Demonstranten, mit verdecktem Gesicht in Jakarta
Reuters/Willy Kurniawan
Ausnahme-Olympia

Schatten über Chinas Winterspielen

Schon seit Langem ist klar, dass die Olympischen Winterspiele in Peking zwangsläufig zum hochpolitischen Drahtseilakt zwischen Sport und Politik werden. Menschenrechtsverstöße, die flächendeckende Überwachung, Chinas Einfluss in Hongkong und Taiwan, die Unterdrückung der uigurischen Bevölkerung und andere Streitfragen werfen ihre Schatten auf die Spiele.

Ab Freitag wird das Sportfest in der chinesischen Hauptstadt Peking eröffnet, es dauert bis 20. Februar. Schon davor war offensichtlich, dass es sich um ein Ausnahme-Olympia handelt – und das nicht nur wegen der Omikron-Variante, die Tag für Tag bei neuen Athletinnen und Athleten nachgewiesen wird.

Trotz allen Verweisen auf die Neutralität des Sports durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) und China werden es politische Spiele. Das wird schon ein Blick auf die Tribüne bei der Eröffnungsfeier zeigen. Angeführt von den USA, hat sich eine Reihe von westlichen Staaten dazu entschieden, keine offiziellen Vertreter nach Peking zu schicken, darunter Großbritannien, Kanada, Australien und Dänemark. Andere Staaten wollen zwar nicht von einem Boykott sprechen, bleiben aber trotzdem abwesend.

Olympia: Kritik an Austragungsort

Auf politischer Ebene sind die aktuellen Olympischen Spiele umstritten, vor allem aufgrund des Austragungsorts China: eines Landes, in dem es vor ein paar Jahren kaum ein Skigebiet gab und das immer wieder wegen Verletzungen von Menschenrechten und der Meinungs- und Pressefreiheit in internationale Kritik gerät.

Strenge Kontrolle

Die Staaten begründen ihre Vorbehalte mit der menschenrechtlichen Lage in China und der Außenpolitik der Volksrepublik. Das aggressive Vorgehen Chinas in Hongkong, die Drohgebärden gegen Taiwan, das regelmäßige Verschwinden nicht genehmer Persönlichkeiten und die engmaschige Überwachung der Bevölkerung sorgen dafür, dass China als Austragungsort der Spiele höchst umstritten ist.

Für besonders heftige Kritik sorgt Chinas Vorgehen in der Provinz Xinjiang. Mehrere Staaten, darunter die USA, werfen China dort Völkermord an der muslimischen Minderheit der Uiguren vor. Demnach werden mehr als eine Million Uiguren und Uigurinnen in Haftlagern festgehalten und zur Aufgabe ihrer Religion, Kultur und Sprache gezwungen und teilweise auch körperlich misshandelt. Die Rede ist unter anderem von Zwangsarbeits- und Umerziehungslagern und erzwungenen Sterilisationen. China weist das zurück und spricht von „Bildungszentren“, die dem Kampf gegen islamistische Radikalisierung dienten.

Olympia-Deko in Peking
AP/Andy Wong
Die Winterspiele in Peking: Omikron und die Politik sorgen für Ausnahmezustände

Doch auch rund um die Spiele entsteht kein Eindruck von Ungezwungenheit. Schon vor Wochen teilte China mit, dass man gegen Proteste vorgehen werde, sollten sie nicht „dem olympischen Geist“ entsprechen. Dann sorgte die Olympia-App für Überwachungsängste. Die Auslandspresse berichtete von schwierigen Bedingungen bei der Berichterstattung. Auch Menschenrechts-NGOs orteten zuletzt starke Einschränkungen bis hin zu Einschüchterungen. Die Gastgeber hatten sich bereits Kritik von Sportlern verbeten, ein hochrangiger Funktionär des Organisationskomitees drohte mit „Bestrafung“. Die strengen „Zero Covid“-Maßnahmen tun ihr Übriges.

Konflikt der Weltmächte auf der Tribüne

Ein Sportfest könne die Missachtung von Menschenrechten nicht überdecken, kritisierte noch am Donnerstag die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Großereignisse wie Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften müssten an die Einhaltung zentraler Kriterien wie Pressefreiheit, Menschenrechte und Arbeitsbedingungen geknüpft werden, forderte Baerbock. „Man kann große Sportfeste nur wirklich feiern, wenn andere Menschen dafür nicht mit ihrem Leben bezahlen müssen.“

Kalkül im Boykott der westlichen Staaten sieht hingegen Russlands Präsident Wladimir Putin. „Leider haben sich die Versuche einer Reihe von Ländern, den Sport für ihre egoistischen Interessen zu politisieren, in letzter Zeit intensiviert. Das ist grundlegend falsch und widerspricht dem Geist und den Prinzipien der Olympischen Charta“, so Putin kurz vor der Eröffnungsfeier.

Doch auch Putin fährt mit politischem Gepäck nach Peking, er wird dort einen Auftritt mit Signalwirkung absolvieren. Als erster offizieller Staatsgast seit mehr als zwei Jahren trifft er am Rande der Spiele Chinas Präsident Xi Jinping. Die beiden demonstrierten davor Einigkeit. Nebst Putin werden bei der Eröffnung die Staatschefs von Polen, Serbien, Ägypten, Argentinien, Kasachstan und Turkmenistan erwartet. Auch Luxemburg, Monaco, Bosnien und Aserbaidschan schicken offizielle Vertreter nach Peking. Auf der Tribüne spiegelt sich damit ein Konflikt wider, der eigentlich auf der Weltbühne ausgetragen wird.

Lage seit 2008 enorm verändert

Bereits vor den Sommerspielen in Peking 2008 hatten die menschenrechtlichen Zustände in China Bedenken geweckt, vor allem wegen Chinas Vorgehen in Tibet. Damals wurde die Hoffnung vorgebracht, dass das Sportfest die Situation in China liberaler macht – eine Erwartung, die nicht erfüllt wurde.

Olympia-Deko in Peking
AP/Andy Wong
Chinas Bevölkerung soll Lust auf den Wintersport bekommen

Seither haben sich die Rahmenbedingungen entschieden verändert. Staatschef Xi hat seine Macht gefestigt, die Entwicklung wurde weiter vorangetrieben und China zur Wirtschaftsmacht ausgebaut, die Kontrolle der Bevölkerung wurde auch durch technologischen Fortschritt gravierend ausgeweitet. Gleichzeitig konnte China auf der Weltbühne seine Macht konsolidieren. Die Spiele dürften damit auch zu einer Demonstration des chinesischen Einflusses werden.

Die Wintersportindustrie hofft indes, dass die Spiele zur Eintrittspforte für den Milliardenmarkt China werden. Xi persönlich hat die Devise ausgegeben, dass 300 Millionen Chinesinnen und Chinesen den Skisport aufnehmen sollen. Wie etwa die BBC berichtet, soll aufgrund der geografischen und klimatischen Regionen ausgerechnet die Uiguren-Region Xinjiang als Wintersportdestination vermarktet werden. Der Wintersportkonzern Burton habe bereits Interesse signalisiert, so der Bericht. In der Vergangenheit standen wiederholt Unternehmen wegen wirtschaftlicher Tätigkeit in Xinjiang in der Kritik, darunter VW, Tesla und Intel.