Die Mythen und Sagen rund um Polarlichter sind fast so vielfältig wie ihre Erscheinungsformen. Sie reichen von der Vorstellung, es handelt sich um die Geister Verstorbener bis hin zur Annahme, dass Götter so ihre Botschaften mitteilen. Erste Erforschungen der Himmelslichter führten zunächst zu dem Schluss, dass es sich bei den Polarlichtern um Reflexionen handelt.
Ihren Namen bekamen die Lichtspektakel 1621 vom französischen Mathematiker und Astronom Pierre Gassendi: „Aurora borealis“, die nördliche Morgendämmerung. Polarlichter über dem Südpol werden hingegen als „Aurora australis“, also südliche Morgendämmerung, bezeichnet. 1774 entdeckte der französische Astronom und Geophysiker Jean-Jacques d’Ortous de Mairan dann erstmals einen Zusammenhang zwischen Polarlichtern und Sonnenaktivitäten. So wurde nach und nach das Rätsel um die bunten Himmelsdaten entschlüsselt.
Es beginnt mit Sonnenwinden
Die Reise der Polarlichter beginnt knapp 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt: auf der Sonne. Durch Sonnenwinde werden geladene Sonnenpartikel mit hoher Geschwindigkeit in das Weltall geschleudert. Mit bis zu acht Millionen Kilometern pro Stunde treffen die Sonnenpartikel nach ein bis drei Tagen auf die Erde.

Das elektromagnetische Feld, das sich rund um die Erde erstreckt, schützt den Planeten zunächst vor der Bombardierung mit Sonnenpartikeln. Treffen die Teilchen nach ihrer langen Reise auf die Erde, werden sie vom Magnetfeld abgeleitet. Doch es kann passieren, dass sich manche Partikel entlang des Magnetfelds in Richtung der geomagnetischen Pole bewegen. Dabei gelangen einige Teilchen in die Erdatmosphäre, wo das Spektakel beginnt.

Sobald die Sonnenpartikel in der Erdatmosphäre mit Sauerstoffatomen oder Stickstoffmolekülen kollidieren, stoßen diese Licht aus. Im Bereich der Aurora-Zone rund um den geomagnetischen Nord- und Südpol treten dann Polarlichter auf. Je nach Intensität des Sonnenwindes ist die Zone manchmal breiter, weshalb dann auch in sonst eher untypischen Breitengraden Polarlichter zu sehen sein können.
Daten in vielen Farben und Formen
Das Himmelsschauspiel kann in vielen verschiedenen Farben und Formen auftreten. Jede Farbkombination und Form gibt Aufschluss über das Weltallwetter, das elektromagnetische Feld der Erde und dessen Verbindung mit den Sonnenpartikeln. Gewissermaßen sind Polarlichter dadurch eine Art natürliche Datenvisualisierung.
Die häufigste Farbe der Polarlichter ist ein helles Grün. Es entsteht ungefähr im Bereich von 100 bis 200 Kilometern Höhe, wenn Sonnenpartikel mit Sauerstoffatomen kollidieren. Höher – bei 200 bis 300 Kilometern Höhe – führt diese Kombination zu roten Polarlichtern. Dabei kann es auch zu Überlappungen zwischen den Farbstufen kommen, sodass Mischfarben entstehen.
Kollidieren Sonnenpartikel mit Stickstoffmolekülen, dann entstehen unter 100 Kilometern Höhe rosa-violette Lichter, während in über 300 Kilometern Höhe blaue beziehungsweise dunkelviolette Polarlichter den Himmel schmücken.
Auch die Formen der Polarlichter sind vielfältig – je nach Höhe. Während niedrige Polarlichter häufig in Form von Bändern oder Bögen auftreten, können es in höheren Lagen auch Vorhänge und Strahlen sein. Steht eine Person direkt unter sehr aktiven und hohen Polarlichtern, können diese eine Korona – also eine Art Kranz – formen.

Ausschlaggebend für die Helligkeit, Geschwindigkeit und Farbenvielfalt der Polarlichter sind die Sonnenaktivität sowie die damit verbundenen geomagnetischen Aktivitäten. Diese werden mit dem Kp-Index gemessen, der die durch Sonnenstürme ausgelöste magnetische Aktivität beschreibt. Je höher der Kp-Index ist, desto breiter wird auch die Aurora-Zone.
Den Lichtern auf der Spur
„Grob kann man sagen, dass ab Kp sieben auch in Österreich die Möglichkeit besteht, ein Polarlicht zu sehen“, so Roman Leonhardt, Leiter des Conrad Observatoriums der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Aber auch die Wetter- und Lichtbedingungen müssen stimmen.
„Wichtig sind natürlich eine klare und dunkle Nacht“, so Leonhardt zu ORF.at. Denn: Die Polarlichter sind höher gelegen als eine etwaige Wolkendecke. „Und in Großstädten mit ihrer Lichtstörung sind Polarlichtbeobachtungen sehr schwierig sind.“ Zudem sind vor allem schwache Polarlichter oft mit freiem Auge gar nicht oder nur sehr schwer zu erkennen. Erst der Blick durch die Kameralinse offenbart das volle Ausmaß des Himmelsschauspiels.

Wer die Polarlichter in Österreich zu Gesicht bekommen möchte, braucht außer den richtigen Wetter- und Lichtbedingungen außerdem eine freie Sicht Richtung Norden. Der Horizont muss flach sein, Berge oder große Hügel könnten das Lichtspektakel sonst verdecken. Unter diesen Voraussetzungen ist es prinzipiell überall in Österreich möglich, Nordlichter zu sehen.
Grundsätzlich folgt die Häufigkeit und Intensität von Polarlichtern ungefähr einem Muster von elf Jahren. Genauso lange dauert der Sonnenfleckenzyklus – also jener Zyklus, den das Magnetfeld der Sonne durchläuft. Erreicht der Zyklus sein Maximum, kommt es häufiger zu Sonnenwinden oder Sonneneruptionen, auch die geomagnetische Aktivität steigt.
Außergewöhnlich schwache Sonnenaktivität
Doch Sonnenstürme haben neben dem Auftreten der Polarlichter auch unerfreulichere Auswirkungen. Nach sehr heftigen Sonneneruptionen kann es etwa zu Stromausfällen, Störungen der Satellitennavigation oder der Kommunikationsnetze kommen. Würde die Erde durch das umliegende Magnetfeld nicht geschützt werden, wären die Folgen durchaus verheerend.
Zuletzt waren im Jahr 2003 nach einem starken Sonnenfleckenzyklus besonders viele Polarlichter zu sehen. Die Himmelsspektakel reichten sogar bis nach Österreich. „Der unmittelbar zurückliegende Sonnenfleckenzyklus von 2008 bis 2019 war der schwächste seit gut 100 Jahren, was dazu führte, dass tatsächlich kaum Polarlichter in Österreich aufgetreten sind“, so der Meteorologe und Geophysiker Andreas Pfoser gegenüber ORF.at.
Ein Zusammenhang der vergleichsweise niedrigen Polarlichtaktivität und dem Klimawandel kann nach derzeitigem Stand ausgeschlossen werden. Während der Klimawandel die untere Atmosphäre betrifft, sind Polarlichter eine Erscheinung der hohen Atmosphäre. „Nach aktuellem Wissensstand gibt es bislang keine Evidenzen, welche den Schluss zulassen, dass die derzeitigen markanten Veränderungen der unteren Atmosphäre auch einen Einfluss auf die hohe Atmosphäre haben“, erklärt Pfoser.
Hoffnung auf stürmische Zeiten
Wann auch in Österreich wieder vermehrt mit Polarlichtern zu rechnen ist, lässt sich allerdings schwer im Detail voraussagen. Laut Prognosen der amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde (NOAA) wird das nächste Sonnenfleckenmaximum 2025 ungefähr das gleiche Niveau erreichen wie das letzte Maximum 2014.
Aber: „Das Sonnenfleckenminimum vom Dezember 2019 liegt nun bereits zwei Jahre zurück, es geht also aufwärts“, so Pfoser. Im Prinzip könne schon in den nächsten Jahren mit vermehrter Polarlichteraktivität gerechnet werden. „Die aktuelle Entwicklung gibt zumindest Hoffnung, dass sich der bevorstehende Aktivitätsanstieg durchaus auch etwas besser präsentieren könnte als vorhergesagt.“
Trotz all der Prognosen und versteckten Informationen hinter den Himmelsdaten sind Polarlichtbeobachtungen einmalige Erlebnisse – selbst für erfahrene Wissenschaftler wie Pfoser: „Selbst wenn ich mir bei der Beobachtung eines Polarlichts natürlich immer wieder vorzustellen versuche, welche Vorgänge sich jetzt genau über uns abspielen, drifte ich dann trotzdem oft ab in die atemberaubende Bewunderung dieses Schauspiels.“