Schmidt, der als Hoher Repräsentant nach wie vor einen Teil der Staatsgewalt ausübt, fand vor wenigen Tagen deutliche Worte zur aktuellen Situation in Bosnien: „Um zu verhindern, dass aus dem jetzigen ein heißer Konflikt wird, bei dem aufeinander geschossen wird, müssen wir klarmachen: Der Staat darf nicht gespalten werden und er muss funktionieren.“ Dafür brauche es eine Reaktion auch der EU. Als Möglichkeiten sieht er etwa, dass Finanzhilfen an Bedingungen geknüpft werden, sowie „personenbezogene Sanktionen“.
Die USA setzten diesen Schritt bereits. Anfang des Jahres verhängten sie Finanzsanktionen gegen Dodik wegen „korrupter Aktivitäten und anhaltender Bedrohungen für die Stabilität und territoriale Integrität von Bosnien und Herzegowina“. Dodik zeigte sich wenig beeindruckt: „Wenn man glaubt, man könne mich auf diese Weise disziplinieren, irrt man sich gewaltig. Jetzt habe ich erst recht ein Motiv, für die Rechte zu kämpfen, die uns seit 26 Jahren vorenthalten werden.“

EU verschärfte den Ton
Unterstützung bekommt Schmidt für seinen Sanktionsvorstoß aus Deutschland. Und auch die EU selbst verschärfte in einer Stellungnahme Mitte Jänner ihren Ton. Sie wolle zum Dialog beitragen, so die EU. Sie stellte aber auch weiterführende Schritte in den Raum: „Sollte sich die Lage weiter verschlechtern, verfügt die EU über ein breites Instrumentarium, einschließlich des bestehenden EU-Sanktionsrahmens und einer Überprüfung der gesamten EU-Hilfe.“
Geschlossenheit der EU und eine rote Linie gegen die staatszersetzenden Aktivitäten Dodiks seien auch vor dem Hintergrund des russischen Engagements auf dem Balkan notwendig, so Experten. In diesem Sinn argumentiert auch Mario Holzner, Balkan-Experte und Direktor des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), gegenüber ORF.at: „Das russische Engagement auf dem Balkan rührt daher, dem Westen Probleme zu bereiten – nicht viel mehr.“
Österreich lässt Sanktionsfrage offen
Er zweifelt aber, ob die EU tatsächlich einstimmig Sanktionen beschließen könnte. „Schmidt muss Zweckoptimist sein. Es würde mich aber wundern, wenn etwas Hartes vonseiten der EU beschlossen wird“, sagte er gegenüber ORF.at. Denn vehemente Sanktionsgegner sind auch in den Reihen der EU zu finden, wie etwa Ungarn unter Premier Viktor Orban. Aber auch Slowenien und Kroatien stützen die nationalistischen Provokationen Dodiks.
Ob Österreich bei EU-Sanktionen gegen Dodik mitstimmen würde, ließ das Außenministerium bei einer ORF.at-Anfrage unbeantwortet. Die EU „will Bosnien und Herzegowina als lebensfähigen, geeinten Staat, in dem sich alle Volksgruppen wiederfinden können“ und werde über geeignete Maßnahmen nachdenken, hieß es: „Österreich wird sich dazu mit den EU-Partnern über die nächsten Schritte beraten.“ Österreich habe hier auch starke wirtschaftliche Interessen, so Holzner, zählen doch österreichische Investoren zu den wichtigsten auf dem Westbalkan.
„EU und USA hätten Lösung in der Hand“
Bisher setzte die EU im Sinne des Erhalts der Stabilität vor allem auf Mahnungen und Beschwichtigungen. Diese Strategie funktioniert offenbar nicht mehr. „EU und USA hätten es in der Hand, die Situation mit einem koordinierten Auftreten zu lösen“, ist Holzner überzeugt. Wirkliche Veränderungen gebe es nicht, wenn man nur auf der Kostenseite, wie etwa per Sanktionen, Maßnahmen setze. Es brauche zur Peitsche auch das Zuckerbrot. Das sei bisher meist über Förderungen und Kredite von der EU gekommen.
Holzner fordert hier mehr Großzügigkeit und innovativere Formen bei Investitionen und gibt ein Beispiel: Will ein Lokalpolitiker eine Brücke bauen, sei das über Kredite aus dem ebenfalls auf dem Balkan engagierten China meist kurzfristig möglich. Bei Mitteln aus der Europäischen Investitionsbank etwa dauere das um einiges länger.
Serbien und Kroatien entscheidende Player
Abseits der wirtschaftlichen Unterstützung sieht Holzner aufseiten der EU auch Potenzial im Dialog. Die EU müsste sich wieder an den Verhandlungstisch setzen, und zwar nicht nur mit den lokalen Politikern, sondern auch mit der politischen Führung in Kroatien und Serbien. „Wenn der serbische Präsident Aleksandar Vucic (zu den Provokationen, Anm.) Stopp sagt, würde das Dodik sofort machen. Die Provokationen müssen bis zu einem gewissen Grad abgesprochen sein“, argumentiert Holzner. Letztlich gehe es Dodik um Machterhalt und Ablenkung von innenpolitischen Problemen, so der Experte.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt auch das EU-Mitgliedsland Kroatien. Der kroatische Präsident Zoran Milanovic lässt immer wieder mit ethno-rassistischen Tönen aufhorchen, hat aber wenig politischen Einfluss im Land. Doch die kroatische Regierungspartei HDZ hat auch einen Ableger in Bosnien, der dort die nationalistische Karte spielt.
Bosnien-Herzegowina
Der Friedensvertrag von Dayton 1995 schuf zwei weitgehend autonome Landesteile, die serbisch dominierte Republika Srpska und die Föderation Bosnien und Herzegowina mit einer mehrheitlich kroatischen und muslimischen (Bosniaken) Bevölkerung sowie den Distrikt Brcko als Sonderverwaltungsgebiet. Gesamtstaatliches Oberhaupt ist ein dreiköpfiges Staatspräsidium.
Ziel der bosnischen Kroaten ist, dass in Zukunft nur noch ein Kroate als kroatisches Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium vertreten sein kann. Derzeit gilt Zeljko Komsic als kroatischer Vertreter, der für sich in Anspruch nimmt, Vertreter aller Bürger und Bürgerinnen Bosnien-Herzegowinas zu sein. Das wollen einige kroatische Vertreter ändern. Holzner: „Ohne Absprache mit Kroatien wären diese Aktivitäten nicht möglich.“
Lobbying in Brüssel
Zudem lobbyiert die kroatische HDZ, Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP), in Brüssel für eine Änderung des bosnischen Wahlgesetzes. Vergangene Woche wurden die von EU und USA initiierten Gespräche wieder aufgenommen.
In dieser Frage zeigen sich der Serbenführer Dodik und die HDZ in Bosnien unter Führung von Dragan Covic in ihren nationalistischen Tendenzen vereint – jeweils mit dem Fokus auf ihre eigene Ethnie selbstverständlich. Gemeinsam sehen sie die Möglichkeit, „demokratische Reformen zu hintertreiben und ihre groß-serbische bzw. groß-kroatische Politik voranzutreiben“, analysierte die Politologin Marion Kraske in einem Beitrag für die Deutsche Welle.
Bericht: Intransparente Deals mit Dodik
Eine zusätzliche Hürde für die EU ist die Besetzung des Erweiterungskommissars mit dem ungarischen Diplomaten Oliver Varhelyi. Dieser verfolgt Beobachtern zufolge vor allem auf dem Westbalkan weniger die Interessen der EU als die machtpolitischen Bestrebungen Orbans.

Erst Ende Dezember vergangenen Jahres berichtete der „Standard“ von einem geleakten EU-Dokument, wonach Varhelyi mit Dodik Ende November zuvor intransparente Deals geschlossen haben soll. Thema soll dabei etwa gewesen sein, dass Dodik den Rückzug der Republika Srpska aus den gemeinsamen staatlichen Institutionen um ein halbes Jahr verschiebt. Im Gegenzug sollte er im Rahmen eines europäischen Investitionsprogramms EU-Geld bekommen.
Tatsächlich entschied das Parlament der Republika Srpska Anfang Dezember, dem Zentralstaat in den Bereichen Steuern, Justiz sowie Sicherheit und Verteidigung Kompetenzen zu entziehen. Dodik kündigte nach der Abstimmung an, innerhalb von sechs Monaten Gesetze dazu initiieren zu wollen. Gemäß der geleakten Vereinbarung mit dem EU-Kommissar könnte Dodik im Frühjahr wieder die Sezessionsbestrebungen offen aufnehmen – rechtzeitig für den Wahlkampf vor den für Oktober geplanten Wahlen.