Regierungsmitglieder beim Ministerrat
ORF.at/Roland Winkler
Sideletter

„U-Ausschuss wirft Schatten voraus“

Seit am Wochenende der Sideletter zum Koalitionsvertrag zwischen ÖVP und Grünen bekanntgeworden ist, sind Letztere im Verteidigungsmodus. Warum ihr Image angekratzt ist, erklärt der Politologe Thomas Hofer im ORF.at-Interview. Für ihn ist der Sideletter „der Schatten, den der neue U-Ausschuss vorauswirft“.

Der Sideletter sei eine Belastung für das Image der Grünen und wohl auch persönlich für deren Bundessprecher Werner Kogler, weil die Partei ein Saubermannimage pflege und mantraartig Transparenz vor sich her trage, so Hofer. Zwar habe es immer inhaltliche Nebenvereinbarungen gegeben, die nicht im Koalitionsvertrag stehen, heikel für das grüne Image sei aber, dass „Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen“.

Besonders die inhaltlichen Aspekte würden den Eindruck erwecken, das Zulässige überschritten zu haben. Gemeint ist das Kopftuchverbot für Lehrerinnen, das die Parteispitze damit verteidigt, es eigentlich aus dem Koalitionsvertrag herausverhandelt zu haben. Und auch Hacklerregelung sei auf Wunsch der ÖVP in der Nebenabsprache versteckt worden. So habe man die Regierung zwar gerettet, es bleibe aber ein Imageproblem.

Hinterzimmerpolitik und Postenschacher

In nicht öffentlichen Sideletters zum Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien unter anderem ausgemacht, wer welche Posten besetzen darf. Dass etwa die ÖVP den ÖBAG-Chef und den ORF-Generaldirektor für sich beansprucht, ist gegen das Aktien- und das ORF-Gesetz. Wozu also Gesetze, wenn sich die Parteien nicht daran halten und – verborgen von der Öffentlichkeit – in Hinterzimmern um Posten schachern und geheime Absprachen treffen?

Parteiinterner Ärger bei den Grünen

Denn wären die beiden Themen im Koalitionsvertrag gestanden, hätte im Bundeskongress, der bei den Grünen die Koalition absegnet, darüber diskutiert werden müssen. Dass der Bundeskongress über Punkte abstimmte, die bewusst verheimlicht wurden, könne für innerparteilichen Ärger sorgen und die Partei in eine schwierige Situation bringen. Für Hofer zeichnet Kogler bisher aber aus, dass er die Grünen in Krisensituationen disziplinierte – im Gegensatz etwa zu 2017, als sich die Liste JETZT von Peter Pilz abspaltete.

Als „irritierend“ bezeichnet etwa die damalige Mitverhandlerin und Ex-Wiener-Grünen-Chefin, Birgit Hebein, auf Twitter, „dass inhaltliche Positionen über den Sideletter ausverhandelt und weder TeilnehmerInnen des Verhandlungsteams noch den Delegierten des Bundeskongresses vorgelegt wurden“. Der frühere Grünen-Klubchef Albert Steinhauser äußerte sich ähnlich. Das Verschweigen inhaltlicher Vereinbarungen sei schwerwiegend und ein Kulturbruch, wenn auch bei anderen Parteien üblich. „Schade, es wäre schön gewesen, wenn eine andere Politik auch praktisch möglich gewesen wäre“, sagte er via Social Media.

Anders der langjährige Vorarlberger Grünen-Chef Johannes Rauch, der den Koalitionsvertrag mit der ÖVP mitverhandelt hatte: „Ja natürlich habe ich davon gewusst, ich war ja Teil des Verhandlungsteams. Mich erstaunt die Aufgeregtheit, die jetzt ausgebrochen ist.“ Sideletter habe es immer gegeben und werde es immer geben. „Das ist Teil des politischen Geschäfts.“ Es sei ein Herstellen von Augenhöhe zwischen zwei ungleich großen Koalitionspartnern. Gäbe es den Sideletter nicht, würden nur ÖVP-Männer auf einflussreichen Positionen sitzen.

„Nervenkostüm auf beiden Seiten angegriffen“

Rauch vermutet, dass das engste Umfeld von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) den Sideletter an die Öffentlichkeit gespielt habe, um vom U-Ausschuss abzulenken. Beweise dafür blieb Rauch jedoch schuldig. Laut Hofer positionieren sich nun politisch-strategisch unterschiedliche Akteure hinsichtlich U-Ausschuss und versuchen, vorab in gewisse Richtung Stimmung zu machen. „Das sind Schatten, die der U-Ausschuss vorauswirft.“ Und das werde sich noch intensivieren und für weitere Verunsicherung in der Koalition sorgen.

„Die emotionale Basis in der Koalition ist beschädigt“, sagt Hofer. Schon beim letzten U-Ausschuss und dem Karriereende von Kurz hätten die Grünen den Ärger der ÖVP auf sich gezogen. Ob es nun mit dem Sideletter zum Koalitionsbruch reicht, kann Hofer zwar nicht beantworten, hält es aber für unwahrscheinlich, denn beide Parteien wüssten, dass sie sich derzeit eigentlich keine Neuwahlen leisten können. „Das Nervenkostüm ist auf beiden Seiten aber angegriffen.“ Und die Belastung könne sich in Richtung neuen U-Ausschuss noch auswachsen. Der Sideletter sei ein Vorbote, was dort noch zutage gefördert wird.

„Nachrichten aus Eingeweiden der Innenpolitik“

Kein gutes Bild gebe die Koalition mit dem Sideletter in der Öffentlichkeit ab, sagt Hofer. Der Vertrauensverlust sei relativ groß. Neben der Coronavirus-Pandemie und der Verteuerung kämen nun „Nachrichten aus den Eingeweiden der Innenpolitik noch obendrauf“. Der Eindruck von Hinterzimmerdeals, die man der Öffentlichkeit nicht zumuten will, schlage umso stärker auf, wenn er in einer Zeit passiert, in der es dominierende Verunsicherungen gibt. Da gebe es eine Art Verdoppelungseffekt.

Die Grünen werden laut Hofer versuchen, die Krise einzudämmen. „Dabei geht es auch um emotionales Management.“ Bilderbuchmäßig vorexerziert habe das im Übrigen die FPÖ, so der Politologe, die aus dem „Ibiza“-Skandal einen Skandal aller gemacht habe. Interessant ist, dass der türkis-grüne Sideletter, der nun für Wirbel sorgt, geleakt wurde, bevor „profil“ und ORF den türkis-blauen Sideletter von 2017 veröffentlichten.

Filzmaier: „Viele unpopuläre Fragen“

Aus den Sideletters würden sich „viele unpopuläre Fragen“ ergeben, sagte der Politologe Peter Filzmaier in der ZIB2 am Montagabend. „Wenn alles so normal und notwendig war, warum hat man es nicht korrekt in einem Unterkapitel Personalangelegenheiten einfach ins Koalitionsprogramm geschrieben? Oder gab es auch andere Posten – Stichwort ORF –, wo das die Regierung genau gar nichts angeht, wer da was wird, wo nur eine informelle Beeinflussung stattfindet“, so Filzmaier.

Auch stellte der Politologe in den Raum, ob man Ausschreibungsverfahren mit den Geheimabsprachen „nicht zur pseudodemokratischen Lachnummer“ mache. „Warum gibt es Kuhhändel mit inhaltlichen Zusammenhängen, die man nicht begründen kann: also dem Vorsitzposten im ORF-Aufsichtsratsgremium Stiftungsrat gegen ein Kopftuchverbot von Lehrerinnen.“

Politologe Filzmaier zu Geheimabsprachen in Koalitionen

Sind geheime Nebenabsprachen zwischen Regierungspartnern wirklich normal und hat es sie schon immer gegeben, wie ÖVP und Grüne sagen? Dazu eine Analyse von Politikwissenschaftler Peter Filzmaier im ZIB2-Gespräch mit Armin Wolf.

Auf die Frage, warum Vereinbarungen inhaltlicher Natur nicht im Koalitionsabkommen festgeschrieben werden, meinte Filzmaier, dass „man offenbar eine kritische öffentliche Diskussion zumindest möglichst lange aufschieben wollte und natürlich auch weil man es mit der innerparteilichen Demokratie nicht so genau genommen hat, denn jeder Koalitionspakt bedarf ja der Zustimmung von Parteigremien“. Ob es diese bei der ÖVP oder FPÖ gegeben habe, sei noch unklar, so Filzmaier. „Bei den Grünen ist es aber besonders bemerkenswert“, denn die würden sich „innerparteiliche Demokratie und Transparenz“ ja an die Fahnen heften.

Opposition mit scharfer Kritik

Scharfe Kritik kam am Montag von der Opposition. „Die ÖVP steckt bis zum Hals im Korruptionssumpf, die Grünen haben durch ihre Täuschungsmanöver und Geheimabsprachen jegliche Glaubwürdigkeit verloren“, sagte etwa SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. Für ihn war klar, dass „die türkis-grüne Koalition nach all den Skandalen, den Schachereien und dem ewigen Streit keine Zukunft hat“.

Als „skandalös“ bezeichnet der Vorsitzende der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE), Rainer Wimmer, die Vereinbarung zum Aus der abschlagsfreien Hacklerregelung. „Die Grünen haben hart und lang arbeitende Menschen für eine Handvoll Posten verkauft. Die Grünen, die sich Transparenz und Anstand auf die Fahnen heften, haben damit jede Glaubwürdigkeit verspielt“, erklärte er.

FPÖ-Chef Herbert Kickl sah die Grünen in Geiselhaft ihres früheren Bundesparteisekretärs Lothar Lockl. Als Wahlkampfleiter von Alexander Van der Bellen (und als dessen externer Berater seit dem Amtsantritt als Bundespräsident) stehe Lockl nun im Mittelpunkt der geheimen Nebenabsprachen zwischen Grünen und ÖVP. Für Kickl muss das dringend hinterfragt und beleuchtet werden.

Auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) meldete sich zu Wort. „Nein, ich kannte diesen Sideletter nicht“, sagte sie am Rande einer Pressekonferenz. Derartige Vereinbarungen seien aber weder unüblich noch verwerflich. Für den Dachverband der Verwaltungsrichter wiederum sind die „parteipolitischen Absprachen“ über die Besetzung von Leitungsfunktionen in der Gerichtsbarkeit „jedenfalls dazu angetan“, das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte zu erschüttern.

Wallner plädiert für Ende von Personalabsprachen

Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) plädierte in der Debatte hingegen für ein Ende von politischen Personalabsprachen. „So im Detail anhand von Namen und Daten festzuhalten, was wann besetzt wird, ist aus meiner Sicht eindeutig ein Schritt zu viel, und es wäre anzuraten, von diesen Dingen Abstand zu nehmen“, sagte er am Montag im Gespräch mit den „Vorarlberger Nachrichten“.