Sebastian Schweinsteiger vor Martin Sutter Cover
Jens Kalaene / dpa / picturedesk.com
Schweinsteiger, Neymar und Co.

Das Geschäft mit den Kicker-Biografien

Ob Stürmer, Rennfahrer oder Basketballprofi: Filme, Serien und Dokumentationen rund um Sportstars boomen. Zuletzt ist eine Dokuserie über Neymar gestartet und ein biografischer Roman über den deutschen Ex-Fußballer Bastian Schweinsteiger erschienen. Das Genre vermengt Fankultur, den Wunsch nach Identifikation und das Versprechen von Authentizität – wobei sich so manche Produktion als reines Marketingvehikel entpuppt.

Als mehrteilige Dokuserie oder als fiktionalisiertes Biopic: Die Streaming-Mediatheken sind gespickt mit Produktionen über Sportler. So gibt es Serien zu Sportarten wie Basketball („The Last Dance“) und Rennsport („Formula 1: Drive to Survive“), besonders dominant ist aber Fußball als Thema. Erst am Dienstag erschien mit „Das vollkommene Chaos“ eine neue Dokuserie über den brasilianischen Superstar Neymar auf Netflix.

Öfter stehen aber auch ganze Clubs im Mittelpunkt, etwa der Premier League-Club Tottenham Hotspur („All Or Nothing: Tottenham Hotspur“) und der FC Bayern München: Seit November ist die Doku „FC Bayern – Behind the Legend“ verfügbar, im Rahmen derer der deutsche Rekordmeister eine Saison lang von einem Kamerateam begleitet wurde. Obwohl die Kameraperspektive suggeriert, dass man sich mittendrin befindet und die Stars in jede Ecke des Trainingsgeländes begleitet, kommt man den Protagonisten nur ganz selten wirklich nahe. Ein Befund, der nicht nur für die Serie über den Münchener Club gilt.

Bastian in Großaufnahme

Einem ehemaligen Bayern-Spieler ist wiederum gleich eine eigene Serie gewidmet: „Schw31ns7eiger: Memories – Von Anfang bis Legende“ aus dem Jahr 2020 zeichnet das Leben des ehemaligen deutschen Nationalspielers Bastian Schweinsteiger nach. Eben jener steht seit dieser Woche schon wieder im Zentrum eines künstlerischen Werkes. Diesmal ist es allerdings nicht stream-, sondern lesbar: Im Martin Suters Roman „Einer von euch“ nimmt einen der Schweizer Bestsellerautor mit durch die Vita des Weltmeisters, von den ersten sportlichen Gehversuchen in der bayrischen Provinz bis hinauf auf den Fußballolymp.

Buchcover von Bastian Schweinsteigers „Einer von euch“
Diogenes
Martin Suter: Einer von euch. Diogenes, 384 Seiten, Euro 22,70.

Interessant ist hierbei vor allem die Form: Schweinsteigers Werdegang wird nicht als klassische Biografie, sondern als „biografischer Roman“ erzählt: „Der Autor erzählt uns Wahres und fast Wahres“, so will es zumindest der Pressetext zum Buch sehen. Für Suter ist Schweinsteigers sportliche Laufbahn eher Anstoß für eine Erzählung: Die sportlichen Eckdaten Schweinsteigers, der 2019 seine aktive Karriere beendet hat, kennt man ohnehin.

Im Roman darf es persönlich werden: Weder die Jugend noch die Familie werden ausgespart. Und auch Schweinsteigers bekannte Ehefrau, die ehemalige Tennisspielerin Ana Ivanovic, kommt häufig vor. Suter versucht, den Menschen hinter dem Fußballhelden nahbar zu machen, getreu dem Titel: „Einer von euch“.

Übrigens ist Fußball als literarisches Motiv auch nichts gänzlich Neues. Besonders prominent kommt der beliebte Ballsport im Werk des britischen Autors Nick Hornby („Fever Pitch“) vor, auch der österreichische Literaturnobelpreisträger Peter Handke hat Fußball zumindest als Aufhänger in einem seiner Werke untergebracht („Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“). 2019 legte Tonio Schachinger seinen Debütroman „Nicht wie ihr vor“, in dem ein österreichischer Stürmerstar sich aus der Innenperspektive reichlich herablassend gibt.

TV-Hinweis

Martin Suter ist am Dienstag ab 22.00 Uhr in ORF1 zu Gast in „Willkommen Österreich“.

Vorbilder, ganz unspektakulär

Fußballer werden oft geradezu kultisch verehrt und nicht selten als Helden oder Legenden betitelt. Ihre Aussagen haben Einfluss und vor allem eine beachtliche Breitenwirkung. Nicht zuletzt stellen sie für viele Kinder und Jugendliche Vorbilder dar. Gerade weckt bei Zuschauern und Zuschauerinnen Interesse daran, mehr über diese Personen und ihren Alltag zu erfahren, mehr darüber, wo sie herkommen und wie es zu der Erfolgskarriere kam.

Regisseur Asif Kapadia mit einem „Diego Maradona“-Schal
APA/AFP/Anp/Olaf Kraak
Asif Kapadia ist ein Meister des Genres: Mit „Senna“ und „Diego Maradona“ sind ihm vielschichtige Porträts gelungen

Denn Fußballer sind auch Projektionsflächen für Menschen, die sich vielleicht selbst eine Karriere erträumen oder für die eine Sportlerlaufbahn ein Traum geblieben ist. Diese Faktoren sind sicherlich Grund dafür, warum es eine derart große Nachfrage nach derartigen Porträts gibt.

Dass man dann letztlich in vielen dieser Dokus vergleichsweise wenig über die Personen erfährt und stattdessen eher das Drumherum – also Trainingsplätze, Fitnessräume, Büros und Fußballstadien – kennenlernen darf, nimmt man eben in Kauf. Jeder Informationsgewinn, so klein er auch sein mag, ist von Bedeutung. Der Fan bleibt dran, der Fan fiebert mit.

Horrorsaison als Stück Sportgeschichte

Viele Porträts bleiben indes oberflächlich. Für die gelungene Seriendramaturgie wird gerne ein gewisser Aspekt – beispielsweise ein Tiefpunkt in der Vereins- oder Spielergeschichte – bedeutungsschwanger zum dramatischen Wendepunkt hochstilisiert, was einmal gut funktioniert, oft aber bemüht daherkommt.

Wenn Sportlerfilme oder Serien einmal wirklich tiefer gehen, dann liegt es entweder an deren außerordentlicher Qualität oder an schieren Zufällen. So geschehen etwa in der Netflix-Serie „Sunderland ’Til I Die“: In Staffel eins wird das Team des traditionsreichen AFC Sunderland in der ersten Saison nach dem Abstieg aus der Premier League begleitet.

Die Spielzeit beginnt hoffnungsvoll, erklärtes Ziel ist der direkte Wiederaufstieg. Doch es kommt anders, nämlich zum Ausnahmezustand: Die Saison liefert zahlreiche Trainerwechsel, Probleme auf dem Transfermarkt und viele weitere Unvorhersehbarkeiten.

Das alles hat eine katastrophale Spielzeit und ein mehr als verfehltes Saisonziel zur Folge. Dass hier sportlich quasi nichts nach Plan läuft, sorgte nicht nur für Unterhaltungswert, sondern machte aus der Serie ein kleines Stück greifbare Sportgeschichte.

Mittel zum Marketing-Zweck

Ungewollt spiegelt die Sunderland-Doku genau jene Authentizität wider, die manch andere Serie, manch anderer Film, gerne für sich beanspruchen will, aber dann vermissen lässt. Vor allem solche über noch aktive Spieler oder Trainer, wirken allzu glatt: Dokuformate als Mittel zum Marketingzweck, deren einziges Ziel es ist, die eigene Bekanntheit zu steigern.

Man erfährt zwar viel vom Können der Beteiligten, doch bleibt im Gewitter der Allgemeinplätze die Person dahinter ungreifbar. Nähe wird meist nur vorgetäuscht. Dennoch ist es für die Stars und Vereine längst zu einer Prestigeangelegenheit geworden, die eigenen Pforten für Fernsehteams zu öffnen und diese zu Chronisten des Alltäglichen werden zu lassen.

Autos fahren auf dem Vereinsgelände ein, die Spieler trainieren diszipliniert, essen gesund, werden massiert, lauschen gespannt beim Taktikcoaching und manchmal lachen sie freudig in der Kabine.

Vorgetäuschter Tiefgang

Dass es anders geht, hat besonders einprägsam der britische Filmemacher Asif Kapadia bewiesen. Nicht nur in seiner Doku über den legendären Formel 1-Piloten Ayrton Senna („Senna“, 2010), sondern auch in der über den argentinischen Fußballgott Diego Maradona („Diego Maradona“, 2019) hat er es geschafft, vielschichtige Porträts über Sportstars zu kreieren.

Kapadia arbeitet vor allem mit Archivmaterial und schafft es dabei, einen dramaturgischen Bogen zu kreieren, der mitunter zu Tränen rührt und obendrein einen hohen Informationsgehalt bietet. Dabei wählt er auch einen besonderen Fokus, wie im Falle von Diego Maradona auf dessen bewegende Zeit in Neapel.

Auch wenn die meisten Sportdokus dieses Niveau unterschreiten, ist klar: Der Hype wird bleiben, eben weil Fans die Geschichten über ihre Stars weiter anschauen wollen und vor allem der Fußball andauernd fasziniert. Und so wird „Das vollkommene Chaos“ sicher nicht die letzte Fußballerdoku bleiben.