Schweiz: Schillernder Ex-„Banker des Jahres“ vor Gericht

Die Schweiz sieht ab heute ihrem aufsehenerregendsten Wirtschaftsprozess seit 15 Jahren entgegen. Angeklagt sind der ehemalige Chef der Schweizer Bankengruppe Raiffeisen, Pierin Vincenz, sowie sechs weitere Männer. Die Staatsanwaltschaft wirft Vincenz unter anderem Betrug, Veruntreuung und Urkundenfälschung vor. Bei einer Verurteilung droht ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu sechs Jahren. Vincenz bestreitet, Gesetze gebrochen zu haben.

Pierin Vincenz, ehemaliger Chef von Raiffeisen Schweiz
Reuters/Arnd Wiegmann

Der Prozess sprengt die in der Schweiz üblichen Dimensionen. Statt im Gerichtsgebäude findet der Auftakt des Verfahrens in einem Konzertsaal in Zürich statt, die Anzahl der zugelassenen Presseleute wurde auf 60 begrenzt. Das Interesse der Öffentlichkeit ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Vincenz als Ex-Chef der drittgrößten Schweizer Bankengruppe einer der bekanntesten Manager des Landes war. Im Gegensatz zu den Spitzenkräften der Großbanken gab er sich nahbar, 2014 wurde er von einem Magazin zum „Banker des Jahres“ gekürt. Auch Kritiker gestehen ihm zu, dass er Raiffeisen in der Schweiz zu neuem Schwung verholfen habe.

Kosten für Stripclubs und zerstörte Hotelzimmer

Im Visier der Justiz stehen vor allem eine Reihe von Firmenübernahmen, die Vincenz als Raiffeisen-Chef sowie als Präsident der Kreditkartenfirma Aduno verantwortete. Der Staatsanwaltschaft zufolge war Vincenz dabei verdeckt an den Übernahmezielen beteiligt. Damit habe er einen unrechtmäßigen persönlichen Gewinn von fast neun Millionen Franken (8,7 Mio. Euro) eingefahren, so die Staatsanwaltschaft.

Zudem habe er dem Institut Ausgaben angerechnet, für die es keinen geschäftlichen Grund gegeben habe. So habe er über 200.000 Franken in Stripclubs und Kontaktbars ausgeben. Kosten von rund 3.800 Franken habe er Raiffeisen aufgebürdet, um die Reparatur eines Hotelzimmers zu begleichen, das bei einem privaten Beziehungsstreit beschädigt worden sei. Vincenz saß in Zusammenhang mit dem Verfahren bereits wochenlang in Untersuchungshaft.

Prozessausgang unsicher

Bei Raiffeisen hatte die Schweizer Finanzmarktaufsicht (FINMA) nach einer Untersuchung 2018 schwerwiegende Mängel wie Interessenkonflikte und eine ungenügende Aufsicht über den früheren Konzernchef ausgemacht. Inzwischen hat die Bankengruppe mehrere Führungskräfte ersetzt und die Corporate Governance verbessert.

Das Gericht muss in dem auf mindestens fünf Verhandlungstage angesetzten erstinstanzlichen Prozess beurteilen, ob das Vincenz und seinen Mitangeklagten zur Last gelegte Verhalten strafbar ist. Fachleute halten Schuldsprüche nicht für ausgemacht. Gegen das Urteil können die Parteien Berufung einlegen. Im spektakulärsten Schweizer Wirtschaftsstrafverfahren, dem Prozess rund um die Pleite der Fluggesellschaft Swissair im Jahr 2007, waren alle Angeklagten freigesprochen worden.