Der Kreml in Moskau
AP/Alexander Zemlianichenko
Ukraine-Konflikt

Kreml übt scharfe Kritik an USA

Russland hat den USA vorgeworfen, durch das Versetzen Tausender US-Soldaten in erhöhte Alarmbereitschaft die Spannungen im Ukraine-Konflikt anzuheizen. „Die USA sorgen für eine Eskalation der Spannungen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag. Russlands Armee hielt indes mehrere Manöver ab.

Die Manöver dienten der Überprüfung der Gefechtsbereitschaft, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. 100 Einheiten von Waffen-, Kampf- und Spezialtechnik seien dabei in Russland eingesetzt worden, hieß es in Moskau. Auch auf der – von Russland annektierten – Halbinsel Krim am Schwarzen Meer hätten Panzer mehrere Schießübungen auch in unwegsamem Gelände absolviert, hieß es weiter.

Wegen der Ukraine-Krise hat Washington rund 8.500 Soldatinnen und Soldaten in den USA in erhöhte Bereitschaft versetzt. Eine Entscheidung über eine Verlegung nach Europa sei aber noch nicht gefallen, hieß es am Montag aus dem Pentagon. Auch die NATO kündigte an, ihre Truppen in den östlichen Mitgliedsstaaten aufzustocken.

Verschiedene Wege zur Deeskalation

Auf politischer Ebene laufen unterdessen Versuche, den Konflikt zu entschärfen. In den kommenden Tagen wird es dazu Gespräche zwischen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Russlands Staatschef Wladimir Putin geben.

USA und EU beraten über Ukraine

Während Russland und auch die NATO aufrüsten und den Druck erhöhen, kalmiert der ukrainische Präsident Selenski. Die USA und die EU haben am Montagabend über den Ukrainekonflikt konferiert.

Eine Deeskalation von russischer Seite könnte auf verschiedenen Wegen erfolgen, hieß es dazu in Paris. Ein gutes Signal wäre laut französischem Präsidentenpalast etwa, wenn humanitäre Maßnahmen ausgehandelt und die kremltreuen Separatisten dazu ermuntert würden, mit der Ukraine über den Status des Donbass zu verhandeln.

Gleichzeitig könnte auch eine Verringerung des Militäraufgebots oder eine öffentliche Erklärung der russischen Behörden zu ihren Intentionen die Situation entspannen. Nicht zuletzt könne Frankreich sich als Zeichen der Deeskalation auch Zurückhaltung vorstellen, also etwa ein Ausbleiben von Hackerangriffen.

Macron glaube jedenfalls, dass es Raum für Diplomatie und eine Entschärfung des Konflikts gebe, hieß es in Paris. Gleichzeitig wolle er aber klarmachen, dass militärische Handlungen Russlands gegen die Ukraine sehr ernste Konsequenzen nach sich zögen.

Macron und Scholz warnen Russland

Frankreich setzt für die Lösung des Konflikts auf zahlreiche Dialogformate. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte am Dienstag nach einem Treffen mit Macron Russland erneut vor den Folgen eines Angriffs auf die Ukraine. Er sprach von einer sehr schwierigen Lage entlang der ukrainisch-russischen Grenze. Macron sagte, sollte Russland die Ukraine angreifen, werde es einen hohen Preis dafür zahlen.

Jölli (ORF) zum Konflikt um die Ukraine

Andreas Jölli kommentiert die Diplomatieversuche und Drohgebärden von NATO und Russland im Ukraine-Konflikt

„Es sind viele Truppen dort stationiert, und deshalb ist es notwendig, dass jetzt alles dazu beigetragen wird, dass die Situation sich anders entwickelt, als das gegenwärtig manchmal zu befürchten ist“, sagte Scholz. „Wir erwarten auch von Russland deshalb eindeutige Schritte, die zu einer Deeskalation der Situation beitragen, und wir sind uns alle einig, dass eine militärische Aggression schwerwiegende Konsequenzen nach sich zöge.“

Frankreich und Deutschland vermitteln in dem seit 2014 andauernden Konflikt. Ihr 2015 in Minsk vereinbarter Friedensplan liegt aber auf Eis. UNO-Schätzungen zufolge wurden bei Kämpfen zwischen ukrainischen Regierungstruppen und kremltreuen Separatisten in der ukrainischen Region Donbass mehr als 14.000 Menschen getötet.

Biden warnt Russland erneut

US-Präsident Joe Biden warnte unterdessen, dass ein russischer Einmarsch in die Ukraine angesichts der großen Truppenpräsenz in der Nähe der Grenze zur „größten Invasion seit dem Zweiten Weltkrieg“ werde. Ein solcher Schritt würde „die Welt verändern“, warnte Biden am Dienstag. Nach US-Angaben soll Moskau entlang der ukrainischen Grenze rund 100.000 russische Soldaten in Stellung gebracht haben.

Mit Blick auf Russlands Präsident Wladimir Putin sagte Biden, dieser „baut die Truppenpräsenz entlang der ukrainischen Grenze weiter aus“. Es ist noch unklar, ob sich Biden mit seiner Aussage spezifisch auf Europa bezog, denn beim US-geführten Einmarsch im Irak waren 2003 deutlich mehr Soldaten zum Einsatz gekommen. In Afghanistan wiederum wurde die Präsenz der sowjetischen Truppen nach ihrem Einmarsch 1979 mit rund 120.000 angegeben. Moskau dementierte die Pläne zu einem angeblichen Einmarsch in die Ukraine.

Das Verhältnis zwischen Russen und Ukrainern

Als die Sowjetunion vor 30 Jahren zerfiel, wurde die Ukraine über Nacht zur drittgrößten Atommacht der Erde. Russland will seinen Einfluss auf die Ukraine nun nicht völlig an den Westen verlieren. Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz über eine extrem schwierige Nachbarschaft.

EU bereitet Maßnahmen gegen Moskau vor

Die EU-Kommission sieht sich in ihrer Vorbereitung möglicher Maßnahmen gegen Russland indes auf einem guten Weg. Die entsprechende Arbeit sei weit fortgeschritten, sagte ein EU-Sprecher. Das gelte für Maßnahmen zur Abschreckung wie zur Reaktion für den Fall, dass der Dialog scheitere und Russland nicht deeskaliere.

„Sollte Russland künftig damit beginnen, die territoriale Souveränität der Ukraine zu verletzen, werden wir sehr entschieden reagieren“, so der Sprecher der EU-Kommission. Dem Aggressor drohten weitreichende politische Konsequenzen und heftige wirtschaftliche Folgen.

Johnson droht Moskau

Eine Drohung an Moskau kam am Dienstag auch aus London. Im Fall eines russischen Einmarsches in die Ukraine werde es Sanktionen geben, die „härter sind als alles bisher Dagewesene“, sagte Premier Boris Johnson. „Wir sind übereingekommen, dass wir auf jeden russischen Angriff auf die Ukraine gemeinsam mit koordinierten und strengen Wirtschaftssanktionen reagieren werden“, so Johnson. Er hatte am Montagabend bei einem Telefongespräch mit verbündeten Staats- und Regierungschefs der USA und Europas über die Lage beraten.

Auf die Frage, ob Moskau aus dem internationalen Bankensystem SWIFT ausgeschlossen werden könnte, sagte Johnson: „Es besteht kein Zweifel, dass das eine sehr wirksame Waffe wäre.“ Er wies darauf hin, dass ein solcher Schritt von den USA in die Wege geleitet werden müsse, und fügte hinzu: „Wir tauschen uns darüber aus.“

Gasreduktion: USA wollen Europa unterstützen

Die USA bereiten sich unterdessen gemeinsam mit ihren Verbündeten auf eine mögliche Reduzierung russischer Gaslieferungen nach Europa im Falle einer Eskalation des Ukraine-Konflikts vor. „Wir arbeiten mit Ländern und Unternehmen auf der ganzen Welt zusammen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und Preisschocks sowohl für die amerikanische Bevölkerung als auch die Weltwirtschaft abzufedern“, sagte ein hochrangiger US-Regierungsmitarbeiter.

Grafik zu Gasimporten und Pipelines
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: bruegel.org

„Wir sind in Gesprächen mit großen Erdgasproduzenten rund um den Globus, um deren Kapazität und Bereitschaft zur zeitweisen Erhöhung der Erdgasproduktion zu ermitteln und diese Mengen europäischen Abnehmern zuzuweisen“, sagte er. Der Regierungsmitarbeiter verwies darauf, dass für mehrere Wochen Gas in Speichern in Europa gelagert sei. Die Bemühungen zielten darauf ab, im Fall einer Reduzierung oder eines Ausfalls russischer Lieferungen innerhalb von Tagen oder Wochen für Ersatz zu sorgen, nicht erst innerhalb von Monaten.

Schallenberg: „Nord Stream 2“ „nicht wirklich Drohkulisse“

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) warnte unterdessen, die geplante Ostseepipeline „Nord Stream 2“, die Gas von Russland nach Europa bringen soll, in mögliche Sanktionen gegen Moskau einzubeziehen. „Nord Stream 2“ sei „nicht wirklich eine Drohkulisse“, sagte Schallenberg am Dienstag in der ZIB2. Die Pipeline sei noch nicht einmal in Betrieb. Man müsse auch sicherstellen, „dass die Sanktionen nicht zu einem Bumerang werden“.

Schallenberg: Putin treibt Nachbarn in EU

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) kommentiert die angespannte Lage zwischen der NATO und Russland

Derzeit schnüre der Westen ein Paket von Sanktionen gegen Russland, „die wehtun werden“, im Bereich Wirtschaft und Finanzen, so der Außenminister.

Dass Putin mit Invasion der Ukraine drohe, sieht Schallenberg als „Eingeständnis des Scheiterns“ des Kremls. Er verglich die Lage mit der Niederschlagung der Aufstände in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968 durch die damalige Sowjetunion. Man habe den Eindruck, Putin wolle „das Rad der Zeit zurückdrehen“, sagte Schallenberg. „In Wirklichkeit erreicht er genau das Gegenteil … Er treibt ja gerade so seine Nachbarn in Richtung Westen, NATO und EU.“

NATO verspricht schriftliche Antwort an Moskau

Die NATO kündigte indessen an, noch in dieser Woche schriftlich auf Russlands Sorgen um die Sicherheit in Europa zu antworten. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Dienstag im US-Sender CNN, derzeit würden die Vorschläge für ein entsprechendes Dokument fertiggestellt, „das wir Ihnen im Laufe dieser Woche zukommen lassen werden. Wir werden das parallel zu den Vereinigten Staaten tun“.

Stoltenberg sagte, man werde der russischen Seite deutlich machen, „dass wir bereit sind, uns zusammenzusetzen“. Diskutiert werden könne etwa über Rüstungskontrolle, Transparenz bei militärischen Aktivitäten oder Mechanismen zur Risikominderung. Man sei auch willens, sich die russischen Bedenken anzuhören. „Aber wir sind nicht bereit, Kompromisse bei den Grundprinzipien einzugehen.“ Dazu gehöre das Recht jeder Nation in Europa, selbst zu entscheiden, welchen Bündnissen sie sich anschließen wolle.