Kreml in Moskau
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Ukraine-Krise

Moskau sieht Hauptforderung nicht erfüllt

Die Spannungen zwischen dem Westen und Russland in der Ukraine-Krise gehen weiter. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte am Donnerstag, es gebe im „wichtigsten Punkt“ keine positive Aussage der USA. Welcher Punkt das ist, ließ er offen. Jedoch ist klar, dass Moskau sich den Stopp jeglicher Tendenz einer NATO-Osterweiterung erwartet. Die USA lehnen das ab – wenn auch auf diplomatische Weise.

In seiner Antwort zu der am Mittwoch eingegangenen US-Reaktion auf die russische Forderung nach Sicherheitsgarantien werde die Bewertung aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen, so das Präsidialamt in Moskau. Die bilateralen Kontakte würden zunächst auf Arbeitsebene fortgesetzt, Russlands Präsident Wladimir Putin und sein US-Gegenpart Joe Biden würden dann entscheiden, ob und wann sie persönlich zusammenkämen. Denn immerhin gebe es bei zweitrangigen Fragen Hoffnung, wurde Lawrow weiter zitiert.

US-Botschafter John Sullivan habe „eine schriftliche Antwort der US-Regierung auf den Entwurf eines bilateralen Abkommens über Sicherheitsgarantien überreicht“, hatte das russische Außenministerium zuvor am Mittwoch mitgeteilt. US-Außenminister Antony Blinken sagte in Washington, die US-Regierung habe einen „ernsthaften diplomatischen Pfad“ abgesteckt, um den Ukraine-Konflikt beizulegen. Er erwarte, in den kommenden Tagen mit Lawrow über das entsprechende Papier zu sprechen.

Blinken signalisiert weiterhin Dialogbereitschaft

US-Außenminister Antony Blinken hat bestätigt, dass die US-Regierung der russischen Regierung schriftliche Antworten auf die Sorgen Moskaus um die Sicherheit in Europa zukommen lassen hat. Einem Ende der NATO-Erweiterung erteilte Blinken allerdings eine Absage. Man sei jedoch weiterhin bereit, Russland zuzuhören und diplomatische Gespräche fortzuführen. Blinken erwarte, in den kommenden Tagen mit Außenminister Sergej Lawrow über das Schreiben zu sprechen.

Die USA gaben der Ukraine nach Darstellung Kiews vorab Einblick in ihre Antwort. „Wir haben die schriftliche Antwort der USA gesehen, bevor sie an Russland übergeben wurde“, schrieb der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Donnerstag im Kurznachrichtendienst Twitter. Es habe keine Einwände von ukrainischer Seite gegeben.

„Tür der NATO ist und bleibt offen“

Der US-Tenor ist offensichtlich: Seine Regierung habe „deutlich gemacht, dass es Grundprinzipien gibt, zu deren Aufrechterhaltung und Verteidigung wir verpflichtet sind“, sagte Blinken. Dazu gehörten die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine und das Recht von Staaten, „ihre eigenen Sicherheitsvereinbarungen und Allianzen“ zu wählen. „Die Tür der NATO ist und bleibt offen“, so Blinken, der auch unterstrich, „dass es Kernprinzipien gibt, zu deren Wahrung und Verteidigung wir uns verpflichtet haben.“

Der russische Außenminister Sergej Lawrow.
APA/AFP/Russian Foreign Ministry
Lawrow sieht Hoffnung, wenn auch die russische Hauptforderung seiner Ansicht nach unerfüllt blieb

Russland hatte von den USA und der NATO schriftliche Sicherheitsgarantien verlangt. Dazu gehören der Verzicht auf eine fortgesetzte NATO-Osterweiterung und auf US-Militärstützpunkte in Staaten der ehemaligen sowjetischen Einflusssphäre sowie der Abzug ausländischer Soldatinnen und Soldaten aus allen Ländern, die bis 1997 nicht Teil des Verteidigungsbündnisses waren. Moskau hatte im Dezember Entwürfe für zwei Abkommen vorgelegt.

Auch die NATO-Staaten haben sich auf eine gemeinsame schriftliche Antwort auf Russlands Vorschlag für neue Sicherheitsvereinbarungen verständigt und diese übermittelt. Darin bietet die NATO Russland schriftlich Verhandlungen über eine Verbesserung der Beziehungen an, will allerdings nicht auf Moskaus Forderungen nach einem Stopp der Osterweiterung eingehen.

Slowakei: NATO erwägt Truppenverlegung

Vielmehr erwägt die NATO der Slowakei zufolge die Verlegung von Truppen in das mitteleuropäische Land, das ein Mitgliedsstaat des Bündnisses ist. Eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen, sagte Außenminister Ivan Korcok.

Absage für Ende der NATO-Erweiterung

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat der Forderung Russlands, die NATO-Erweiterung zu beenden, eine klare Absage erteilt. Man sei allerdings bereit, sich die russischen Sorgen anzuhören und darüber ernsthaft zu diskutieren. Die NATO würde als Verteidigungsbündnis keine Konfrontation suchen und die Tür für diplomatische Gespräche stets geöffnet halten. Sollte Russland jedoch mit den militärischen Provokationen fortfahren, werde auch die NATO die Truppenkontingente in Osteuropa erhöhen und wäre bereit zu reagieren.

Die niederländische Regierung arbeitet unterdessen Insidern zufolge an einem Notfallplan zur Gasversorgung, sollte es im Zuge der Ukraine-Russland-Krise zu Engpässen kommen. Die Regierung sei diesbezüglich mit Konzernen in Kontakt, hieß es in Branchenkreisen. Die Niederlande sind stark auf Gas angewiesen. Etwa 15 Prozent des Bedarfs kommen aus Russland, der Rest aus Norwegen. Aus Regierungskreisen verlautete vergangene Woche, die Vorräte reichten für einen normalen Winter. Bei längeren Lieferengpässen würde es aber knapp.

Ende von „Nord Stream 2“?

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock verteidigte indes die Absage der Bundesregierung an eine Lieferung von Waffen in die Ukraine. Das NATO-Mitgliedsland Deutschland stelle sich seiner Verantwortung. Parallel dazu werde mit den Partnern an einem starken Sanktionsbündel gegen Russland im Fall einer Invasion gearbeitet. Klar sei, es liege alles auf dem Tisch – auch die Nichtinbetriebnahme der Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“.

Die US-Regierung bekräftigte ihre Forderung nach einem Aus für „Nord Stream 2“ im Falle eines russischen Einmarschs in die Ukraine. „Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren (…), wird ‚Nord Stream 2‘ nicht weitergeführt“, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, am Donnerstag im Gespräch mit dem Sender CNN. In diesem Fall werde man mit Deutschland zusammenarbeiten, um einen Stopp der Pipeline sicherzustellen.

EU-Parlament entsendet „Fact-Finding-Mission“

Angesichts der russischen Drohkulisse entsendet das EU-Parlament am Sonntag eine Delegation nach Kiew, die sich an Ort und Stelle ein Bild verschaffen und die europäische Solidarität mit dem Land unterstreichen möchte. „Wir wollen mit unserer Mission einen sichtbaren Beitrag dazu leisten, in unsicheren Zeiten deutlich zu machen, dass wir an der Seite der Ukraine stehen“, sagte der deutsche Europaabgeordnete David McAllister (EVP).

Er wird die Delegation gemeinsam mit seiner französischen Kollegin Nathalie Loiseau (Renew Europe) leiten. Über Fraktionsgrenzen hinweg spreche sich die große Mehrheit der Abgeordneten dafür aus, dass die territoriale Integrität der Ukraine nicht verhandelbar sei, so McAllister.

Ukraine derzeit abwartend

Wegen des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine befürchten Kiew und der Westen einen Angriff Moskaus. Der Kreml weist die Vorwürfe zurück und erklärt seinerseits, sich von der Ukraine und der NATO bedroht zu fühlen. Die USA und die NATO verdächtigen Putin wiederum, einen Einmarsch in die benachbarte Ukraine zu planen. Der Kreml weist das zurück.

US-Außenminister Antony Blinken
Reuters
Blinken sah einen „ernsthaften diplomatischen Pfad“ abgesteckt

Der ukrainische Außenminister Kuleba geht aktuell jedoch nicht von einer militärischen Aggression Russlands in den nächsten 14 Tagen aus. Bis zur nächsten internationalen Gesprächsrunde in zwei Wochen werde Russland weiter auf Diplomatie setzen, sagte Kuleba mit Verweis auf die ersten Gespräche von Mittwoch. Er werte den vergangenen Tag als „gute Nachricht“ und als Zeichen für Moskaus Streben nach einer diplomatischen Lösung der Ukraine-Krise. Außerdem begrüße er weitere Gespräche im Normandie-Format.

Jene erste Verhandlungen von Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich im Normandie-Format am Mittwoch in Paris ließen allerdings viele Fragen offen. Russlands Verhandlungsführer Dmitri Kosak sagte, man sei übereingekommen, dass die Feuerpause im Osten der Ukraine eingehalten werden sollte. Insbesondere die Vorschläge der Separatisten in der Ostukraine seien aber unbeantwortet geblieben. In zwei Wochen soll es in Berlin weitere Verhandlungen geben.

Ukrainischer Soldat tötete Kameraden

Inmitten der wachsenden Spannungen schoss ein Nationalgardist in der Ukraine nach Polizeiangaben in einer Raketenfabrik um sich und tötete fünf andere Soldaten. Fünf weitere Menschen seien verletzt worden. Der Vorfall habe sich Donnerstagfrüh in der Fabrik Piwdenmasch in der Stadt Dnipro bei der Ausgabe von Waffen an das Wachpersonal ereignet, teilte die Polizei mit.

Das Motiv und der Hintergrund seien unklar, der Täter sei geflohen. Eine Fahndung sei eingeleitet worden. Geprüft werden solle auch, ob der Soldat unter psychischem Druck gestanden sei, erklärte das Innenministerium.