Yves Saint Laurent
Estate of Jeanloup Sieff, Centre Pompidou
Yves Saint Laurent

Paris feiert den „heiligen“ Yves

Gleich sechs Pariser Museen vom Louvre bis zum Picasso-Museum feiern mit Yves Saint Laurent (1936–2008) ab Sonntag den vielleicht modernsten Designer des 20. Jahrhunderts. Er war der Künstler unter den Modeschöpfern, brachte Pablo Picasso und Piet Mondrian auf den Laufsteg und den Style auf die Straße. 60 Jahre nach seiner ersten Modeschau beweist der Ausstellungsreigen: Kunst und Mode gehören zusammen.

Saint Laurent ist so etwas wie der Schutzheilige der gehobenen Coolness. Er adelte die französischen 1960er und 1970er Jahre mit Klasse, ließ Francoise Hardy im geometrischen Minikleid genauso gut aussehen wie Romy Schneider im schwarzen Lackmantel und Catherine Deneuve in „Belle de Jour“.

Er war ein Star der Haute Couture und gefeiert bei der Pariser Boheme auf der Rive Gauche. 1966 eröffnete er im Künstler- und Intellektuellenviertel südlich der Seine als erster Couturier eine Boutique für Pret-a-porter-Mode. Damals entstand das Logo mit den orange- und pinkfarbenen Quadraten, das seitdem so etwas wie der Farbcode für die modische Revolte ist.

Fotostrecke mit 6 Bildern

Piet Mondrian, Composition en rouge bleu et blanc II, 1937; Yves Saint Laurent Robe Hommage à Piet Mondrian
Centre Pompidou/Jacques Faujour; Yves Saint Laurent/Nicolas Mathéus
Modische Rasterfahndung: Das abstrakte Gemälde von Piet Mondrian schaffte es auf den Laufsteg und auf das Cover der französischen „Elle“, lange bevor der Künstler so populär war wie heute. Links: Piet Mondrian, „Composition en rouge, bleu et blanc II“, 1937. Rechts: Yves Saint Laurent, „Robe Hommage a Piet Mondrian“.
Martial Raysse Made in Japan – La grande odalisque, 1964; Yves Saint Laurent
Manteau
Centre Pompidou/Philippe Migeat; Yves Saint Laurent/Nicolas Mathéus
Aus der „Skandalkollektion 1971“: Der absynthgrüne Nerz – inspiriert von Martial Raysse, „Made in Japan – La Grande Odalisque“ – war dem Haute-Couture-Publikum nicht geheuer, wurde aber zu einem Riesenerfolg bei Modefans
Pierre Bonnard, Le jardin, vers 1937; Yves Saint Laurent Ensembles inspirés de Pierre Bonnard
RMN-Grand Palais/Agence Bulloz; Yves Saint Laurent/Nicolas Mathéus
Post-Impressionismus auf Kleidern. Links: Pierre Bonnard, „Le jardin“, um 1937. Rechts: Yves Saint Laurent, „Ensembles inspires de Pierre Bonnard“
Pablo Picasso Portrait de Nusch Eluard; Yves Saint Laurent Veste Hommage à Pablo Picasso
RMN-Grand Palais/Adrien Didierjean; Yves Saint Laurent/Nicolas Mathéus
Aus der surrealen Komposition eines Picasso-Bildes machte der Couturier ein modisches Ereignis. Aus dem „Portrait de Nusch Eluard“ von 1937 wurde 1979 ein Highlight der Herbst-/Winterkollektion.
De gauche à droite, Yves Saint Laurent
Yves Saint Laurent/Nicolas Mathéus
Flamboyanter Farbenrausch: Der leidenschaftliche Museumsbesucher Yves Saint Laurent brachte Farbkombinationen in die Mode, die die Welt bis dahin nur aus der Kunst kannte
Buchcober von „Saint Laurent rive gauche“
Abrams & Chronicle Books
Vom Salon auf die Straße: 1966 eröffnete Yves Saint Laurent als erster Couturier eine Pret-a-porter-Boutique in Paris. Rive Gauche war Adresse, Name und Programm. Der revolutionäre Farbcode orange-magenta gilt bis heute.

Tuxedo und Power für Frauen

Sein eleganter Damenanzug „Le Smoking“ war stilistisch bahnbrechend und ein Meilenstein der Emanzipation. In den 1960ern waren Hosen für Frauen in vielen Bereichen noch tabu. Und auch wenn Marlene Dietrich schon in den 1930er Jahren im Hosenanzug Hollywood erobert hatte, so war es doch Saint Laurent, der den Tuxedo 1966 mit einem Schlag berühmt machte. Als Bianca Jagger 1971 zu ihrer Hochzeit mit Mick Jagger im weißen YSL-Hochzeitssmoking erschien, war endgültig klar: Hier wird gerade Modegeschichte geschrieben.

„Coco Chanel gab den Frauen Freiheit, Saint Laurent gab ihnen die Power“, sagte Saint Laurents großer Förderer und Lebensgefährte Pierre Berge einmal. Und das Gute war eben, dass diese Power nicht nur politisch gelesen werden konnte, sondern auch noch umwerfend aussah. Mit seiner legendären Safarijacke aus dem Jahr 1968 hätte man auch auf der Studentendemo eine gute Figur gemacht und die transparenten Organza-Blusen waren Textil gewordener Befreiungskampf. Quasi das Nipplegate der oberen Zehntausend.

Ein Modeschöpfer als „Heiliger“

Saint Laurent, das ist aber auch die Geschichte des kreativen Schmerzensmannes, der an seinem Talent und seiner Empfindsamkeit verzweifelte, den Zeitgenossen als einsamen und krankhaft schüchternen Menschen beschreiben und der seine Erfolge mit dramatischen Abstürzen, Drogen und Krankheit bezahlte.

Ausstellungshinweis

„Yves Saint Laurent aux Musees“ findet vom 29. Januar 2022 bis 15. Mai 2022 in folgenden Pariser Museen statt: Centre Pompidou, Louvre, Musee d’Orsay, Musee d’Art Moderne, Musee Picasso und Musee Yves Saint Laurent.

Sein berühmt gewordenes Schwarz-Weiß-Foto, auf dem er für sein Männerparfüm „YSL pour Homme“ nackt mit Hornbrille posiert – der Lichtkegel hinter ihm wie eine Aureole – lesen manche als das Bild eines Märtyrers. „Der heilige Yves“ titelt das deutsche Kunstmagazin „Monopol“ in seiner aktuellen Ausgabe. Und erinnert daran, dass er einer der ersten Designer war, der sich öffentlich als homosexuell geoutet hat.

Um allen Facetten des Ausnahmekünstlers gerecht zu werden, findet die große Pariser Retrospektive „Yves Saint Laurent aux Musees“ aus Anlass des 60-Jahre-Jubiläums der ersten Modeschau gleich in sechs Pariser Museen statt, jedes Haus setzt den Fokus dabei auf einen anderen Aspekt. Während das Musee YSL in den Archiven nach unveröffentlichten Zeichnungen gegraben hat, demonstriert das Centre Pompidou die Verbundenheit des Designers mit der Kunst seiner Zeit. Kein anderer Modeschöpfer war so kunstbesessen wie er, ließ Malerei so sehr in seine Entwürfe einfließen, ja fusionierte sie geradezu. Legendär sind seine „Mondrian-Kollektion“ 1965 und die „Pop-Art-Kollektion“ 1966.

Ein Bild von einem Kleid

Verblüffend, wie etwa die Kunst von Mondrian von der Leinwand auf den Laufsteg wechselt. Jeder kennt die prägnanten Bilder, jene Raster aus rechten Winkeln und den Primärfarben Rot, Blau und Gelb, die zu Ikonen der modernen Kunst wurden. Saint Laurent machte daraus ein modisches Ereignis.

Mit dem Entwurf „Hommage a Piet Mondrian“ in der Herbst-/Winterkollektion 1965 zollte er dem niederländischen Meister der Abstraktion seinen Tribut und entwarf ein geniales Sixties-Kleid, das wie ein für den Frauenkörper maßgeschneidertes Mondrian-Bild aussieht – lange bevor Museen den Künstler groß herausbrachten.

Jean Sorel und Catherine Deneuve im Film „Belle de Jour“
picturedesk.com/Robert et Raymond Hakim/Mary Evans
Für Bunuels „Belle de Jour“ entwarf Laurent den kompletten Look. Hauptdarstellerin Deneuve war für ihn Muse, Model und Kundin.

Aus heutiger Sicht scheint das vielleicht nicht so spektakulär, weil jedes Museum Kunst auf T-Shirts druckt, Modelabels Logos auf Kleidung nähen und Kleidung durch die Massenproduktion überhaupt zu einer kommerziellen Bilderspielwiese geworden ist.

Und es wirkt völlig selbstverständlich, weil wir den Künstler Mondrian und den Designer YSL mittlerweile beide als „Marken“ des 20. Jahrhunderts wahrnehmen (Mondrians prägnante Farbraster müssen oft für Produktdesign herhalten, wie 1986 vom Kosmetikkonzern L’Oreal für eine Haarpflegeserie). Aber im Jahr 1965 war das – geschneiderte – Kleid eine Sensation.

Matisse und Picasso

Es kann also spannend werden, wenn jetzt das Centre Pompidou Kunstwerke aus seiner Sammlung mit der Mode von YSL in Dialog treten lässt. Nicht nur Mondrian, auch Henri Matisse zog den Designer magisch an. „La Blouse Roumaine“, ein farbig leuchtendes Bild von Matisse aus dem Jahr 1940, erlebte bei der Modeschau der Winterkollektion 1981/82 fast eins zu eins eine Wiedergeburt in Form einer prachtvoll bestickten Folklorebluse.

Auch privat umgab sich der Modeschöpfer mit der Kunst des Fauvisten. Eigentlich naheliegend, dass Matisse, der „Maler mit der Schere“, der in seinen letzten Lebensjahren in seinem sonnigen Atelier in Nizza die fröhlichsten Cut-outs schuf – und damit der Schneiderei recht nahe kam – eine so wichtige Inspirationsquelle für Laurent war.

Das Musee Picasso wiederum beherbergt das „Portrait de Nusch Eluard“, ein surrealistisches Meisterwerk aus dem Jahr 1937. Es zeigt eine für Picasso‘sche Verhältnisse wenig verzerrte Dame in einer Fantasieuniform, die bei Saint Laurent im Herbst/Winter 1979 als taillierte Kostümjacke mit dem Titel „Hommage a Pablo Picasso“ Furore macht.

Pablo Picasso Portrait de Nusch Eluard; Yves Saint Laurent Veste Hommage à Pablo Picasso
RMN-Grand Palais/Adrien Didierjean; Yves Saint Laurent/Nicolas Mathéus
Ein Highlight der Austellung aus dem Musee Picasso: Laurents Kostümjacke nach „Portrait de Nusch Eluard“

Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies

Saint Laurent wuchs als Sohn einer wohlhabenden Familie im algerischen Oran auf. Seine Eltern waren „Pieds-noirs“, also Algerienfranzosen, die sich im 19. Jahrhundert im von Frankreich kolonialisierten Nordafrika angesiedelt hatten. Der kleine Yves hatte eine behütete Kindheit, flüchtete sich aber schon früh in die Kunst.

Vor dem Mobbing in der Schule rettete er sich in eine Gegenwelt aus Theater und Kostümen. Später, von einem Einsatz im Algerien-Krieg traumatisiert und durch eine Elektroschocktherapie depressiv und medikamentenabhängig, wurden die Kunst zum heilenden Exil und Figuren wir Andy Warhol zu Komplizen der Einsamkeit.

Keinen soll er dabei so verehrt haben wie Marcel Proust, den Autor von „A la recherche du temps perdu“ (dt. „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“). Über seinem Schreibtisch hingen gerahmte Romanzitate, und mit dem Protagonisten identifizierte er sich so sehr, dass er auf Reisen unter dem Pseudonym M. Swann im Hotel eincheckte. Wie Proust war er davon überzeugt, dass ein Paradies nur eines sein kann, das verloren ist, und wie alle Dandys konnte er sich nicht zwischen dem Festhalten an der Vergangenheit und der Begeisterung für das Neue entscheiden.

Angekommen im Louvre

Die Geschichte von Saint Laurent mutet selbst wie das verlorene Paradies einer Zeit an, in der Mode einen völlig anderen Stellenwert hatte. Noch in den 1980er Jahren schrieb Bernard-Henri Levy nicht ohne Pathos über den Freund und Designer: „Sa vie est une legende. Son nom est un empire.“

Und ja, sein Leben ist tatsächlich legendär, aber das Modeimperium von einst, das ist längst untergegangen. Inzwischen gehört Saint Laurent, neben Gucci und Bottega Veneta zum weltweit drittgrößten Mode- und Luxuskonzern Kering, der Gruppe von Francois-Henri Pinault.

Dass der Louvre jetzt bis Mai seine pompöse Galerie d’Apollon zur Verfügung stellt und zwischen den Resten der französischen Kronjuwelen die mit Gold und Bergkristall bestickten Jacken aus der YSL-Haute-Couture-Kollektion von 1990 zeigt, ist also mehr als passend.

Denn, so gestand Saint Laurent im Katalog zu seiner ersten Ausstellung im Metropolitan Museum in New York: „Kaum hatte ich die Kerzen auf meinem Kuchen zum neunten Geburtstag ausgeblasen, holte ich noch einmal Luft und verriet der versammelten Verwandtschaft: Mein Name soll in feurigen Buchstaben auf den Champs Elysees zu lesen sein.“