Bei einer Kundgebung vor der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße wurde Dienstagabend lautstark gegen die Räumung protestiert – einige hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dem Aufruf gefolgt. Auf Transparenten („Städte für die Autos oder für die Menschen?“) wurde die Verkehrspolitik der Stadt kritisiert.
Die NGO Global 2000 projizierte ein Bild des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig (SPÖ) – beim Umschneiden eines Baumes – auf das Gebäude. In Reden wurde unter anderem davor gewarnt, dass Stadt und Wirtschaftskammer auch die Lobauautobahn weiter „durchboxen“ wollen.

Der Grund für den Unmut: Um 8.00 Uhr war die Polizei am Dienstag angerückt, um das Camp bei der Hausfeldstraße in Wien-Donaustadt zu räumen. Zwölf Aktivisten waren zu dem Zeitpunkt anwesend. Der Bereich wurde großräumig abgesperrt, sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel rund um die Baustelle wurden zeitweilig unterbrochen. Den Unterstützerinnen und Unterstützern wurde die Anreise damit zwar erschwert – was sie aber nicht davon abhielt, dem Aufruf zahlreicher NGOs zu folgen, zum Ort des Geschehens zu kommen.
Bis Mittag kamen Hunderte Menschen zum Gelände, sie besetzten zum Teil Fahrzeuge und rissen den Zaun um das Camp immer wieder nieder. Zwei Personen waren zu Mittag in der Pyramide mit „technischen Hilfsmitteln aneinander und dort fixiert“, so Polizeisprecher Markus Dittrich. Am frühen Nachmittag hieß es, auch diese Personen seien befreit worden, das Protestcamp sei vollständig geräumt.

Seit mehreren Monaten haben die Aktivistinnen und Aktivisten Baustellen für die Stadtstraße aus Protest gegen den Bau besetzt. Wien hält an der Errichtung der Stadtstraße fest, nachdem Umweltschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) den Bau des umstrittenen Lobautunnels gestoppt hat. Die Stadt hatte den Besetzerinnen und Besetzern sowie einigen, die sie unterstützen, zwischenzeitlich Klagsdrohungen in Millionenhöhe geschickt. Auch einen Brandanschlag auf den Turm bei der Hirschstettner Straße gab es.
Protestcamp geräumt
Am Dienstag ist die Räumung des Protestcamps von Umweltschützern auf der geplanten Baustelle der Stadtstraße in Wien-Donaustadt, die schon länger im Raum gestanden war, vollzogen worden.
Polizei setzte Pfefferspray ein
Die Stadt Wien sei an die Polizei Wien herangetreten, die Versammlung aufzulösen, um mit den Bauarbeiten zu beginnen – dem sei man als Behörde nachgekommen, sagte Dittrich gegenüber Radio Wien. Während des Polizeieinsatzes erfolgten bereits die ersten Aufräumarbeiten im Protestcamp. Bagger rissen etwa ein Nebengebäude der Pyramide ab, ein Campinganhänger wurde abtransportiert. Nach der Räumung wurde auch die Pyramide demoliert.
Die Beamten setzten Pfefferspray ein, laut Aktivisten seien auch Schlagstöcke eingesetzt worden. „Es wurden junge Menschen am Boden fixiert, Handschellen angelegt und hier in den Polizeiautos festgehalten“, schilderte Lucia Steinwender, Sprecherin von LobauBleibt und „System Change not Climate Change“ im APA-Gespräch.
Ludwig: „Unzählige Gesprächsangebote“
Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) meldete sich am Nachmittag via Twitter zu Wort. Es habe zahlreiche, letztlich „erfolglose“ Gesprächsangebote der Stadt gegeben. Es gebe gute Gründe für die Straße, beteuerte er – nämlich die geplanten Wohnbauten in bzw. um die Seestadt Aspern. „Ein derart großes Stadtentwicklungsgebiet benötigt eine gut ausgebaute, höherrangige Straße.“ Auf dieser seien auch Busse und Einsatzfahrzeuge unterwegs, gab er zu bedenken.
Sima: „Friedlichen Ausweg versucht“
Umweltstadträtin Uli Sima (SPÖ) betonte Dienstagabend in einem Interview in der ORF-Sendung „Wien heute“ erneut, sie habe „sehr intensiv versucht, einen friedlichen Ausweg aus diesem Konflikt zu finden“.
Sima zur Camp-Räumung
Was sagt die Stadt und die SPÖ zur Räumung des Lobau-Protestcamps? Dazu ist Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) zu Gast bei ORF-Wien-Chefredakteur Oliver Ortner.
Mehrfache Gesprächsangebote an die Aktivistinnen und Aktivisten seien nicht angenommen worden, ein letztendlich doch zustande gekommenes Gespräch hätte sie „erzwingen müssen“. Nach fünf Monaten müsse man dann erkennen, „dass es keinen Zweck mehr hat, weiter auf Gespräche zu setzen, wenn das Gegenüber einfach nicht bereit ist, einem entgegenzukommen oder überhaupt auf Gespräche einzugehen“.
Sima unterstrich die Wichtigkeit der Stadtstraße: „Sie ist für uns der Schlüssel zu Wohnungen für 60.000 Menschen“. Es handle sich um eine 3,5 Kilometer lang Gemeindestraße auf der Tempo 50 gilt. „Wenn ich eine Stadt in der Größe von St. Pölten baue, brauche ich eine Erschließungsstraße“, so Sima. Es sei eine U-Bahn in die Seestadt gebaut worden, viele öffentliche Verkehrsmittel würden noch folgen, sagte die Stadträtin.

In einem Brief an die Aktivistin Lena Schilling schreibt Sima, es sei ihr „wichtig, über das Thema der Stadtstraße hinaus mit Ihnen im Dialog zu bleiben“. Klimaschutz sei auch der Stadt ein zentrales Anliegen, die 3,2 Kilometer lange Straße sei ein „Schlüssel für die klimafreundliche Stadtentwicklung“. Sie sei sich sicher, „dass wir in vielen Bereichen nicht weit auseinander liegen“.
Räumung des Protestcamps
Bagger bei der Räumung des Protestcamps im Einsatz.
Grüner Umweltsprecher „empört“
Vonseiten der Bundespolitik zeigte sich der Klimaschutzsprecher der Grünen, Lukas Hammer, „empört“ über das Vorgehen Wiens. Er warf der Stadt vor, dass die von ihr gezeigte Dialogbereitschaft nur „Trug und Schein“ sei. Aus Wien selbst gab es Kritik vom grünen Landesparteivorsitzenden Peter Kraus, der einen „traurigen Tag für den Klimaschutz, für die Zivilgesellschaft und ganz besonders für die SPÖ“ konstatierte.
Erfreut zeigte sich hingegen die Wiener ÖVP: „Der Rechtsstaat hat sich durchgesetzt.“ Die rechtswidrige Besetzung werde endlich zu einem Ende gebracht, so der designierte Landesparteiobmann der Volkspartei Wien, Karl Mahrer, und Klubobmann Markus Wölbitsch, die der Polizei dankten.

Die FPÖ beschwerte sich wiederum wegen der Störung eines Interviews mit ihrem Verkehrssprecher Anton Mahdalik. Dieser sei vor laufender Kamera „anagitiert“ worden. „Linke Chaoten“ hätten gestört, so Mahdalik, der sich über die Räumung und das Ende „dieses Kasperltheaters“ erfreut zeigte.
Harsche Kritik von Umweltorganisationen
Umweltorganisationen übten postwendend harsche Kritik. Der WWF Österreich bezeichnete den geplanten Bau als „fahrlässig und verantwortungslos“. Statt auf ernsthaften Dialog zu setzen, räume Wien lieber. Die Stadt solle ihre „autozentrierte Verkehrspolitik“ beenden und im urbanen Bereich sinnvolle, klimafreundliche Alternativen forcieren, sagte auch Maria Schachinger, Bodenschutzsprecherin des WWF Österreich.

Einen „Skandal“ sieht Steinwender von „System Change not Climate Change“ darin, dass Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) vergangene Woche einen Klimaplan für die Stadt vorstellte und gleichzeitig am Bau der Straße festhält. Solange die Stadtautobahn nicht abgesagt sei, bleibe die Lobau gefährdet. Auch die Katholische Aktion der Erzdiözese Wien äußerte Unverständnis über die Räumung der Baustelle. Die jungen Menschen würden mit dieser Vorgangsweise vor den Kopf gestoßen, zeigte man sich überzeugt – mehr dazu in religion.ORF.at.
Die Räumung des Protestcamps löse nicht das Problem, dass die Stadtstraße mit ihren vier Spuren im „krassen Widerspruch“ zu den Klimazielen und Mobilitätszielen der Stadt stehe, meinte der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) in einer Aussendung. Eine konstruktive und gute Lösung könne nur mittels Dialog erreicht werden. Es gebe zudem bessere Lösungen als die „überdimensionierte“ Stadtstraße.