Gigi Hadid bei einer Hugo Boss Modeschau
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Baba, fader Anzug

Hugo Boss will hip sein

Hugo Boss, berühmt für Anzüge, historisch belastet wegen seiner Nazi-Uniformen, will einen radikalen Imagewechsel vollziehen. Die deutsche Marke hat kein Interesse mehr, mit urbanen Bürohockern in Verbindung gebracht zu werden und schon gar nicht mit ihrer NS-Vergangenheit. Auf dem Plan stehen stattdessen Fitness und College-Look.

Was eine lange Geschichte hat, gilt es zunächst einmal anzubohren, bevor es aufbrechen kann. Den ersten Versuch startete die deutsche Marke bereits letzten Herbst bei der Mailänder Fashion Week. In einem typisch US-amerikanisch inszenierten Baseball-Spektakel – inklusive Blaskapelle und Cheerleader – eröffnete Supermodel Gigi Hadid die Show, in der die Zusammenarbeit von Hugo Boss mit der Activewear-Marke Russell Athletic vorgestellt wurde. Außerdem schnappte sich das Modelabel unter anderem den K-Pop-Star Big Matthew als Model.

Präsentiert wurden Activewear in Orange kombiniert mit Erdtönen, Hoodies, Bomberjacken im 90ies-Look, sportliche Hauben, karierte Hosen und beige Trenchcoats. Für jeden und jede, der bzw. die mit dem üblich glatten Wall-Street-Angebot von Hugo Boss vertraut ist, war das ein wenig unerwartet. Doch es war, wie sich herausstellte, nur die erste Etappe eines großen Rebrandings, das das Unternehmen nun Ende Jänner mit einer Werbekampagne und einem komplett neuen Look ergänzte.

Hugo Boss Modeschau
HUGO BOSS AG
Eine Fashion-Show, wie man sie von Hugo Boss nicht erwartet hätte, überraschte in Mailand im Herbst 2021

Wer trägt in der Pandemie noch Anzug?

Somit wurde das alte blockige Logo durch eine neue Typografie ersetzt. Designtechnisch wird außerdem mit wiederverwendeten Materialien experimentiert. Demnächst soll es Anzüge geben, die komplett aus recycelten Wasserflaschen bestehen, denn so ganz kann man die Traditionsmontur doch nicht lassen. Effektvolle Sujets zeigen das Model Hailey Bieber, den Rapper Future, weitere K-Pop-Stars und TikTok-Sternchen wie Khaby Lame. Apropos TikTok: Zu Ehren des Rebrandings sponsert die Marke eine Tanzchallenge auf der Social-Media-Plattform.

Hugo Boss versucht, sich als hip zu präsentieren – hip für die Generation Z. Daniel Grieder, der letztes Jahr zum Chef von Hugo Boss ernannt wurde, will das Image seines Modekonzerns „entstauben“, wie er zur „New York Times“ („NYT“) sagte. Dafür wurden sogar Jugendliche als Beraterinnen und Berater angeheuert. Selbst in einer Branche, in der Veränderung eine Selbstverständlichkeit ist und Marken fast jedes Jahr neu erfunden werden, ist der Versuch dieser Kehrtwende dennoch extrem.

Es ist nicht schwierig zu verstehen, warum. Mit seiner Verlässlichkeit in der Ankleidung weißer, erfolgreicher Männer konnte Hugo Boss lange punkten, doch irgendwann wurde die Marke genau dafür abgestempelt. Auch die Aktienkurse von Hugo Boss sind seit Juni 2018 gefallen. Laut dem jüngsten Jahresbericht für 2020 verzeichnete das Unternehmen zu Beginn der Pandemie einen Umsatzrückgang von 33 Prozent. Denn wer trägt in Zeiten von Lockdowns noch Anzug?

„Nachweislich vom Nationalsozialismus profitiert“

Es ist nicht das erste Mal, dass Hugo Boss mit einer Image-Rehabilitation zu kämpfen hat: Der namensgebende Gründer stellte vor und während des Zweiten Weltkriegs Uniformen für SS, SA, Hitlerjugend und Wehrmacht her, wofür sich das Unternehmen vor Jahren öffentlich entschuldigt hatte. An der Aufdeckung war die Presse beteiligt, es folgte eine Sammelklage in den USA.

Hugo-Boss-Anzüge in Geschäft
Reuters/Valentyn Ogirenko
Hugo Boss will sein „verstaubtes“ Image loswerden

Der Konzern selbst gab schließlich wenig später eine Studie über das Thema in Auftrag, die fertiggestellt, dann aber unter Verschluss gehalten wurde. Über die Jahre hinweg drohte die Nazi-Causa das Image von Hugo Boss nachhaltig zu schädigen. Deshalb wurde eine zweite Studie 2012 veröffentlicht, verfasst vom Münchner Historiker Roman Köster: „Das 1924 gegründete Unternehmen hat Uniformen für Wehrmacht, SS und Hitlerjugend geschneidert und ökonomisch nachweislich vom Nationalsozialismus profitiert“, fasste er zusammen.

Der Unternehmensgründer sei bereits 1931 Mitglied der NSDAP gewesen, also zwei Jahre vor Hitlers Machtergreifung. 140 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter sowie 40 französische Kriegsgefangene hätten Nazi-Uniformen schneidern müssen. Nach dem Krieg musste Hugo Boss eine Strafe von 100.000 Reichsmark bezahlen – diese Strafe wurde jedoch später aufgehoben. Boss starb 1948.

Einmal „Hugo“, einmal „Boss“

Das Unternehmen erzeugte dann Mitte der 50er Jahre erstmals Herrenanzüge, ein Fokus, der weitgehend beibehalten wurde. Grieders aktuelle Vision für Hugo Boss begann mit der Schaffung von zwei verschiedenen Linien, die sich an unterschiedliche Zielgruppen richten. „Hugo“ ist eine neue, an Streetwear angelehnte Option für Kundinnen und Kunden der Generation Z, die mit Fischerhüten, locker sitzenden Jeans und logolastigen Accessoires ausgestattet ist.

„Boss“ ist eine Linie mit minimalistischen, lässig-eleganten Looks, die sich an Millennials richtet und erdfarbene Kapuzenpullis, voluminöse Mäntel und maßgeschneiderte Chinos umfasst. Obwohl das gegen den aktuellen Trend zur Markenkonsolidierung geht, wie er etwa von Burberry und Zegna vertreten wird, meint Grieder, dass die Differenzierung Hugo Boss helfen würde, sich von der Masse abzuheben. „Der Boss-Hoodie war nahezu ausverkauft und wurde zum meistverkauften Einzelmodell in der Geschichte des Unternehmens“, vermeldete der Modekonzern am Montag gar in einer Aussendung.

Karriereleiter und Gipfelkreuz

Wer jetzt enttäuscht ist und trotzdem noch den klassischen Hugo-Boss-Anzug tragen möchte, den will der Geschäftsführer beruhigen, denn es gibt immer noch einige bekannte Hugo-Boss-Elemente nach dem Rebranding: den typisch europäischen Stil etwa sowie weite Button-Downs. Auch zu einer Mischung aus sportlich und schick lässt man sich hinreißen: Ultraatmungsaktive Hugo-Boss-Anzüge.

Der „Anzug von morgen“, so Grieder zur „NYT“, könnte außerdem die Zukunft des Labels sein. Er sei bequem genug, „um darin einen Berg zu besteigen“. Ob „Hugo“ oder „Boss“, ob Karriereleiter oder Gipfelkreuz – so recht scheint man sich jedenfalls nicht in ein Schema pressen zu wollen.