Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne)
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Atomkraft für EU grün

Österreich bereitet Klage vor

Auf die Ankündigung der EU-Kommission, Investitionen in Atomkraft und Gas künftig als klimafreundlich einzustufen, hat Österreich am Mittwoch mit scharfer Kritik reagiert. Man wolle in den nächsten Wochen „rechtliche Schritte vorbereiten“ und vor den EuGH ziehen, kündigte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) an. Unterstützung kommt aus Luxemburg, in anderen Ländern gibt man sich – zumindest vorläufig – zurückhaltend.

Man wolle mit einer Nichtigkeitsklage beim EuGH gegen die Entscheidung der EU-Kommission vorgehen, so Gewessler bei einer Pressekonferenz. Die Kommission erfülle mit der Taxonomie „vor allem die Wünsche der Atomlobby“, so Gewessler. Man müsse „jetzt“ auf erneuerbare Energien umsteigen.

Im Hinblick auf eine Klage sagte Gewessler: „Rein formal muss der Akt in Kraft treten, damit man ihn rechtlich bekämpfen kann.“ Formal gebe es eine viermonatige Frist für den EU-Rat und das Europaparlament, um den Rechtsakt zu prüfen. Im Rat der EU-Mitgliedsstaaten werde es die erforderliche qualifizierte Mehrheit gegen die Taxonomie nicht geben, so Gewessler. Dazu müssten 20 der 27 EU-Staaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung dagegen stimmen. Im EU-Parlament erwartet Gewessler aber noch hitzige Diskussionen, für eine Einschätzung sei es „zu früh“.

Gewessler sieht die Voraussetzungen der Taxonomieverordnung nicht erfüllt, da diese beinhalte, dass grüne Technologien „keine signifikanten Umweltschäden“ anrichten dürfen. Unterstützung bekam sie von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP): Gewessler „hat meine volle Unterstützung bei der Prüfung rechtlicher Schritte“.

Gewessler: EU-Entscheid zu Atomkraft „falsch“

Trotz großer Kritik hat die EU-Kommission Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen nun offiziell als klimafreundlich eingestuft. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) kündigte rechtliche Schritte dagegen an.

Luxemburg unterstützt Pläne, Deutschland zurückhaltend

Luxemburg schließe sich der österreichischen Initiative an. Zumindest am Mittwoch gab es derartige Ankündigungen aus anderen Ländern, die der Taxonomieverordnung kritisch gegenüberstehen, wie Deutschland, Dänemark und auch Spanien und Portugal noch nicht. „Wir haben jetzt vier Monate Zeit, das zu prüfen, was die Kommission jetzt tatsächlich vorlegt“, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Nun werde sich die Koalition erst einmal „darüber beugen, was jetzt tatsächlich von Brüssel vorgelegt worden ist“, so Hebestreit.

Mairead McGuinness, Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion in der EU-Kommission.
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EU-Kommissarin Mairead McGuinness präsentierte die Taxonomieverordnung der EU

Der deutsche Klimaschutzminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) lehnen den Vorschlag in einer gemeinsamen Erklärung ab. „Ich halte den Rechtsakt in der jetzigen Form für einen großen Fehler, der die Taxonomie als Ganzes stark beschädigt und unsere Klimaziele gefährden könnte“, sagte Lemke laut dpa. „Wir haben wiederholt deutlich gemacht, dass wir die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie für falsch halten“, ergänzte Habeck. „Das Ganze konterkariert das gute Konzept der Taxonomie und läuft ihren Zielen zuwider.“

Van der Bellen: „Weder nachhaltig noch sicher“

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen kritisierte Brüssel: „Die EU-Kommission setzt mit ihrer heutigen Entscheidung das falsche Signal, auch auf den Kapitalmärkten“, so Van der Bellen in einer Aussendung. „Atomkraft ist weder nachhaltig noch sicher“, so der Präsident. Auch Erdgas sei klimaschädlich und müsse Schritt für Schritt durch Alternativen ersetzt werden.

Bisher übte Van der Bellen keine offene Kritik an Entscheidungen der EU-Kommission. Doch der Beschluss, Atomkraft ein grünes Label zu geben, sei „ein Anreiz, weiter in diese gefährliche Technologie zu investieren. Das ist der falsche Weg.“ Er verwies auf den Zeitdruck im Kampf gegen die Klimakrise, man müsse daher „jetzt die richtigen Weichen in die Zukunft stellen“.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen
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Auch der Bundespräsident schloss sich der Kritik an der Taxonomieverordnung an

Auch der Bundeskanzler zeigte sich von der EU-Ankündigung enttäuscht: „Atomkraft ist weder ‚grün‘ noch nachhaltig. Ich kann die Entscheidung der EU nicht nachvollziehen“, schrieb Nehammer auf Twitter. Zuvor kritisierte bereits Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) das Vorgehen: „Die EU konterkariert die Agenda des eigenen Green Deals. Wir bedauern die Entscheidung zur Taxonomieverordnung der EU-Kommission. Österreichs Position war von Anfang an klar: Für uns ist die Entscheidung, Atomkraft als ‚grün‘ einzustufen, weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltig“, so Brunner.

Finanzkommissarin: Instrument „nicht für Energiepolitik“

Bei der Präsentation der Taxonomieverordnung in Brüssel sagte Finanzkommissarin Mairead McGuinness, dass es sich um ein Instrument für den Finanzsektor, „nicht für die Energiepolitik“ handle. Die Taxonomie sei ein „Wegweiser für private Investoren“, so McGuinness, und damit „kein EU-Energiepolitikinstrument“.

Gas und Kernkraft würden einen Beitrag zum „schwierigen Übergang zur Klimaneutralität“ leisten, so die Kommissarin weiter. Man habe ein „gutes Gleichgewicht“ zwischen grundlegend unterschiedlichen Meinungen gefunden, so McGuinness. Beim Übergang müssten „wir auch nicht perfekte Lösungen akzeptieren“, sagte sie weiter.

Klimafreundlichkeit mit Ablaufdatum

Mit der Taxonomie legt die EU-Kommission fest, welche Finanzinvestitionen als klimafreundlich gelten, um mehr Geld in nachhaltige Technologien und Unternehmen zu lenken und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beizutragen. EU-Berechnungen zufolge braucht es dazu pro Jahr 350 Milliarden Euro aus privaten Investitionen.

Atomkraft nun „nachhaltige Energie“

Am Mittwoch hat die EU-Kommission darüber entschieden, dass Atomkraft und Gas als nachhaltige Brückentechnologien eingestuft werden. Auch die lautstarke Kritik von Ländern wie Österreich, Luxemburg, Dänemark und Deutschland konnte an der Entscheidung der Kommission nichts ändern.

Der nun angenommene Rechtsakt sieht vor, dass Investitionen in neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden. Im ursprünglichen Entwurf war die Beimischung von klimafreundlichen Gasen schon ab 2026 vorgeschrieben. Das bedeutet, dass Gaskraftwerke nun unter Umständen länger höhere Anteile an verschmutzendem Erdgas nutzen können. Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt.

Frankreich plädiert stark für Atomenergie

Frankreich führt die Atomlobby unter den EU-Staaten an. Rund 70 Prozent des Stroms stammen in Frankreich aus nuklearer Energie – der EU-Schnitt liegt deutlich darunter. Die französische Spitzenpolitik betonte stets, nur mit Atomstrom könnten auch die ehrgeizigen Klimaziele eingehalten werden. Kritikerinnen und Kritiker führen primär einen anderen Grund ins Feld: Die Einstufung von nuklearer Energie als „grünes“ Investment nutze vor allem dem staatlichen Energiekonzern und weltweit größten Anbieter von Atomstrom, EDF, der derzeit in einer tiefen Krise stecke.

Grafik zeigt die Atomkraftwerke in der EU
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BMK

Hinter Frankreich steht jedoch die Mehrheit der Mitgliedsländer. Vertreter aus Bulgarien, Kroatien, Polen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und eben Frankreich unterzeichneten im Oktober einen Text, in dem Kernenergie als Teil der Lösung für die Klimaneutralität bezeichnet wird. Auch die Niederlande und Schweden äußerten sich positiv zu dieser Technologie.

Experte: Verpasste Chance für EU

Simone Tagliapietra, Experte beim Brüsseler Thinktank Bruegel, sagte gegenüber ORF.at, dass Gas und Atomkraft nicht „grün sind“: „Gas und Kernkraft werden beim Übergang eine Rolle spielen, aber sie sind nicht grün.“ Durch die Einbeziehung von Atomkraft und Gas werde „die Taxonomie nun wahrscheinlich nicht zu einem globalen ‚Goldstandard‘, wie institutionelle Anleger bereits gewarnt haben“.

Er sieht eine verpasste Chance der EU: „Die Auswirkung der Taxonomie auf die Finanzwelt könnte also letztlich begrenzt sein, da die Anleger es vorziehen könnten, andere Klassifizierungen zur Bewertung ihrer grünen Investitionen zu verwenden. Damit hat die EU eine große Chance verpasst, denn sie hätte eine Referenz in diesem Bereich werden können“, so Tagliapietra.

Kritik von österreichischen EU-Parlamentariern

Der österreichische EU-Budgetkommissar Johannes Hahn votierte in der Kommissionssitzung gegen die Taxonomieverordnung, hieß es aus dem Büro Hahns. Kritik an der Kommissionsentscheidung gab es auch von der Opposition. „Wir sind dagegen, dass Gas und Atomstrom da hineingenommen werden“, sagte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger in einer Pressekonferenz. Gas als nachhaltige, umweltschonende Energiequelle zu bezeichnen „ist einfach nicht in Ordnung“.

Grafik zum Energiemix in der EU
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Eurostat

ÖVP-Europaabgeordneter Othmar Karas schrieb auf Twitter, dass „alle zuständigen österreichischen Europaabgeordneten Einspruch gegen die Pläne der EU-Kommission“ einlegen werden. „Die Ablehnung der Atomkraft ist keine parteipolitische Frage, sondern war stets ein gemeinsames österreichisches Anliegen“, so der Vizepräsident des Europaparlaments.

SPÖ sieht „schweren Fehler“

Kritik kam auch von der SPÖ. Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Evelyn Regner, bezeichnete den Kommissionsvorschlag als „schweren Fehler“. Schließlich sollte die Taxonomie dem „Greenwashing in der Finanzindustrie“ eigentlich einen Riegel vorschieben. „Die Einstufung von Atomkraft und Gas als nachhaltig ist genau ein solcher Labelschwindel“, so Regner in einer gemeinsamen Aussendung mit ihrem Fraktionskollegen Günther Sidl.

Im Vorfeld der Kommissionsentscheidung hatte sich bereits der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz kritisch geäußert, der von einer „dreisten Kompetenzüberschreitung“ der Brüsseler Behörde sprach. Die Umweltorganisation Global 2000 sprach von einer „politischen Bankrotterklärung der EU-Kommission gegenüber einer nachhaltigen und umweltgerechten Energiepolitik“.

Weniger umstrittener Teil schon im Dezember fixiert

Bereits Anfang Dezember wurde ein Rechtsakt mit dem weniger umstrittenen Teil der Taxonomie für „grüne“ Bioenergie, Wasserkraft und Forstwirtschaft angenommen. Darin werden Aktivitäten wie die Stromproduktion mit Solarpaneelen und der Transport per Bahn als klimafreundlich aufgelistet. Auch Kriterien für umweltfreundliche Wasserkraftwerke wurden festgelegt.