Jonny Greenwood beim Frequency Festival 2009 in Sankt Pölten
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Jonny Greenwood

Von Radiohead zum Filmmusikmeister

Nicht nur im Verbund mit seiner Band Radiohead entwickelt sich Jonny Greenwood musikalisch ständig in neue Richtungen. Auch als Solokünstler erkundet der Brite immer neue Klangwelten. Über die Jahre veröffentlichte Greenwood als Filmkomponist zahlreiche Soundtracks. Alleine drei im Jahr 2021, mit denen er auf die großen Filmpreise schielt.

„Spencer“, „The Power of the Dog“ und „Licorice Pizza“: Diese drei viel beachteten Filme aus dem Jahr 2021 haben nicht nur bereits Preise bei wichtigen Verleihungen oder Festivals gewonnen. Bei allen dreien war der Musiker Greenwood für die Filmmusik verantwortlich. Es sind nicht die ersten Soundtracks, die der 50 Jahre alte Brite komponiert hat.

Sein Debüt als Filmkomponist gab er 2003 bei einer Dokumentation namens „Bodysong“. Seither folgten viele weitere Arbeiten. Nun scheint Greenwood endgültig den Durchbruch als Komponist geschafft zu haben: Für seine Musik zu „The Power of the Dog“ wurde er zum zweiten Mal für einen Golden Globe nominiert. Auch für die Oscar-Nominierungen, die nächste Woche bekanntgegeben werden, hat er für „The Power of the Dog“ und „Spencer“ gute Chancen.

Jonny Greenwood bei den Ivor Novello Awards 2019 in London
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Einen „Ivor“ für seine Filmmusik zu Andersons „Phantom Thread“ hat er schon, bald könnten Greenwoods Kompositionen noch mehr Preise abräumen

Erfolge mit Radiohead

Die meisten kennen Greenwood dennoch eher als Lead-Gitarristen der Kultband Radiohead. Mit dem Quintett aus dem britischen Oxford schuf er Meilensteine der modernen Rockmusik. Rockklischees unterwarf sich die Band um Frontmann Thom Yorke sowie Greenwoods älteren Bruder Colin, der den Bass spielt, dabei selten bis nie. Mit Anfängen im Fahrwasser des aufkeimenden Alternative Rock der frühen 90er und dem Album „Pablo Honey“ (1993) samt dem Megahit „Creep“, vollzog Radiohead schnell eine musikalische Kehrtwende.

Nachdem die Band mit kunstvoll-dystopischem Progressive-Rock („OK Computer“, 1997) weltweit Erfolge feierte, waren die Briten auf den Alben „Kid A“ (2000) und „Amnesiac“ (2001) bereits erneut auf dem Weg zu neuen Ufern. Die Songs der Schwesteralben folgen nicht den gewohnten Pop-Rock-Mustern, sondern kommen oft eher wie Klangflächen daher. Einflüsse für die neue musikalische Sprache, die man am ehesten vielleicht als Art-Rock bezeichnen könnte, zog die Band eher aus Genres wie Krautrock, Ambient oder Post-Rock. Auch die prägenden Gitarrenklänge sollten großteils weichen – und damit änderte sich auch Greenwoods Rolle.

Der Multiinstrumentalist

Will man die außerordentlichsten Gitarrenparts von Jonny Greenwood hören, dann sollte man zum frühen Alternative-Rock-Meisterwerk Radioheads, dem Album „The Bends“ aus dem Jahr 1995, greifen. Auf Tracks wie „Just“ oder „My Iron Lung“ lässt es der Brite an der Lead-Gitarre krachen, selbstverständlich mit einer ordentlichen Dosis Verzerreffekt.

Dort setzt Greenwood auch noch zum klassischen Gitarrensolo an, was auf späteren Werken zur Seltenheit wurde. Spätestens auf dem experimentierfreudigen „Kid A“ steuerte Greenwood dann gar gänzlich andere Klänge bei: Auf dem für die Band maßgeblichen Album fungierte er nicht mehr als Lead-Gitarrist, sondern spielte vorwiegend ein Instrument namens Ondes Martenot, das auf Deutsch so viel wie Martenot-Wellen bedeutet.

Greenwood setzte auch auf folgenden Alben der Band immer wieder dieses Instrument ein. Zudem komponierte er für „Kid A“ Streicherarrangements, spielte mit Hilfe eines Synthesizers Schlagzeugmuster ein und arbeitete an Klangsamples. Der Innovationsdrang führte zum Erfolg: Für viele Kritiker gilt „Kid A“ als wichtigstes Album des 21. Jahrhunderts. Auf der Liste der 500 besten Alben aller Zeiten des „Rolling Stone“ aus dem Jahr 2020 belegt es Platz 20.

Logische Entwicklung

Wenn Greenwood auf den Alben nach „Kid A“ einmal zur Gitarre griff, dann klang das weniger krachig oder brachial, sondern eher treibend, gut hörbar auf Songs wie „Reckoner“ vom meisterhaften Album „In Rainbows“ (2007). Die Gitarre verschwand natürlich nicht aus der Musik von Radiohead. Dennoch veränderte sich mit „Kid A“ Greenwoods Aufgabenfeld immer deutlicher: Er wurde zu einem umfassenden Klangästheten. Auch Ausflüge in die zeitgenössische Orchestermusik, wie etwa auf einem Kollaborationsalbum mit dem polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki aus dem Jahr 2012, prägten seinen musikalischen Werdegang.

Jonny Greenwood
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Greenwood bei der Performance seiner Komposition „Horror vacui“ mit dem BBC National Orchestra of Wales 2019

Internationale Bekanntheit als Filmkomponist erlangte er mit seinen Stücken für Paul Thomas Andersons Drama „There Will Be Blood“, auf denen nur Instrumente der Handlungszeit 1910 zu hören sind und bei denen sich Greenwood von historischer Kirchenmusik inspirieren ließ. Ein langjährige Zusammenarbeit zwischen den beiden begann.

So lieferte Greenwood Filmmusik zu zahlreichen Folgewerken des Amerikaners, wie etwa zum Scientology-Drama „The Master“ (2012), zur Thomas-Pynchon-Adaption „Inherent Vice“ (2014) sowie zum Historiendrama „Der seidene Faden“ (2017). Für die Musik zum Letzteren wurde der Musiker 2017 das erste Mal für die Golden Globes nominiert.

Ein Cello für ein Banjo vormachen

In der aktuellen Awards-Saison ist Greenwood gleich mit mehreren Soundtracks im Rennen. Besonders viel Beachtung erhält der zum Westerndrama „The Power of the Dog“ der neuseeländischen Regisseurin Jane Campion. Greenwoods Musik klingt im besten Sinne seltsam, wie etwa im Song „Detuned Mechanical Piano“, eine Aufnahme von offenbar bewusst verstimmt daherkommendem Klaviergeklimper.

Ebenfalls bemerkenswert: Der von Benjamin Cumberbatch dargestellte Protagonist spielt im Film perfekt Banjo, ein Instrument, das Greenwood ursprünglich auch im Soundtrack verwenden wollte. Doch er empfand, dass es sich nicht dafür eignete. Im Song „25 Years“, dem Hauptthema des Films, glaubt der Zuschauer dennoch ein Banjo zu hören.

Doch laut Greenwoods eigener Aussage ist es eigentlich ein von ihm eingespieltes Cello, für das er die fürs Banjo typische Fingerpicking-Technik verwendet hat: „Ich habe gelernt, mein Cello wie ein Banjo zu spielen“, sagte Greenwood im Interview mit dem US-Branchenblatt „Variety“.

Im Soundtrack zu „The Power of the Dog“ setzt Greenwood zudem auf die für ihn so typischen Streicher- und Bläserarrangements. Der geradezu nervös daherkommende Soundtrack, der stark von atonaler Musik beeinflusst ist, untermalt perfekt die angespannte Stimmung von Campions Western.

Ungewöhnliche Soundtracks

Auch für den Film „Spencer“ des chilenischen Regisseurs Pablo Larrain ist Greenwood ein ungewöhnlicher Soundtrack gelungen. Streicher- und Bläserarrangements stehen hier ebenfalls im Vordergrund, gut hörbar im Streicherstück „The Boys“. Ergänzend sind jedoch eine Vielzahl an weiteren Instrumenten hörbar: So werden etwa eine Kirchenorgel („Press Call“) und auch ein Cembalo („Invention for Harpsichord and Compression“) eingesetzt.

Besonders wichtig ist bei „Spencer“ die Rhythmik, die vor allem den psychologischen Aspekt des Films – es geht um Prinzessin Diana (gespielt von Kristen Stewart) und einen unschönen Weihnachtsbesuch auf einem abgelegenen Landsitz – perfekt untermalt. Greenwoods Soundtrack erinnert oft an Free Jazz, wie etwa im Mittelteil des mehr als sieben Minuten langen Songs „Arrival“, in dem die Bläser wie auch die Percussions im Vordergrund stehen.

Was der mutige und höchst ungewöhnliche Soundtrack zu „Spencer“ nochmals deutlich macht, ist, dass Greenwoods Innovationsdrang auch außerhalb von Radiohead-Projekten nicht endet.

Neues Projekt mit Yorke

Auch für den neuen Film „Licorice Pizza“ seines alten Wegbegleiters Paul Thomas Anderson kreierte Greenwood einen Soundtrack, dessen Thema wunderbar die Nostalgie des in den 1970er Jahren spielenden Films einfängt. Übrigens ist Greenwood nicht das einzige Radiohead-Mitglied, das den Schritt zum Film wagte: So komponierte Frontmann Yorke den Soundtrack zu Luca Guadagninos Remake des Horrorklassikers „Suspiria“ aus dem Jahr 2018.

Konzerthinweis

Greenwood kommt mit seinem Projekt „The Smile“ nach Wien und spielt am 17.05.2022 im Gasometer um 20.00 Uhr ein Konzert.

Yorke und Greenwood haben sich erst kürzlich neu in einem Nebenprojekt zu Radiohead formiert. The Smile, so heißt das neue Trio, das durch den Drummer Tom Skinner der britischen Jazz-Band Sons of Kemet ergänzt wird. Im Jänner 2022 erschienen zwei Singles der Art-Rock-Band, im Mai will die Band auf Tournee gehen. Also wird es weiter kreativen Output des unermüdlichen Jonny Greenwood geben. Und der nächste Soundtrack wird sicherlich auch kommen.