Das Firmenschild von Rio Tinto auf dem Bürogebäude in Perth (Australien)
Reuters/David Gray
Mobbing und Übergriffe

Skandalbericht erschüttert Bergbauriesen

Der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto hat ein großes Problem mit seiner Unternehmenskultur – nun auch offiziell und durch einen Untersuchungsbericht bestätigt. Darin ist die Rede von Schikanen gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als „System“, ebenso von Mobbing, Rassismus, Belästigung und sexuellem Missbrauch, alles zugedeckt von einer „Kultur des Schweigens“.

Die Vorwürfe, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erheben, haben es in sich – derart, dass die Titelseite des Berichts mit einem Warnhinweis auf möglicherweise verstörende Inhalte versehen ist. Das Papier wurde am Dienstag auf der Website von Rio Tinto veröffentlicht. Inhalt sind die Ergebnisse einer fünf Jahre dauernden Untersuchung der Unternehmenskultur des weltweit tätigen Bergbauriesen. Dafür wurden 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragt.

Im Kern kommt der „Report into Workplace Culture at Rio Tinto“ betitelte Bericht zu dem Schluss, dass in dem Unternehmen Mobbing, Diskriminierung, Rassismus und sexuelle Übergriffe in einem bisher ungeahnten Ausmaß an der Tagesordnung seien. Die Rede ist auch von „systematischen“ Schikanen. Die Konzernführung spricht laut internationalen Medienberichten von einem im höchsten Maß „verstörenden“ Bild und will rasch Konsequenzen ziehen.

Schwere Vorwürfe

In der Untersuchung, geleitet von Elizabeth Broderick, langjährige Leiterin der australischen Antidiskriminierungskommission (Sex Discrimination Commissioner) und UNO-Sonderberichterstatterin, gaben 30 Prozent der befragten Frauen und sieben Prozent der Männer an, schon einmal Opfer sexueller Belästigung geworden zu sein. 21 Frauen berichteten von sexuellen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen, hob am Dienstag die „Financial Times“ aus dem Bericht hervor.

Diamantenmine Rio Tinto in Australien
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Rio Tinto ist mit über 45.000 Beschäftigten einer der Top-Drei-Bergbaukonzerne weltweit

Schikanen und Rassismus

Fast die Hälfte der Befragten haben nach eigenen Worten Schikanen auf dem Arbeitsplatz erlebt, 40 Prozent der Männer und 32 Prozent der Frauen mit melanesischer oder Aborigines-Abstammung erhoben Rassismusvorwürfe – soweit die verstörenden Zahlen. Die britische Wirtschaftszeitung zitierte den Vorstandsvorsitzenden des Konzerns, Jakob Stausholm, mit den Worten, er schäme sich und bedaure die bekanntgewordenen Vorwürfe zutiefst.

Die australische Tageszeitung „The Age“ nannte die Vorwürfe „alarmierend“ – auch deshalb, weil sie sich quer durch das Unternehmen zogen, vom Büro bis in die entlegensten Bergwerke. Besonders verstörend sei, dass Fehlverhalten offenbar lange nicht nur toleriert wurde – mitunter helfe es sogar dabei, in der Unternehmenshierarchie aufzusteigen. Eine „Kultur des Schweigens“ verhindere, dass Fehlgriffe publik würden.

Betroffene berichten: Das ganze Spektrum

Der Bericht widmet sich auf 85 Seiten systematisch unterschiedlichen Kategorien von Fehlverhalten, Schikanen und Mobbing, Sexismus, Rassismus, Diskriminierung. Dabei kommen die Betroffenen jeweils auch direkt zu Wort („In their own words“, „In eigenen Worten“).

Zentrale des Rio-Tinto-Konzerns in London
picturedesk.com/Visum/Stefan Kiefer
In der Unternehmenszentrale von Rio Tinto in London wird der Bericht noch länger Thema sein

Das Spektrum reicht von abwertenden rassistischen Bemerkungen („sollen den Regentanz aufführen“) über, wie es heißt, in „Witze“ verpackte Belästigungen von Frauen bis hin zu sexuellen Übergriffen und physischer Gewalt.

„Systemische“ Probleme

Vorstandschef Stausholm erklärte gegenüber der „Financial Times“, er sei überrascht von den Ergebnissen des Berichts, insbesondere dem hohen Ausmaß an Mobbing. Es gehe nicht um vereinzelte Vorfälle, sondern das Problem betreffe Standorte rund um die Welt, „von Südafrika bis zur Mongolei“. Die Unternehmensführung entschuldigte sich via Twitter und versprach nachhaltige Veränderungen.

Mobbing, Belästigung und Rassismus seien „systemische“ Probleme, sagte Stausholm der Zeitung. Rio Tinto hatte bereits vor dem Broderick-Bericht ein internes Reporting-System eingeführt, da Mitarbeiter oft kein Vertrauen in ihre Vorgesetzten gehabt und Fehlverhalten daher nicht gemeldet hätten bzw. hätten sie berufliche Nachteile befürchtet. Broderick hob in einem Statement, das die „Financial Times“ zitierte, positiv hervor, dass sich der Konzern aktiv dem Problem gestellt habe.

Nicht nur Rio Tinto

Rio Tinto ist nicht etwa der erste Bergbaukonzern, der sich dem Thema problematische Unternehmenskultur stellen muss, laut „Financial Times“ ist er sogar der letzte unter den Großen der Branche. Im letzten Jahr hatte die australisch-britische BHP Group – vormals BHP Billiton und gemeinsam mit Vale und Rio Tinto aus Brasilien eine der Top Drei weltweit – Dutzende Mitarbeiter wegen Fehlverhaltens entlassen.

Seit 2019 hätten 48 Personen wegen Belästigungen und sexueller Übergriffe gehen müssen, hieß es im letzten August. Die meisten Vorfälle dieser Art hätten sich in entlegenen Camps in Australien zugetragen. Insgesamt habe es binnen zwei Jahren 18 Berichte über sexuelle Übergriffe und 73 über sexuelle Belästigung gegeben. Alle seien an die Polizei weitergeleitet worden. Gerichtsverfahren gaben dann den Anlass für interne Untersuchungen.

Letzter Skandal: Heilige Stätte der Aborigines zerstört

Rio Tinto hatte die letzten großen Negativschlagzeilen im Herbst 2020 gemacht. Anlass war damals die Zerstörung einer 46.000 Jahre alten heiligen Stätte der Aborigines, der indigenen Einwohner des Kontinents. Es handelte sich um ein Gräberfeld in der Juukan-Schlucht. Die Kultstätte wurde durch Sprengungen für den Abbau von Eisenerz zerstört.

Höhlen der Aborigines
APA/AFP/PKKP Aboriginal Corporation
Die Juukan-Schlucht im Mai 2020: Ein Zehntausende Jahre altes heiliges Gräberfeld wurde zerstört

Es folgte ein Aufschrei nicht nur unter den Aborigines. Der damalige Vorstandschef Jean-Sebastien Jacques und weitere Spitzenmanager mussten ihre Sessel räumen. Das Unternehmen beschäftigt weltweit über 45.000 Menschen und ist der größte Hersteller von Aluminium, der Börsenwert lag zum Jahresende bei knapp 100 Mrd. Dollar (fast 90 Mrd. Euro).