Ausschnitt aus der neuen Schausammlung „Hot Questions – Cold Storage“ des Architekturzentrum Wien.
Architekturzentrum Wien/Lisa Rastl
Neue AzW-Schau

Architektur trifft Zeitdiagnose

Nach 17 Jahren durchforstet das Architekturzentrum Wien (AzW) seine ständig wachsende Sammlung und eröffnet eine neue Dauerausstellung. Anhand von sieben aktuellen Leitfragen macht „Cold Storage – Hot Questions“ deutlich, dass ein weit gefasster Architekturbegriff zum Frageinstrument für Sozial- und Zeitgeschichte genauso taugt wie für Geschlechtergerechtigkeit und Klimawandel.

Das AzW, das stellt Direktorin Angelika Fitz klar, „zeigt großartige Architektur“. Allerdings sei der Architekturbegriff „multiperspektivisch“ und schließe Sozialgeschichte, Politik und Wirtschaft ganz selbstverständlich ein. „Kulturgeschichte im weitesten Sinn“ nennt Fitz, die dem Haus seit 2017 vorsteht, ihren Ansatz.

Die Hauptdarstellerinnen der nach diesen Leitlinien entstandenen neuen Dauerausstellung „Cold Storage – Hot Questions“ sind keine Stile, Epochen und herausragende Architektinnen und Architekten mehr, sondern 400 Objekte, die aus dem Depot des AzW stammen, das ständig wächst. Obwohl bei der Gründung 1993 keine Sammlung vorgesehen war, betreibe man seit 2008 eine „proaktive Sammlungsstrategie“, wie Kuratorin Monika Platzer sagt.

Die Bestände des AzW sind mit ihren über 100 Vor- und Nachlässen zur umfassendsten Sammlung zur österreichischen Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts angewachsen und auch international bedeutend. Kein Wunder, dass das Zentrum sich gerne als offizielles österreichisches Architekturmuseum sehen würde, allerdings gibt es für ein solches aktuell keine budgetären und rechtlichen Grundlagen.

Ausschnitt aus der neuen Schausammlung „Hot Questions – Cold Storage“ des Architekturzentrum Wien.
Architekturzentrum Wien
Die Hauptdarsteller der neuen Schausammlung sind die Objekte, die im Möllersdorfer Depot lagern – und das Depot selbst

Beziehungen zwischen Objekten

In „Hot Questions – Cold Storage“ wird das Depot im niederösterreichischen Möllersdorf vor den Vorhang und per Videoinstallation in das Zentrum der Ausstellung geholt. Ein Depot ist eben nicht nur ein optimal gekühlter Lagerort: Vielmehr ist es die Grundlage, an die „brennende Fragen“ herangetragen werden können – ohne diese bliebe es als bloße Ansammlung von Objekten stumm oder eben „kalt“.

Ausstellungshinweis

Die neue Schausammlung „Hot Questions – Cold Storage“ im Architekturzentrum Wien ist ab 3. Februar 2022 täglich von 10.00 bis 19.00 geöffnet.

Konfrontiert mit Fragestellungen der Gegenwart, so der Ansatz der Ausstellungsmacherinnen, kann die Sammlung ihre gesellschaftliche Relevanz entfalten. Dabei sind die Ergebnisse als vorläufig zu verstehen und zielen keineswegs auf Vollständigkeit ab, vielmehr führen Fitz und Platzer in der Ausstellung selbst vor, wie sie auf die Sammlung zugreifen.

„Architekturprojekte hinterlassen verschiedene Spuren: Fotos, Filme, Modelle, Zeichnungen, Pläne. Die Exponate sind auch kleine Wunschmaschinen.“ Mit diesen wollen Architektinnen und Architekten die Bauträger überzeugen, so die Direktorin. Spannend werde es, wenn man diese Spuren zueinander in Beziehung setzt: „Wie geht man mit denen um, was wählt man aus, was passiert, wenn man sie zueinander stellt? Das ist eine wichtige Ebene in der Ausstellung“, sagt Fitz im Gespräch mit ORF.at.

Architekturzentrum Wien zeigt neue Sammlung

Das Architekturzentrum Wien bietet mit seiner neuen Dauerausstellung wieder einen spannenden Blick in seine Sammlung. Zu sehen sind mehr als 400 Objekte österreichischer Baugeschichte.

Sichtbarmachen von „Fehlstellen“

Einzelne Objekte weisen auf Leerstellen im Kanon der Architekturgeschichte hin – Leerstellen, die etwa direkt in die Zeitgeschichte führen. Nur zwei Dokumente der Sammlung belegen das Schaffen von Karl Dirnhuber, der in den 1920er Jahren im Wohnbau des Roten Wien viel beschäftigt war. Eines davon ist eine Liste seiner Bauten, die in der Schau vergrößert unter der Leitfrage „Wer sind wir?“ zu sehen ist. Sie bricht im Jahr 1939 abrupt ab. Dirnhuber und seine Frau jüdischer Abstammung mussten damals nach London fliehen.

Ausschnitt aus der neuen Schausammlung „Hot Questions – Cold Storage“ des Architekturzentrum Wien.
ORF.at/Florian Baranyi
Zeitgeschichte als Collage: Waldheim und die UNO-City benötigen Vorwissen

„Sammlungen bestehen aus Kontinuitäten, aber auch aus Brüchen und Fehlstellen“, so Kuratorin Platzer im ORF.at-Gespräch. Durch die leitenden „Hot Questions“ werden solche Fehlstellen sichtbar. Kurt Waldheim, von 1972 bis 1981 Generalsekretär der UNO, steht stellvertretend für Österreichs Neupositionierung als neutraler, aber außenpolitisch aktiver Kleinstaat in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Entwürfe für die Ausstattung der Wiener UNO-City, während seiner Amtszeit erbaut, stellen die Verbindung zwischen Politik und Architektur her.

Zwischen zwei großen Schautafeln mit Videos und Fotos eingezwängt, thematisieren Dokumente die Proteste von Künstlerinnen und Künstlern gegen Waldheim aufgrund seiner umstrittenen Kriegsvergangenheit. Inwiefern diese Zusammenführung die vorangestellte Frage „Wer sind wir?“ zu beantworten hilft, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Das assoziative Herstellen von Bezügen zwischen Architektur und Zeitgeschichte birgt die Gefahr der Überforderung.

Theoretisch anspruchsvoll und voraussetzungsreich

Die innovative, knallbunte Ausstellungsarchitektur der Büros „tracing spaces“ und „seite zwei“ erschafft eine begehbare Sammlung samt einer Art Paternoster, auf dem Modelle rotieren und einem ausziehbaren Hängeregister, das etwa Skizzen und theoretische Positionen des jugoslawischen Architekten und Politikers Bogdan Bogdanovic collagiert.

Die Präsentationsweise entschädigt aber nur teilweise für die Dichtheit der Schau – das AzW will viel von der Sammlungspräsentation, stellt den Anspruch, über nicht immer ausreichend erklärte Exponate Megathemen wie Fürsorgearbeit inklusive Erziehung, Sozialpolitik und Gesundheitsversorgung („Wer sorgt für uns?“), Klimawandel („Wie überleben wir?“) und Geschlechtergerechtigkeit ("Wer spielt mit?) zu behandeln.

Ausschnitt aus der neuen Schausammlung „Hot Questions – Cold Storage“ des Architekturzentrum Wien.
ORF.at/Florian Baranyi
„Who shapes the city?“ – „Wer baut die Stadt?“ ist eine der Leitfragen im AzW

Für Platzer, die schon die vorangegangene Dauerausstellung „a_schau“ kuratiert hat, bedeutet das die Befreiung von „Meistererzählungen“ – Prozesse der Kanonbildung sollen in der Ausstellung selbst hinterfragt werden. Das smarte Arrangement von „Hot Questions – Cold Storage“ ist zwar auf Höhe der wissenschaftlichen Theoriediskussion konzipiert, verlangt beim Besuch aber neben Zeit und Konzentration viel Vorwissen ab.