Werner Kogler und Karl Nehammer
APA/Roland Schlager
Zusatz zu Koalitionsvertrag

ÖVP und Grüne verteidigen Sideletter

Sowohl Grünen-Chef Werner Kogler als auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) haben am Samstag den Sideletter zum Koalitionsvertrag verteidigt, in dem auch Personalentscheidungen detailliert vereinbart wurden. Kogler sagte, eine Vereinbarung sei nötig, damit die ÖVP nicht „alle Positionen besetzt“. Wöginger bezeichnete die Vorgangsweise als „üblich und legitim“. Kritik kam von der Opposition.

Nehammer sagte, entsprechende Festlegungen habe es noch in jeder Regierung der Zweiten Republik gegeben. Das sei „völlig normal“. Er sieht solche Sideletter als Fixierungen, um effizient zusammenarbeiten zu können. Das sei ein System, das es in allen Koalitionen der Zweiten Republik gegeben habe. Der Kanzler kritisierte daher eine „Kultur der Aufgeregtheit“.

Auch die Grünen sehen in einem Sideletter kein Problem. „Wir waren zwar neu in der Regierung, aber nicht naiv. Wenn man verhindern will, dass die türkise ÖVP alle Positionen besetzt, braucht man als kleinerer Koalitionspartner eine Vereinbarung, wie die Vorgangsweise ist“, erklärte Kogler in einer Stellungnahme gegenüber der APA. „Ich habe das ja nie verheimlicht und halte das für wichtig und notwendig. Wir sind ja in Verantwortung gewählt und auch dafür, notwendige Personalentscheidungen zu treffen“, so der Vizekanzler.

Es gehe „ja auch um Kontrolle im Sinne des öffentlichen Eigentümers. Da kann und soll nicht einer alles in der Hand haben.“ Kogler erläuterte die Vereinbarung: Für Bestellungen, die laut Gesetz durch die Regierung erfolgen müssen und ministerratspflichtig sind, gelte abwechselndes Vorschlagsrecht je nach Institution.

Kogler: Prinzip der gegenseitigen Kontrolle

Für die Beteiligungen des Bundes gelte ein Vorschlagsrecht für ein Drittel der Aufsichtsratspositionen für jene Partei, die nicht selbst den zuständigen Minister bzw. die zuständige Ministerin stellt.

Hintergrund für diese Regelung sei das Prinzip der gegenseitigen Kontrolle, so Kogler. Das bedeute, dass für die Beteiligungen, für die der Finanzminister zuständig sei, ein Drittel der Aufsichtsräte von den Grünen vorgeschlagen werde. Umgekehrt gelte für die Beteiligungen in der Zuständigkeit der Klimaministerin, dass ein Drittel der Aufsichtsräte von der ÖVP vorgeschlagen werde. Vereinbarungen über die Besetzung von Vorständen in Aktiengesellschaften gebe es keine, so Kogler.

Sondierungsgespräche der ÖVP mit den Grünen 2019
APA/Georg Hochmuth
Die türkis-grünen Koalitionsverhandlungen, damals noch mit Sebastian Kurz

Wöginger sieht kein Problem

Wöginger sprach in einer Aussendung von einer „gekünstelten Aufregung“, die „völlig realitätsfremd“ sei. Vereinbarungen zwischen Koalitionspartnern seien „eine übliche und legitime Vorgangsweise und für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Regierungsparteien absolut essenziell“, so der ÖVP-Klubobmann.

„Ich habe in meiner politischen Laufbahn an zwei Regierungsverhandlungen teilgenommen, bei beiden war die Erstellung koalitionsinterner Vereinbarungen in Form eines Sideletters eine Selbstverständlichkeit“, sagte Wöginger weiter mit Bezug zu den Koalitionen von ÖVP und FPÖ bzw. ÖVP mit den Grünen. Genauso hätten auch bereits frühere Bundesregierungen derartige Vereinbarungen getroffen.

SPÖ: Zweifelhaftes Politikverständnis

Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch wird damit hingegen „einmal mehr das Selbstverständnis des türkisen Systems deutlich, die geliehene Macht ausschließlich für parteipolitische Zwecke zu missbrauchen“. Besonders deutlich werde dieses zweifelhafte Politikverständnis bei den türkis-blauen Umbauplänen zum ORF. Deutsch forderte dazu in einer Aussendung eine klare Stellungnahme von Nehammer.

SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer hält im Zusammenhang mit den vertraulichen Sidelettern die Bestellung der beiden Vorstände der Finanzmarktaufsicht für „bemerkenswert“. Die Regierungspartner wollten 2023 die beiden FMA Vorstandsjobs „brüderlich teilen, um gleichermaßen Zugriff auf diese wichtige Kontrollbehörde zu haben“. Übersehen dürften Schwarz-Grün dabei haben, dass ein solches Vorgehen gegen das Gesetz sei, so Krainer weiter. „Tatsächlich kann nur einer der beiden Vorstände von der Regierung nominiert werden. Der andere Vorstand der FMA ist von der verfassungsrechtlich unabhängig gestellten Institution der Nationalbank zu nominieren“, so Krainer. „Dieses politische Foul der Bundesregierung wird wohl nicht umgesetzt werden“, so der SPÖ-Finanzsprecher.

NEOS: Völlig ungeniert aufgeteilt

Kritik kommt von NEOS: Die unter Verschluss gehaltenen Nebenabsprachen zwischen ÖVP und FPÖ und ÖVP und den Grünen offenbarten „ganz altes, zutiefst ungustiöses Machtdenken statt eines neuen Stils und das genaue Gegenteil von sauberer und anständiger Politik“, so NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos.

„Die Papiere belegen schwarz auf weiß, dass sich die Regierungsparteien allerhöchste Ämter in wichtigen Institutionen wie dem Verfassungsgerichtshof, in den Staatsbetrieben, in der Nationalbank oder im ORF völlig ungeniert untereinander aufgeteilt haben“, so Hoyos weiter. Es zeige sich, „dass auch die Grünen um nichts besser sind und bei erstbester Gelegenheit gierig zugelangt und ,die Ihren’ schön versorgt haben“. Das sei Postenschacher in Reinkultur. Österreich leide schwer an der Krankheit Korruption.

Koalition verteidigt „Sideletter“

Sowohl Grünen-Chef Werner Kogler als auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) haben am Samstag den Sideletter zum Koalitionsvertrag verteidigt, in dem auch Personalentscheidungen detailliert vereinbart wurden.

Was festgelegt wurde

Mit dem Sideletter vereinbarten ÖVP und Grüne schon beim Abschluss der Koalition vorab heikle Personalfragen. So halten die Koalitionäre unter anderem fest, dass die ÖVP den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes nominieren darf, sofern der Job vakant ist. Beim Vizepräsidenten, so das Papier, wären die Grünen dran. Bereits vollzogen ist die im Sideletter beschriebene Aufteilung am Verfassungsgerichtshof: Christoph Grabenwarter ist dort als Präsident vermerkt, das Nominierungsrecht für den Vizechef lag bei den Grünen.

Festgelegt haben Türkis und Grün auch bereits, dass die ÖVP 2024 den EU-Kommissar auswählen darf, die Grünen dafür bei Rochaden am Europäischen Gerichtshof und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2023 den Vorzug erhalten sollen. Ebenfalls schon vereinbart wurde, dass die ÖVP im Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank den Präsidenten und die Grünen den Vizepräsidenten stellen. Die zwei Vorstände der Finanzmarktaufsicht teilen sich Türkis und Grün auf.

Sideletter auch bei ÖVP-FPÖ-Koalition

Aber nicht nur die jetzige türkis-grüne Regierung, sondern auch die frühere türkis-blaue Koalition hatte eine solche Nebenvereinbarung, in der es auch Personalabsprachen gab. Auch damals ging es unter anderem um wichtige Posten in der Justiz, wie beim Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof. Und auch die ÖBAG und die FMA waren damals schon Teil der Absprachen, ebenso wie der ORF.