Pedro Sanchez und Yolanda Diaz
Reuters/Juan Medina
Spanien

Opposition „schenkt“ Regierung Sieg

Die fragile spanische Mitte-links-Regierung von Ministerpräsident Pedro Sanchez hat einen ihrer wichtigsten Erfolge erreicht – und das dank eines „Geschenks“ der Opposition: Diese sollte eigentlich gegen eine weitreichende Arbeitsmarktreform stimmen, doch ein konservativer Abgeordneter stimmte irrtümlich dafür. Es war die 175. Ja-Stimme, bei 174 Nein-Stimmen.

Eine der weitreichendsten Maßnahmen der vom Sozialisten Sanchez geführten Regierung wurde somit Donnerstagabend mit denkbar knapper Mehrheit angenommen. Nach Angaben der oppositionellen Partido Popular (PP) war es einer ihrer Abgeordneten, der die entscheidende Ja-Stimme abgab.

Die Konservativen sahen darin allerdings einen „Computerfehler“ und forderten, „dass diese Abstimmung korrigiert wird“. Sie warfen der Präsidentin der Abgeordnetenkammer, der Sozialistin Meritxell Batet, vor, die Wahl zu verfälschen. Die PP kündigte an, „alle nötigen Beschwerden einzureichen, um für Gerechtigkeit zu sorgen“.

Von Yolanda Diaz verhandelt

Sanchez begrüßte dennoch umgehend die Verabschiedung seiner Reform auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Spanien hat einen neuen Rahmen für Arbeitsbeziehungen, der die Würde der Arbeit in den Mittelpunkt stellt.“ Ein Scheitern hätte die Regierung in eine Krise und möglicherweise zu einer Neuwahl geführt. Die Reform war 2019 eines der zentralen Wahlkampfversprechen von Sanchez. Umgesetzt wurde sie von der kommunistischen Arbeitsministerin und Vizeregierungschefin Yolanda Diaz. Die beliebte Politikerin wird als künftige Spitzenkandidatin für die linksradikale Partei Podemos gehandelt.

Verbündete stimmten dagegen

Fast wäre die Reform gescheitert: Die von Sanchez geführten Sozialisten, die in einer Minderheitsregierung mit Podemos regieren, konnten mehrere ihrer traditionellen Verbündeten nicht für sich gewinnen. Die baskischen Nationalisten und Unabhängigkeitsbefürworter der Parteien PNV und EH Bildu sowie die katalanischen Separatisten von ERC stimmten dagegen, ebenso wie die konservative PP und die rechtsextreme Vox.

Die Liberalen von Ciudadanos und kleine regionale Gruppierungen wie die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter PDeCAT, die normalerweise in der Opposition sind, stimmten hingegen dafür. Entscheidend war jedoch am Ende die Stimme eines PP-Abgeordneten.

Von Gewerkschaften und Wirtschaft abgesegnet

Die Reform war bereits Anfang des Jahres per Dekret in Kraft getreten, nachdem Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften sich Ende vergangenen Jahres nach intensiven Verhandlungen darauf geeinigt hatten. Allerdings benötigte das Paket noch die Zustimmung des Parlaments, um dauerhaften Gesetzesstatus zu erhalten.

Die Reform ist ein Kompromiss. Sanchez hatte ursprünglich eine Aufhebung der von den Konservativen verabschiedeten radikalen Liberalisierung der Regelungen versprochen. Mit dem Kompromiss bewegt sich Sanchez mehr in die Mitte des politischen Spektrums und kann das wohl in den künftigen Auseinandersetzungen mit den Konservativen taktisch einsetzen.

Die Einigkeit von Gewerkschaften und Wirtschaft dürfte zudem dafür sorgen, dass die Reform selbst im Fall eines künftigen Regierungswechsels nicht einfach zurückgenommen wird, zeigte sich der Politologe Pablo Simon gegenüber der „Financial Times“ überzeugt.

Reform Bedingung für Geldsegen aus Brüssel

Die Verabschiedung der Arbeitsmarktreform war eine der Bedingungen, die Brüssel für die Auszahlung der Mittel aus dem EU-Konjunkturprogramm gestellt hat, von dem Spanien mit 140 Milliarden Euro einer der Hauptnutznießer sein wird. Noch vor April will Madrid die nächste Tranche von 14 Milliarden Euro beantragen.

Die Regierung von Sanchez stand dabei stark unter Druck, hatte sie doch versprochen, eine umstrittene Arbeitsmarktreform der Konservativen aus dem Jahr 2012 rückgängig zu machen. Diese war zwar mit ursächlich dafür, dass die Arbeitslosenquote sich von fast 27 Prozent im Jahr 2013 auf heute 13,3 Prozent halbierte – allerdings sorgte sie für große Unsicherheit: Denn viele dieser Arbeitsverhältnisse sind nur befristet. Spanien hält den europäischen Rekord bei befristeten Verträgen.

Der Arbeitsmarkt gilt als die größte wirtschaftspolitische Baustelle Spaniens. Zwar verringerte sich die Zahl der Arbeitslosen – nicht zuletzt dank der Reformen der Konservativen – in den letzten 15 Jahren dramatisch. Doch die generelle Arbeitslosenrate liegt weiter bei 13 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 30. Beide Werte sind laut „Financial Times“ doppelt so hoch wie der europäische Durchschnitt.

Unbefristete Verträge nicht mehr die Ausnahme

Das nun verabschiedete Gesetzespaket begrenzt die Verkettung von Zeitverträgen und macht unbefristete Verträge zur Regel statt zur Ausnahme. Er verbietet auch die Entlassung von Beamten aus wirtschaftlichen Gründen, stärkt die Ausbildung der Arbeitnehmer und ermöglicht es den Unternehmen, die geltenden Vorschriften in Krisenzeiten vorübergehend auszusetzen, um Entlassungen zu vermeiden.