Jung und jüdisch

Das vererbte Trauma der Schoah

Die Jüdische österreichische Hochschülerschaft (JöH) war schon immer kämpferisch. Während man in den 1980er Jahren Neonazis sogar Schlägereien lieferte, setzt die jetzige Generation auf Aktivismus gegen neuen und alten Antisemitismus. Das Trauma der Schoah werde von Generation zu Generation vererbt, sagen die jungen Jüdinnen und Juden. Das Gedenken an ihre Vorfahren wollen sie schützen.

Zuletzt legten sich die jungen Jüdinnen und Juden auch mit der Politik an. Die Studierenden beteiligten sich etwa an einer Anzeige wegen NS-Wiederbetätigung gegen FPÖ-Chef Hebert Kickl. Sie werfen ihm vor, die Testpflicht an Schulen mit der systematischen Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung und späteren Ermordung jüdischer Kinder durch die Nazis zu vergleichen. Nach der Anzeige habe es Hassnachrichten gehagelt, erzählt JöH-Präsidentin Sashi Turkof im Gespräch mit ORF.at. „Sobald man sich gegen Antisemitismus einsetzt, kriegt man meistens Antisemitismus als Antwort zurück.“ Damit müsse man rechnen, so die 21-jährige Studentin der Bildungswissenschaft.

Das weiß auch JöH-Vizepräsidentin Victoria Borochov: „Negativreaktionen aufgrund meines Aktivismus hab ich schon sehr viele bekommen.“ Dadurch, dass sie eine jüdische Person im öffentlichen Leben sei, „dass ich mich als jüdische Person offen zeige“, werde sie zur Zielscheibe. Man dürfe sich davon aber „nicht unterkriegen lassen“, sagt die 21-jährige Judaistikstudentin.

„Schicksale unserer Vorfahren verharmlost“

Hinter dem Aktivismus jüdischer Studierender in der Hochschülerschaft steckt der Wunsch, Antisemitimus etwas entgegenzusetzen und das Gedenken an die Schoah zu schützen. Die jungen Jüdinnen und Juden üben auch immer wieder Kritik an der Verharmlosung des Holocaust auf Coronavirus-Demonstrationen, wo in der Vergangenheit etwa Davidsterne mit dem Schriftzug „ungeimpft“ und Schilder mit dem Spruch „Impfen macht frei“ zu sehen waren.

Sashi Turkof, Victoria Borochov und Ari Simulevski
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Sashi Turkof, Victoria Borochov und Ariel Simulevski von den Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen

Das Gedenken an die Schoah sei für ihn nicht nur familienbedingt „allgegenwärtig“, sondern dieser Tage auch mit Blick auf die Demonstrationen, sagt der 22-jährige Ariel Simulevski, Informatikstudent und Vorstandsmitglied der JöH. Die Tatsache, wie auf den Demos mit den „Erinnerungen an unsere Vorfahren umgegangen wird, die Schicksale unserer Vorfahren verharmlost werden“ und „als politisches Tool genutzt werden“, lasse ihn immer wieder grübeln, wie die Bewusstseinsarbeit verbessert werden müsse, um dem entgegenzuwirken.

Erinnern „bei jedem Familienessen“

Besonders an internationalen und nationalen Gedenktagen bemüht sich das offizielle Österreich um mahnende Worte und um ein Erinnern an die Millionen Verfolgten und Ermordeten. Auch Bildungsinstitutionen, Medien und Zivilgesellschaft leisten zum Gedenken auch während des Jahres ihren Beitrag, der Kampf gegen Antisemitismus ist schließlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dass die Schoah für junge Jüdinnen und Juden in Wien nicht nur an Gedenktagen ein großes Thema ist, liegt auf der Hand.

„Wir wachsen in einem Täterland auf und dieses Gefühl, zu wissen, dass hier vor weniger als 100 Jahren Jüdinnen und Juden aufgrund dessen, dass sie Jüdinnen und Juden waren, ermordet wurden, formt, wie wir uns in diesem Land fühlen“, sagt Turkof. „Wir werden auch bei jedem Familienessen, bei jedem Gespräch mit unseren Großeltern und Urgroßeltern daran erinnert, dass das so ist.“

Trauma wird weitergegeben

Die Folgen der Schoah, in der sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordet wurden, spüren die nachfolgenden Generationen noch heute. Von einem belastenden Trauma, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, spricht Turkof. „Das Trauma ist so stark, dass es wahrscheinlich noch über viele Generationen weitergegeben wird“, sagt sie.

Die Wahl, sich nicht mit der Schoah und Antisemitismus zu beschäftigen, sehe sie für sich selbst schlichtweg nicht. Jüdischer Aktivismus bedeute auch, sich dafür zu entscheiden, „etwas mit diesem Trauma zu machen“ und gegen „immer noch bestehende Ressentiments und Vorurteile zu kämpfen“. Eine Aufgabe, die auch von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Früher Prügeleien mit Neonazis

Schon früher gab die Jüdische Hochschülerschaft jüdischen Studierenden Heimat und eine Möglichkeit, sich politisch zu engagieren. Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik für die Opfer des Nationalsozialismus, engagierte sich vor vierzig Jahren selbst in der Studierendenvereinigung.

„In den 80er Jahren waren Rechtextremisten und Neonazis ziemlich aktiv. Ich erinnere mich an einige Demonstrationen, wo wir uns physisch heftig auseinandergesetzt haben“, sagt Lessing im Gespräch mit ORF.at.

Hannah Lessing
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Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus, war in den 80er Jahren bei der JöH

„Es gab damals ein Hotel am Gürtel, wo regelmäßig Treffen von Neonazis stattgefunden haben. Wir haben dann mit einer kleinen Aufschrift ‚Jüdische Hochschülerschaft‘ mit Davidstern davor demonstriert, sind teilweise ordentlich verprügelt worden, wir haben aber auch verprügelt. Das war einfach ein Engagement gegen Rechtsextremismus“, erzählt Lessing.

Mit der Politik angelegt

Die Art des Aktivismus hat sich verändert, aber er ist aus Sicht der Jüdischen Hochschülerschaft weiterhin notwendig. Die Studierenden haben zuletzt mit unterschiedlichen Aktionen auf alten und neuen Antisemitismus aufmerksam gemacht. So protestierten sie etwa mit einer Kunstinstallation gegen das Denkmal des ehemaligen Bürgermeisters und bekennenden Antisemiten Karl Lueger in der Wiener Innenstadt. Er habe den „politischen Antisemitismus in Wien erfunden“, sagt JöH-Präsidentin Turkof. Es könne nicht sein, dass „jemand, der klar Antisemit war und populistisch mit Antisemitismus gearbeitet hat, mitten in Wien geehrt wird“.

Nicht unbemerkt blieb der von der JöH initiierte und von mehreren prominenten Persönlichkeiten wie Schriftstellerin Elfriede Jelinek, Autor Doron Rabinovici und der früheren Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH), Irmgard Griss, unterzeichnete offene Brief an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), in dem er zum Rücktritt aufgefordert wurde. Der Grund waren von ihm getätigte antisemitische Aussagen in einem Wahlkampf vor mehreren Jahren. Er könne als Innenminister also nicht für den Schutz der jüdischen Gemeinde zuständig sein, sagt Turkof. Karner trat nicht zurück, entschuldigte sich allerdings öffentlich.

Schulen wie „Hochsicherheitsgefängnisse“

Der Anspruch, dass ein Innenminister null Toleranz für Antisemitismus haben sollte, ist für die jüdischen Studierenden nicht zuletzt deshalb absolut, weil die jüdische Gemeinde in Österreich polizeilich besonders geschützt wird. Schutzmaßnahmen, die aber auch eine permanente Erinnerung daran sind, dass der jüdischen Gemeinde auch 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Gefahr droht: durch islamistischen und rechtsextremistischen Terror.

Zu wissen, „dass unsere Schulen ausschauen wie Hochsicherheitsgefängnisse oder alle jüdischen Institutionen mit Hochsicherheit geschützt werden müssen, macht schon etwas mit einem“, sagt Turkof. Es sei ein „beklemmendes Gefühl“ zu wissen, dass man diesen Schutz braucht, sagt Simulevski.

Enkelkinder erzählen

An die Zeit zu erinnern, in der die jüdische Gemeinde in Österreich nicht geschützt, sondern verfolgt und ermordet wurde, und an die betroffenen Menschen zu erinnern, ist der JöH ein Anliegen. Sie setzt sich intensiv gegen das Vergessen ein. Für den vergangenen Internationalen Holocaust-Gedenktag am Donnerstag organisierten die Studierenden eine Videoinstallation an mehreren Orten in Wien, darunter etwa auf dem Heldenplatz. In kurzen Videos erzählten Enkelkinder die Geschichte ihrer Großeltern, die den Holocaust überlebten.

Ziel war es, Menschen den „generationenübergreifenden Gedenkprozess“ nahezubringen, sagt Turkof. Allerdings sei es nicht nur Aufgabe von Jüdinnen und Juden, die Geschichte dieser Menschen lebendig zu halten: „Es ist die Verantwortung der gesamten Gesellschaft, dieses Gedenken weiterzuführen und die Geschichten der Überlebenden nicht zu vergessen.“