehammer.

NATO will Präsenz in Osteuropa stärken

Die NATO-Mitgliedsstaaten wollen unterdessen ihre Militärpräsenz in Osteuropa stärken. Die Truppen der NATO-Staaten würden in Bereitschaft versetzt, und man entsende weitere Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in den Osten, sagte Stoltenberg am Montag.

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Grafik zu EU-Russland-Sanktionen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: EU-Rat
Grafik zu EU-Russland-Sanktionen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: EU-Rat

„Die NATO wird alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um unsere Verbündeten zu schützen und zu verteidigen. Das schließt auch die Verstärkung des östlichen Teils unserer Allianz ein“, sagte Stoltenberg. Die Ukraine ist kein NATO-Mitglied, aber mehrere ihrer westlichen Nachbarländer sind es.

Wie ein NATO-Diplomat der Nachrichtenagentur Reuters sagte, erwägen auch die USA in den kommenden Wochen eine Truppenverlegung von West- nach Osteuropa. Die Verlegungen sollten dabei graduell erfolgen, sagt der Diplomat und bestätigt damit einen entsprechenden Bericht der „New York Times“.

Kreml ortet „Hysterie“ und „Lügen“

Einem Bericht der „New York Times“ zufolge hat auch US-Präsident Joe Biden erwogen, die Präsenz von US-Truppen in den osteuropäischen NATO-Staaten zu erhöhen. Russland warf den USA und der NATO am Montag vor, sich auf Eskalationskurs zu befinden. Nicht Russland sei der Ursprung der Spannungen, sondern die „Informationskampagne“ und „Hysterie“ der USA und der NATO, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die Kampagne werde von einer Vielzahl „einfacher Lügen“ begleitet.

Der britische Premierminister Boris Johnson sagte indes in London, Geheimdienstberichte zur Lage im russisch-ukrainischen Grenzgebiet seien „ziemlich düster“. „Wir müssen dem Kreml, Russland sehr deutlich machen, dass das ein desaströser Schritt wäre“, so Johnson mit Blick auf eine russische Invasion. Er warnte vor einem zweiten Tschetschenien. Allerdings halte er es immer noch für möglich, dass die Vernunft obsiege.

Russland will auch bei Sanktionen Gas liefern

Befürchtungen, wonach Russland im Falle von Sanktionen Europa den Gashahn zudrehen könnte, wies Kreml-Sprecher Peskow unterdessen zurück. „Russland hat in den schwierigsten Momenten der Konfrontation zwischen Ost und West seine Vertragsverpflichtungen tadellos erfüllt“, sagte Peskow der Agentur Interfax zufolge.

„Russland hat noch nie einen Grund gegeben, an seiner Zuverlässigkeit zu zweifeln.“ Moskau betont immer wieder, dass auch im Kalten Krieg in der Konfrontation zwischen Sowjetunion und dem Westen das Gas immer geflossen sei.

Britische Kritik an „Nord Stream 2“

Die britische Außenministerin Liz Truss forderte unterdessen im Falle eines russischen Angriffs auf die Ukraine ein Aus für die Erdgaspipeline „Nord Stream 2“. Das sagte sie dem Nachrichtensender Sky News. Auf die Frage, ob die Pipeline, die Russland und Deutschland auf direktem Weg durch die Ostsee verbindet, überhaupt in Betrieb genommen werden sollte, erwiderte Truss, Europa müsse seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern.

Olexander Scherba, bis vor Kurzem ukrainischer Botschafter in Wien, sieht Österreichs Haltung unterdessen „nah am Verrat“. Im Gespräch mit der Tageszeitung „Die Presse“ (Dienstag-Ausgabe) bezeichnete es der Diplomat als „kaltherzig“, trotz des russischen Truppenaufmarschs an der Gaspipeline „Nord Stream 2“ festzuhalten.